[Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] FDP-Bürgergeld

Michael Ecker m.ecker at stadeleck.de
Mo Okt 12 16:55:05 CEST 2009


Lieber Winfried, liebe Liste,

richtig ist, dass laut FDP beim Anteil der Wohngeldpauschale örtliche 
Unterschiede berücksichtigt werden sollen:
> Das Bürgergeld wird auf der Grundlage folgender Leistungsbedarfe 
> ermittelt:
> - Pauschale zur Sicherung des Lebensunterhalts (Ernährung, Kleidung und
> Hausrat),
> - Pauschale für Unterkunft und Heizung (differenziert nach den 
> örtlichen Gegebenheiten),
> - Pauschalen zu den Beiträgen für Kranken- und Pflegeversicherung,
> - Pauschale für Nachteilsausgleich bei Nichterwerbsfähigkeit und/oder 
> Schwangerschaft,
> - Pauschale für Mehrbedarfe bei Ausbildung und bei speziellen, häufig 
> vorkommenden
> Behinderungen und Erkrankungen.
(aus dem FDP-Beschluss 
http://56.parteitag.fdp.de/files/23/BPT-Das_Liberale_Buergergeld_0605_L2.pdf 
)

Abgesehen davon, dass die letzten beiden Pauschalen "für besondere 
Lebenslagen" so eigentlich nicht ausreichend sind, bleibt der 
angestrebte Durchschnitt von insgesamt 662 Euro, der zusammen mit den 
nicht mehr übernommenen "Nebenkosten" (etwa für Kranken- und 
Pflegeversicherung) für die _meisten_ derzeitigen ALG-II-Empfänger eine 
deutliche Schlechterstellung bedeuten dürfte - ausgenommen diejenigen, 
die im Niederlohnbereich einen Job haben und denen mit dem 
Bürgergeld-System u.U. etwas mehr übrig bleibt. Ein "Fördern" ist bei 
diesem System zudem offenbar gar nicht mehr vorgesehen, nur noch ein 
"Fordern"; ausdrücklich wird die "konsequente Anwendung der 
Sanktionsmechanismen" gefordert.
Mit dem Bürokratieabbau ist es da auch nicht weit her: Weiter wird 
gegängelt und scharf geprüft, gibt es unterschiedliche 
Anspruchstatbestände, wird die "Bedarfsgemeinschaft" zugrunde gelegt usw.

Sicher, manches am Bürgergeld geht in die Richtung des gewünschten 
Systemwechsels - allerdings besteht da auch die Gefahr, dass die 
negativen Elemente des Bürgergelds in der öffentlichen Wahrnehmung auf 
das Grundeinkommen "abfärben". Und vieles geht nur auf den ersten Blick 
in die richtige Richtung - die Intention dahinter ist eben eine ganz andere.

Joachim Behnke's Vorschläge für den Weg zum BGE scheinen mir da viel 
besser, wobei aus meiner Sicht Schritt 2 (Trennung von 
Arbeitsvermittlung und Leistungserbringung) und 3 (negative 
Einkommensteuer statt Freibeträge) nicht sukzessiv kommen müssen, 
sondern auch in anderer Reihenfolge oder parallel erfolgen könnten. 
Allerdings leben wir halt nicht auch nur annähernd in einer idealen 
Welt, und aktuell ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir diese 
Schritte ausgehend vom FDP-Bürgergeld gehen müssen - was im Prinzip 
heißen würde, dass Schritt 2 schon teilweise umgesetzt wurde, bevor wir 
zu Schritt 1 (Streichung der Sanktionen) kommen. Und Schritt 3 wird von 
der FDP ja verbal eigentlich unterstützt, ich denke aber, dass sie bei 
der praktischen Umsetzung Probleme mit ihrer Klientel bekommen werden. 
Schließlich würden da viele Ausnahmetatbestände, Sonderfreibeiträge und 
Steuerberatungsfelder wegfallen...

Herzliche Grüße
Michael


winfried.boehler at t-online.de schrieb am 10.10.2009 22:08:
>
> Lieber Robert, liebe Liste,
>
>
> es ist kaum vorstellbar, dass der heutige Hartz IV-Stand unterboten 
> werden könnte; dafür ist er zu "lausig". Ich bin davon überzeugt, dass 
> sich das auch CDU und FDP nicht leisten werden. Wenn ich den 
> FDP-Vorschlag richtig erinnere, soll  es differenzierte Sätze für das 
> Bürgergeld geben, in denen insbesondere die regionalen und örtlichen 
> Unterschiede beim Wohngeldbedarf berücksichtigt werden sollen. In so 
> weit würde es gegenüber Hartz IV keine Verschlechterung mit sich 
> bringen. Auch besondere Lebenslagen sollen durch Zuschläge auf das 
> Bürgergeld berücksichtigt werden.
>
>
> Dass es sich nicht um eine bedingungslose Leistung handelt, ist bei 
> der FDP klar. Aber das ist bei Harzt IV heute auch nicht anders. Auch 
> bei Hartz IV wird sanktioniert/gekürzt, wenn Arbeitsangebote abgelehnt 
> werden. Also auch hier keine Verschlechterung.
>
>
> Für mich ist ganz klar: Hartz IV darf nicht unterboten werden. Wäre 
> diese Bedingung erfüllt, würde ich die Einführung eines Bügergeldes 
> begrüßen, da es ja keine Verschlechterung bringen und doch einen 
> Systemwechsel in die richtige Richtung einleiten würde.
>
>
> Dass statt dessen die Einführung eines bedingungslosen Sockel-GE nach 
> dem BW-Modell um Welten besser wäre, brauchen wir nicht zu 
> diskutieren. Aber das ist im Moment unrealistisch. Ich hege die 
> heimliche Hoffnung, dass die CDU Komponenten aus dem solidarischen 
> Bürgergeld (Althaus-Modell) einbringt, um der FDP das Feld nicht 
> allein zu überlassen.
>
>
> Wie gesagt: wenn Hartz IV nicht unterboten wird, wäre der 
> Systemwechsel ein klarer Fortschritt.
>
>
> Herzliche Grüße
>
>
> Winfried
>
>
> -----Original Message-----
> Date: Sat, 10 Oct 2009 18:51:28 +0200
> Subject: [Gr.NetzGE] FDP-Bürgergeld
> From: "Robert Zion" <zion at robert-zion.de>
> To: <debatte at gruene-linke.de>
>
> Lieber Winfried, liebe Mitdiskutierende,
> Deine Darstellung ist im Großen und Ganzen korrekt. Allerdings fehlen 
> zwei Kritikpunkte: 1.) Durch die Einbeziehung und Pauschalierung des 
> Wohngeldes in das FDP-Bürgergeld würden die Bezieher gegenüber Hartz 
> IV von der Leisungshöhe zumeist schlechter dahestehen; 2.) Das 
> FDP-Bürgergeld orientiert sich am workfare-Konzept. Als Beweis nur 
> einen Satz aus der Studie "Liberales Bürgergeld kontra bedingungsloses 
> Grundeinkommen 
> <http://www.fdp-lsa.de/fileadmin/download/PA-Buergergeld_Grundeinkommen.pdf>" 
> der Friedrich-Naumann-Stiftung: "Von einem Bürgergeldempfänger, der 
> gesund ist und keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat, ist 
> grundsätzlich zu erwarten, dass er zu einer Gegenleistung an die 
> Gemeinschaft bereit ist oder eine ihm angebotene Arbeit annimmt. 
> Andernfalls wird sein Bürgergeld merklich verringert."
> Ein faktischer Arbeitszwang für "Gesunde" also, der konkret mit 
> Sanktionen erzwungen und normativ mit einer "Gegenleistung an die 
> Gemeinschaft" begründet wird. Diese /Arbeitslagerethik/ würde der von 
> mir geschätzte Gilles Deleuze unter die "Mikrofaschismen" einordnen. 
> Sollte sowas Gesellschaftsfähig werden - und einige sind schon wieder 
> auf dem Weg dahin (siehe die Äußerungen über die Nützlichkeit 
> bestimmter Menschen von Sarazzin) -, dann ist es ein gesellschaftlich 
> (wieder) hegemonialer Faschismus.
> Oder gibt es dann doch "Hegels List der Vernunft", wie Michael Opielka 
> schreibt: "Die FDP-Studie -- wie auch alle anderen vergleichbaren 
> Papiere -- versäumen jedoch aus guten Gründen, die Umsetzung genauer 
> zu beschreiben. Sie wäre unmenschlich, ein moderner Sklavenmarkt: die 
> Bürgergeldempfängerin müsste ihre Arbeitskraft auf Anweisung des 
> kommunalen Workfare-Büros jederzeit und zu jedem Preis bereit halten, 
> ansonsten folgt Sanktion. Insoweit gilt Hegels List der Vernunft: die 
> FDP klopft sich mannhaft auf die Workfare-Schenkel und wird praktisch 
> ein Grundeinkommen einführen"?
> Ich glaube nach Auschwitz und dem Gulag nicht mehr an die dialektische 
> "List der Vernunft" in der Moderne. Mir liegt das a-dialektische, 
> differenzielle Denken eines Foucault oder Deleuze näher und Letzterer 
> würde wohl die Frage stellen: Was sind die Verkettungen und 
> gesellschaftlichen Fluchtlinien, mit denen das FDP-Bürgergeld eine 
> neue Verkettung eingehen könnte? Sind es die emanzipatorischen oder 
> faschistischen? Im Grunde ist die Antwort recht einfach. Denn das 
> FDP-Bürgergeld setzt die "Freiheit" und den Status des "Bürgers" unter 
> eine Bedingung: die der Lohnarbeit. Insofern ist dies einfach nur 
> reaktionär. Und jeder, der Guido Westerwelles Hetzreden gegen "Faule" 
> einmal bei einer Wahlkampfveranstaltung erleben durfte, bestätigte mir 
> noch immer: das ist reaktionär. Dahinter steht ein im sehr schlechten 
> Sinne konservatives, geistig unbewegliches, unmodernes und 
> partikulares Welt- und Menschenbild.
> Die FDP hatte einmal einen Karl-Hermann Flach und spannende Texte wie 
> die Freiburger Thesen. Jetzt hat sie den omnipräsenten Westerwelle. 
> Zumindest nehme ich an, dass dieser nicht genügend Tiefe und 
> politische Weite hat, um überhaupt irgend etwas in der Republik 
> nachhaltig durchzusetzen. Aber das haben genügend andere von anderen 
> Politikern in Deutschland zuvor ja auch geglaubt.
> Liebe Grüße
> Robert
>  
> -- 
> Robert Zion Vorstandssprecher
> B'90/Grüne KV Gelsenkirchen
> Tel: 0209-3187462 / Mobil: 0176-24711907
> E-Mail: zion at robert-zion.de <mailto:zion at robert-zion.de>
> www.robert-zion.de <http://www.robert-zion.de/>
>
>     ----- Original Message -----
>     *Sent:* Saturday, October 10, 2009 1:28 PM
>     *Subject:* Re: [Gr.NetzGE] [Debatte] FDP-B ü rgergeld, BDK Rostock
>
>     Liebe Liste,
>
>
>     ich habe mir die Diskussion zum Bürgergeld angesehen (und den
>     FDP-Antrag im Original!). Irgendwie juckt es mich, heute mal den
>     "advocatus diaboli" zu spielen.
>
>
>     Wenn ich das alles ohne Scheuklappen auf mich wirken lasse, muss
>     ich zunächst einmal feststellen, dass das FDP-Konzept viele
>     Komponenten des BW-Antrages zum Grundeinkommen enthält.
>
>
>     Es sieht die Einführung einer Negativen Einkommensteuer (und zwar
>     ziemlich ähnlich der von uns in BW vorgeschlagenen) vor.
>
>
>     Es verbessert die Zuverdienstmöglichkeiten bzw.-Anreize gegenüber
>     Hartz IV erheblich. Vielleicht erinnert Ihr Euch, dass sich die
>     BDK in Nürnberg (auf Druck der Parteiführung) nur zu folgendem
>     Beschluss durchringen konnte:
>
>
>     "Bis zu einem Verdienst von 400 Euro soll jeder zweite Euro
>     anrechnungsfrei bleiben, darüber hinaus soll ein Anteil des
>     Verdienstes von über 20 Prozent bei den EmpfängerInnen verbleiben."
>
>
>     Da ist die FDP auch nicht schlapper: bis 100 Euro 85%, von 100 bis
>     600 Euro 40%, dann bis 1200 Euro 20 %, über 1200 Euro 10%.
>
>
>     Ohne Anspruch auf Vollständigkeit stören mich beim FDP-Konzept 3
>     Punkte:
>
>     1. die Höhe des Bürgergeldes
>
>     2. die Beibehaltung der Bedarfsgemeinschaften
>
>     3. die Sanktionierung bei Ablehnung eines Arbeitsangebotes
>
>
>     Ohne dass ich das jetzt im Detail geprüft habe, kommt es mir so
>     vor, als ob sich durch das FDP-Bürgergeld die Situation gegenüber
>     dem heutigen Hartz IV nicht verschlechtern würde.
>
>
>     Auf der anderen Seite bekämen wir einen grundsätzlichen
>     Systemwechsel zu einer negativen Einkommensteuer in unserem Sinn
>     und - zumindest vom Grundsatz her - einen ersten kleinen Einstieg
>     in Richtung Grundeinkommen. Wenn dann nach 2013 die
>     CDU-FDP-Regierung abgewählt wird, brauchen wir doch nur noch das
>     Bürgergeld zu erhöhen und die  Bedarfsgemeinschaften sowie die
>     Sanktionierungen abzuschaffen und schon haben wir ein partielles
>     Grundeinkommen wie im BW-Antrag vorgesehen.
>
>
>     Also: ich würde die FDP nur hinsichtlich der oben genannten 3
>     Punkte angreifen und im übrigen machen lassen. Wenn die FDP sich
>     bei den Koalitionsverhandlungen duchsetzen würde, hätten wir den
>     ungeheuer wichtigen grundsätzlichen Paradigmen-/Systemwelchsel
>     schon geschafft und müssten dann nur noch reformieren. Das wäre
>     doch schon mal was!
>
>
>     Ich finde, die FDP ist mit ihrem Bürgergeld-Vorschlag um Welten
>     mutiger und innovativer als wir! Mehr als sie da vorschlagen,
>     können wir von der FDP als Klientel-Partei ersthaft nicht erwarten!
>
>
>     Im Vergleich dazu haben wir Grüne uns bisher zu nicht viel mehr
>     als einem geringfügig aufgebesserten Hartz IV durchringen können.
>     Ich finde das ziemlich schlapp und unserer Partei nicht würdig.
>     Wir sollten uns wirklich an der FDP ein Beispiel nehmen!
>
>
>     Ich bin davon überzeugt, dass der grundsätzliche Systemwechsel von
>     der FDP viel leichter durchgesetzt werden kann, als wenn der
>     Vorschlag aus unserer Ecke käme. Bei der FDP vermutet zu Recht
>     niemand, dass damit die soziale Hängematte unterstützt wird.
>     Lassen wir doch die FDP diese Aufgabe übernehmen. Damit ist
>     mindestens die halbe Miete geschafft. Die anschließende
>     Reformierung ist dagegen nur noch eine vergleichsweise einfache Übung!
>
>
>     In diesem Sinn herzliche Grüße aus Stuttgart
>
>
>     P.S. ich wappne mich bereits durch mentale Stärkung gegen die Flut
>     der jetzt über mich hereinbrechenden Entrüstung. Ich werde es
>     ertragen.
>
> ------------------------------------------------------------------------
>
> _______________________________________________
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> Gruenes_Netzwerk_Grundeinkommen at gruene-berlin.de
> http://gruene-berlin.de/cgi-bin/mailman/listinfo/gruenes_netzwerk_grundeinkommen
>   


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