[Debatte-Grundeinkommen] Kritik am Grundeinkommen
Joerg Drescher
iovialis at gmx.de
So Nov 29 13:38:53 CET 2009
Hallo zusammen,
in Kiew hatte ich seit dem Symposium mehrere Gespräche über die Idee des
Grundeinkommens und konnte mir einige Kritik anhören, die ich hier zur
Diskussion stelle. Dabei geht es weniger um eine Ablehnung der Idee, die aus
meiner Sicht Alternativen erfordern, sondern um Folgen, die mit der
Einführung verbunden wären. Die Auflistung und Beschreibung ist nicht
gewichtet.
.) Kompetenz zur Freiheit
Kompetenz wurde hierbei als individuelle (erlernte)
Fähigkeit/Fertigkeiten/Motivation verstanden, um gewisse Probleme (in diesem
Fall "Freiheit") verantwortungsvoll zu lösen, bzw. damit umzugehen. Das
Grundeinkommen wurde ein Mehr ein (materieller) Freiheit zugesprochen, was
allerdings nicht mit einem Mehr an Kompetenz einhergehen würde. Kurz gesagt:
bedingungsloses Geld macht Menschen nicht kompetenter, um mit der
einhergehenden Freiheit umzugehen.
.) Einkommensbesteuerung
Modelle, die Einkommen besteuern, führten zur Frage, weshalb jemand für
andere arbeiten solle, die von dieser Arbeit profitieren, ohne selbst etwas
dafür zu leisten (obwohl sie könnten). Der solidarische Gedanke, anderen im
Notfall zu helfen, ist dabei ausgenommen (heutiges "Versicherungssystem").
In den Gesprächen spielte die "Unbekanntheit der Person" eine Rolle (man ist
in seiner Familie "solidarer", als gegenüber "Fremden").
.) Klima und Ressourcen
Aufgrund des kommenden Weltklimagipfels wurde bemängelt, daß ein
Grundeinkommen einen Wirtschaftsaufschwung mit sich bringen würde, da
Menschen plötzlich über Mittel verfügten, um sich Waren/Dienstleistungen
kaufen zu können, die sie sich sonst nicht leisten würden. Meinen
Gesprächspartnern war klar, daß es eigentlich unmöglich ist, daß die ganze
Welt auf dem (materiellen) Niveau von z.B. Deutschland leben kann - dazu
reichen einerseits die Ressourcen nicht aus, andererseits (selbst wenn),
würde es zu einer Umweltverschmutzung führen, die die Erde nicht verkraften
könne.
.) Staatliche Abhängigkeit
Die Erfahrungen mit der UdSSR lösten bei der Vorstellung eines
Grundeinkommens die Ansicht aus, daß man wieder vom jeweiligen Staat
abhängig sei. Vor allem bestand die Sorge, daß man ungern in die Hand beißen
würde, die einen schließlich "füttert" und dadurch dem Staat
Handlungsspielräume zur Totalitarität entstehen.
.) Monetäre Abhängigkeit
In der Ukraine wird auch heute noch relativ viel Subsistenzwirtschaft
betrieben. Bsp: Im Süden werden Melonen angebaut, die gegen Kartoffeln aus
dem Norden getauscht werden - bei diesem Handel fließt kein Geld. Einerseits
bedeutet dies, daß bei diesem Handel keine Steuereinnahmen entstehen,
andererseits befürchtet man, daß solche Praktiken monetarisiert werden und
Geld noch wichtiger wird, als es heute schon ist.
.) Korruption
Korruption ist in der Ukraine "instutionalisiert". Soll heißen: um Polizist
zu werden, der an der Straße Autos anhalten kann, damit er eine bestimmte
Summe kassiert, muß man einerseits Geld für die Ausbildung bezahlen
(schwarz, damit man den Ausbildungsplatz überhaupt bekommt) und andererseits
gibt der Straßenpolizist der Rangfolge nach oben Geld ab. Die Einnahmen aus
Korruption kann man dabei als bequemes "leistungsloses Zusatzeinkommen"
bezeichnen. Warum sollte sich diese Praxis durch ein Grundeinkommen ändern?
.) "Mafiöse Strukturen"
Zuhälter und andere "Akteure" im kriminellen Milieu dürften nicht gerade
begeistert von der Idee sein, da sich ihr "Personal" nicht so einfach durch
die Abhängigkeit von Geld gezwungen fühlt, das zu tun, was man von ihnen
verlangt.
Über Meinungen zu diesen Themen, die durchaus auch für Deutschland relevant
sind, freue ich mich.
Viele Grüße aus Kiew,
Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
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