[Debatte-Grundeinkommen] BGE = DDR 2.0 ?

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Fr Mai 8 21:59:48 CEST 2009


Hallo zusammen,

das Internet ist schon eine tolle Sache, denn dort findet man auch die
Verfassung der DDR (hier von 1949):
http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html

Darin heißt es:
Artikel 15:
(1) Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt.
(2) Das Recht auf Arbeit wird verbürgt. Der Staat sichert durch
Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt. Soweit dem
Bürger angemessenen Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird
für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.

Artikel 19
(1) Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen sozialer
Gerechtigkeit entsprechen; sie muß allen ein menschenwürdiges Dasein
sichern.
(2) Die Wirtschaft hat dem Wohl des ganzen Volkes und der Deckung seines
Bedarfes zu dienen; sie hat jedermann einen seiner Leistung entsprechenden
Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu sichern.
(3) Im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche Freiheit des
einzelnen zu gewährleisten.

Artikel 93
Die Mitglieder der Regierung werden bei ihrem Amtsantritt vom Präsidenten
der Republik eidlich verpflichtet, ihre Geschäfte unparteiisch zum Wohle des
Volkes und getreu der Verfassung und den Gesetzen zu führen.

Kommentar:
Art. 15(2) besagt, daß jeder ein Recht auf Arbeit hat; wenn er sein Recht
nicht wahrnimmt (weil der Bürger eine Arbeit als unangemessen betrachtet und
damit die Angemessenheit nicht nachgewiesene werden kann), wird trotzdem für
seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. Hört sich nach BGE an. Art. 19(2)
besagt, daß jeder am gesamten Volksvermögen teilhaben soll - und zwar
Anteilig seiner Leistung, was dem BGE-Gedanken entspricht, für seine
Leistung mehr zu bekommen, als durch Art. 15(2) (bei Nichtarbeit nur den
notwendigen Unterhalt). Eigentlich wäre für die DDR eine negative
Einkommenssteuer genau das richtige gewesen, um diese verfassungsrechtlichen
Garantien umzusetzen. Für Ansätze nach G.W.Werner oder Dilthey
(Konsumbesteuerung) hätte man Art. 19(2) ändern müssen: "Die Wirtschaft hat
dem Wohl des ganzen Volkes und der Deckung seines Bedarfes zu dienen; sie
hat jedermann einen Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu sichern und ihn
entsprechend seiner Leistung zu entlohnen." Der Unterschied: "Anteil am
Ergebnis der Produktion" wird durch den Mehrwert bestimmt, während "seiner
Leistung entsprechenden Anteil am Ergebnis der Produktion" eine
Arbeitsbesteuerung darstellt.

Art. 93 ähnelt Art. 56/Art. 64(2) des Bundesdeutschen Grundgesetzes. Auch
hier geht es um das "Wohl des Volkes" ;-)

Wahrscheinlich gibt's noch mehr interessante Stellen in dieser Verfassung,
die sich prima und schön anhören - das gilt auch fürs Grundgesetz der BRD,
aber es zeigt, daß die schönste, gerechteste und jovialste Verfassung nichts
bringt, wenn sie nicht entsprechend umgesetzt wird.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org
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