[Debatte-Grundeinkommen] Kritik am Grundeinkommen

michael at fielsch.de michael at fielsch.de
Do Dez 3 08:35:36 CET 2009


Werter Jörg,

mit großem Interesse verfolge ich die (Deine) BGE-Aktivitäten in Kiew bzw. 
in der (ganzen?) Ukraine.
Als ehemaliger DDR-Bürger bin ich die letzten Jahre ein wenig auf eigene 
Faust durch Russland gereist. Ich war in Briansk, in Joschkar-Ola, in 
Samara an der Wolga, in Novosibirsk, in Tomsk und letztendlich aber auch 
mehrmals in Kirgisien (Bishkek ehemals Frunze, Kant und rund um den 
paradiesischen Hochgebirgssee Issyk-Kul :-)

Da ich die westliche Lebensweise mehr oder weniger stark ablehne, wollte 
ich mich einmal mehr Richtung Osten umschauen und bin aber über die 
unmenschlichen Verhältnisse und brutalen Lebensbedingungen mehr als 
geschockt. Das die Diktatur des Kapitals das ehemalige kluge und tolerante 
Sowjetvolk in solch eklatante Verhältnisse stürzen kann, ist mir eine 
riesengroße Warnung und zeigt mir wohin die Reise - weltweit - geht wenn 
wir uns ALLE nicht zügig ändern.

Ich habe mich auch auf Grund meiner russischen Erlebnisse wieder in den 
Schutz meiner (verhassten) BRD zurückgezogen um von da aus den Kampf gegen 
die unsozialen Elemente anzugehen.

Mehr über meine Person erfährst Du über unten stehende Links, wobei mich 
aber auch Deine persönlichen Beweggründe interessieren würden bzw. wie Du 
nach Kiew gekommen bist.
Meine Kenntnisse der russischen Sprache sind leider nur noch rudimentär. 
Für richtige Gespräche oder dem Schreiben reicht es bei weiten nicht aus.


Sehr aktiv bin ich in der Berliner Bürgerinitiative bedingungsloses 
Grundeinkommen e.V. (BbG)…

http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de


Als Kommunikationselektroniker habe ich für die freie BGE-Bewegung ein 
bundesweites Konzept erstellt (kostenlose bundesweit dezentrale 
BGE-Info-Hotline) welches über die Gründung eines Vereins inzwischen in 
die Praxis übergeht…

http://www.monratos.com

Wir (die BbG und viele weitere bundesweiten BGE-Initiativen) bauen im 
nächsten Jahr ein bundesweites BGE-Dozenten-Netzwerk auf, so dass die 
BGE-Dozenten dann auf gemütlichen BGE-Partys das BGE an den Mann bzw. die 
Frau bringen können (BGE statt Tupper-Partys ;-)

Ich habe mir natürlich auch viele Gedanken darüber gemacht, wie wohl das 
BGE politisch umsetzbar ist bzw. welche Partei dies am ehesten vorwärts 
treiben kann. Ich bin darauf hin zu der Ansicht gekommen, dass die absolut 
basisdemokratische Piratenpartei die richtige Vereinigung für mich sei, 
weswegen ich dieser beigetreten bin…

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Mfielsch


In dieser Organisation bringe ich mich natürlich auch wieder sehr stark 
für das BGE ein…

http://wiki.piratenpartei.de/BE:Squads/BGE


Ich stehe derzeit mit einer netten Ukrainerin aus Dneprodzerzinsk im 
e-mail Kontakt, die das BGE natürlich für gut hält, sich selbst aber 
leider nicht einbringen möchte.

Ich würde mich über einen (persönlichen) deutsch-ukrainischen 
BGE-Austausch sehr freuen und würde aber nicht nur deswegen gerne einmal 
(im nächsten Sommer?) nach Kiew kommen wollen.

Mit besten Grüßen aus Berlin

Micha




> Hallo zusammen,
> 
> in Kiew hatte ich seit dem Symposium mehrere Gespräche über die Idee des 

> Grundeinkommens und konnte mir einige Kritik anhören, die ich hier zur 
> Diskussion stelle. Dabei geht es weniger um eine Ablehnung der Idee, die 
aus 
> meiner Sicht Alternativen erfordern, sondern um Folgen, die mit der 
> Einführung verbunden wären. Die Auflistung und Beschreibung ist nicht 
> gewichtet.
> 
> .) Kompetenz zur Freiheit
> Kompetenz wurde hierbei als individuelle (erlernte) 
> Fähigkeit/Fertigkeiten/Motivation verstanden, um gewisse Probleme (in 
diesem 
> Fall "Freiheit") verantwortungsvoll zu lösen, bzw. damit umzugehen. Das 
> Grundeinkommen wurde ein Mehr ein (materieller) Freiheit zugesprochen, 
was 
> allerdings nicht mit einem Mehr an Kompetenz einhergehen würde. Kurz 
gesagt: 
> bedingungsloses Geld macht Menschen nicht kompetenter, um mit der 
> einhergehenden Freiheit umzugehen.
> 
> .) Einkommensbesteuerung
> Modelle, die Einkommen besteuern, führten zur Frage, weshalb jemand für 
> andere arbeiten solle, die von dieser Arbeit profitieren, ohne selbst 
etwas 
> dafür zu leisten (obwohl sie könnten). Der solidarische Gedanke, anderen 
im 
> Notfall zu helfen, ist dabei ausgenommen (heutiges 
"Versicherungssystem"). 
> In den Gesprächen spielte die "Unbekanntheit der Person" eine Rolle (man 
ist 
> in seiner Familie "solidarer", als gegenüber "Fremden").
> 
> .) Klima und Ressourcen
> Aufgrund des kommenden Weltklimagipfels wurde bemängelt, daß ein 
> Grundeinkommen einen Wirtschaftsaufschwung mit sich bringen würde, da 
> Menschen plötzlich über Mittel verfügten, um sich Waren/Dienstleistungen 

> kaufen zu können, die sie sich sonst nicht leisten würden. Meinen 
> Gesprächspartnern war klar, daß es eigentlich unmöglich ist, daß die 
ganze 
> Welt auf dem (materiellen) Niveau von z.B. Deutschland leben kann - dazu 

> reichen einerseits die Ressourcen nicht aus, andererseits (selbst wenn), 

> würde es zu einer Umweltverschmutzung führen, die die Erde nicht 
verkraften 
> könne.
> 
> .) Staatliche Abhängigkeit
> Die Erfahrungen mit der UdSSR lösten bei der Vorstellung eines 
> Grundeinkommens die Ansicht aus, daß man wieder vom jeweiligen Staat 
> abhängig sei. Vor allem bestand die Sorge, daß man ungern in die Hand 
beißen 
> würde, die einen schließlich "füttert" und dadurch dem Staat 
> Handlungsspielräume zur Totalitarität entstehen.
> 
> .) Monetäre Abhängigkeit
> In der Ukraine wird auch heute noch relativ viel Subsistenzwirtschaft 
> betrieben. Bsp: Im Süden werden Melonen angebaut, die gegen Kartoffeln 
aus 
> dem Norden getauscht werden - bei diesem Handel fließt kein Geld. 
Einerseits 
> bedeutet dies, daß bei diesem Handel keine Steuereinnahmen entstehen, 
> andererseits befürchtet man, daß solche Praktiken monetarisiert werden 
und 
> Geld noch wichtiger wird, als es heute schon ist.
> 
> .) Korruption
> Korruption ist in der Ukraine "instutionalisiert". Soll heißen: um 
Polizist 
> zu werden, der an der Straße Autos anhalten kann, damit er eine 
bestimmte 
> Summe kassiert, muß man einerseits Geld für die Ausbildung bezahlen 
> (schwarz, damit man den Ausbildungsplatz überhaupt bekommt) und 
andererseits 
> gibt der Straßenpolizist der Rangfolge nach oben Geld ab. Die Einnahmen 
aus 
> Korruption kann man dabei als bequemes "leistungsloses Zusatzeinkommen" 
> bezeichnen. Warum sollte sich diese Praxis durch ein Grundeinkommen 
ändern?
> 
> .) "Mafiöse Strukturen"
> Zuhälter und andere "Akteure" im kriminellen Milieu dürften nicht gerade 

> begeistert von der Idee sein, da sich ihr "Personal" nicht so einfach 
durch 
> die Abhängigkeit von Geld gezwungen fühlt, das zu tun, was man von ihnen 

> verlangt.
> 
> Über Meinungen zu diesen Themen, die durchaus auch für Deutschland 
relevant 
> sind, freue ich mich.
> 
> Viele Grüße aus Kiew,
> 
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
> 
> 
> 
> 
> _______________________________________________
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> JPBerlin - Politischer Provider
> Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen



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