[Debatte-Grundeinkommen] Kampagne: Volksentscheid ins Grundgesetzstartet!

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
So Mai 10 12:12:20 CEST 2009


Hallo Stefan,

Deine Argumentation in allen Ehren, doch gehe ich mit meinem Veto von einem 
etwas anderen Ansatz aus. Zum einen beschäftige ich mich seit vielen Jahren 
(um genau zu sein, seit 1993) mit dem Thema Demokratie und kam relativ spät 
zum Grundeinkommen, zum anderen will ich gar nicht mitbestimmen, sondern 
vielmehr mitreden. Ich will meine Bedenken bei einem Thema äußern und 
Alternativen vorschlagen können, statt nur "ja" oder "nein" zu etwas zu 
sagen, das zur Entscheidung ansteht.

Angenommen, man stimmt darüber ab, ob ein Grundeinkommen eingeführt werden 
soll, kann einerseits das Grundeinkommen durch die Mehrheit abgelehnt 
werden, andererseits ist BGE nicht gleich BGE. Dein Beispiel mit der Schweiz 
hinkt zudem, da mir auf dem Kongress in Berlin über die Schweiz etwas gesagt 
wurde, was mich sehr überraschte: Die Schere zwischen Arm und Reich ist in 
der Schweiz heftig - trotz Volksabstimmung.

Mein Menschenbild geht davon aus, daß jeder die Freiheit und damit das 
natürliche Recht hat "nein" zu sagen. Selbst wenn eine überwiegende Mehrheit 
"ja" sagt, sollte es dem Einzelnen möglich sein, sich gegen die 
Mehrheitsentscheidung zu stellen. Damit dieses Naturrecht nicht inflationär 
benutzt wird, sollte derjenige, der Veto einlegt, Alternativen vorschlagen.

Einerseits bin ich für ein "staatliches Vorschlagswesen", andererseits für 
Bürgergutachten, um das Thema zu erörtern. Mir geht es nicht um Kompromiss-, 
sondern um Konsensentscheidungen. Das Mitspracherecht steht für mich höher, 
als das Mitentscheidungsrecht - beides sind Formen der Mitbestimmung.

Der "dumme Nachbar" ist in meinen Augen berechtigt, da mir nicht bekannt 
sein kann, wie er zu seiner Entscheidung kam. Sind es persönliche Interessen 
(auf Kosten des Gemeinwohls) oder liegt der Entscheidung das Wohle der 
Gemeinschaft zugrunde? In Bürgergutachten ist dies nachvollziehbar, aber 
nicht bei puren Volksentscheiden. Mit Bürgergutachten wird Transparenz bei 
der Entscheidungsfindung geschaffen, mit dem Veto-Recht und implizierten 
Alternativvorschlagszwang wird auf das Mitspracherecht eingegangen und damit 
ist es auch unwichtig, ob nun eine kleine Gruppe entscheidet oder alle.

Die gesamte Thematik wurde von mir in einer "Staatstheorie" behandelt und 
ich sprach ausführlich mit Daniel Schily von "Mehr Demokratie" im Konsens 
über dieses Thema:
http://www.iovialis.org/counting.php?file=Jovialismus_Staatstheorie.pdf

Wie Du in einer anderen Mail schreibst, daß diese Thematik nicht im Programm 
der PsgD zu finden sei, hängt damit zusammen, daß wir noch nicht dazu kamen 
(schließlich lebe ich in der Ukraine), dieses Thema ins Programm 
aufzunehmen. Allerdings arbeitet die PsgD und das "Projekt Jovialismus" eng 
zusammen, weshalb das Programm der PsgD früher oder später ergänzt werden 
wird.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org







----- Original Message ----- 
From: "Stefan Kaechele" <info at palmzip.de>
To: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>; 
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Friday, May 08, 2009 11:05 PM
Subject: Re[2]: [Debatte-Grundeinkommen] Kampagne: Volksentscheid ins 
Grundgesetzstartet!


> Hallo Joerg,
>
>> hier lege ich ein ganz klares VETO ein! Ich bin gegen
>> Volksentscheide auf allen Ebenen.
>
> deine vehementes VETO in ehren, aber ich MÖCHTE mitbestimmen und nicht
> nur mitreden!
>
> und was ist das für eine merkwürdige vernunft, an die du da appellierst:
>
>> Und ich appeliere an die Vernunft aller, die nach Volksentscheiden 
>> rufen -
>> warum wollt ihr die Diktatur der Mehrheit?
>
> jedenfalls nicht meine, denn ich sehe seit jahren in der Schweiz wie
> bürgerdemokratie in der gelebten PRAXIS aussieht. sehr pragmatisch,
> aufs gemeinwohl bedacht und sehr kompromissfreudig.
>
> deshalb gibt es dort auch nur einen mehrwertsteuersatz von 7,6%
> (der vergleichbare satz beträgt in -D- bekanntlich 19%), und die
> altersvorsorge ist gesichert und die krankenkassenbeiträge sind
> deutlich niedriger. grund: volksentscheide und keine deutsche
> verschwendungspolitik.
> natürlich ist die Schweiz deshalb kein paradies. aber man traut sich
> und seinem nachbarn zu, politisch zu entscheiden und auch mal einen
> fehler zu machen, der ja auch wieder korrigierbar ist.
> und an die urne gehen hauptsächlich die leute, die das abstimmungsthema
> betrifft oder berührt. so kommt einerseits die scheinbar niedrige
> wahlbeteiligung(bei ca. 10 - 20 wahlvorgängen/jahr) aber auch hohe
> kompetenz zusammen.
>
> steckt hinter dem ausdruck "die diktatur der mehrheit" nicht die angst
> vor dem "angeblich dummen nachbarn", der ja die politik nicht
> durchschaut und "falsch" entscheiden könnte?
> und übrigens: ist das nicht beim BGE haargenau das gleiche?
> und was könnte er denn falsch entscheiden?
> und müsste er dann nicht damit eine zeit lang leben und hoppla, ich
> entscheide mich bei nächsten mal anders und neu.
> und hoppla es ist ja mein land, für und in dem ich entscheide, mit
> allen konsquenzen.
> da könnte mancheiner zum ersten mal in seinem leben anfangen zu denken!
>
> alles andere ist bevormundung, vielleicht gut gemeint, aber als ob ich
> einen kind die möglichkeit nehme, erfahrungen zu sammeln und zu
> wachsen, weil: es könnte ja mal auch auf die heisse herdplatte fassen.
> sprich: wir haben die diktatur der gutgemeinten bevormundung durch
> grauhaarige experten bereits.
>
> steckt dahinter nicht auch die psychische altlast der weimarer republik
> und deren brauner sturz, ein ereignis, das noch tief ins unseren
> deutschen knochen sitzt?
> was sind das für seltsame ängste und das misstrauen der deutschen vor der
> eigentlich herbeigesehnten entscheidungsfreiheit und vor sich selbst?
> wollen wir bei dem tiefsitzenden und spaltenden groll: "auf die da
> oben" stehen bleiben?
>
> konkret: sag doch mal laut, was deine befürchtungen eigentlich sind?
> was könnte passieren, wenn in -D- der bürger endlich (mit)entscheidet?
>
> die schweizer stimmen sogar über ihre steuern oder gebührenordnungen
> ab. und warum klappt das?
> weil sich die schweizer mit ihrem land identifizieren. es ist ihr
> land! deshalb ist steuerhinterziehung auch kein straftatbestand(sehr
> wohl eine teure ordnungswidrigkeit!), weil es diese spaltung zwischen
> dem staat und dem bürger in der form nicht gibt.
>
> ich hab diese rot-schwarz-grün-gelb-rosane kasperletheater,
> diese, eines erwachsenen menschen unwürdige, schmierenkomödie so satt.
>
> ich will damit nicht sagen, dass es keine parteien mehr geben soll.
> natürlich soll es weiter parteien geben, die die strömungen,
> meinungen und absichten in einem land wiederspiegeln, aber ich möchte,
> dass sie spüren, dass ihnen der bürger auf die finger schaut und STOPP
> ruft, wenn wieder ein politischer dünnpfiff ausgeklüngelt worden ist.
>
> direktdemokratie heisst vor allem, verantwortung für seine
> entscheidungen zu übernehmen und sie bedeutung praktisch diskussion
> und intensive auseinandersetzung.
>
> da steht nicht morgen urplötzlich ein bürgerentscheid an, der dann schwarz
> weiss entschieden wird. das sind nur ängstliche phantasien darüber,
> wie direktdemokartie abläuft.
>
> da wird (jedenfalls in der Schweiz) um kompromisse gerungen, um
> möglichst viele leute unter einen hut zu bringen (und nicht nur 4
> kurzsichtige jahre die wähler meiner partei).
>
> ich glaube, dass in -D- diese demokratieevolution ansteht.
>
> ---
> ________________________
> Mit freundlichen Grüssen,
> Stefan Kächele
> Alter Rank 1
> D-79725 Laufenburg
> Germany
> mailto:info at palmzip.de 




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