[Debatte-Grundeinkommen] Durchbruch in Frankreich

zenobius2004 at gmx.net zenobius2004 at gmx.net
Mi Sep 3 18:47:08 CEST 2008


> > man kann sich auch ganz einfach an die Definition des Grundeinkommens 
> > halten, schon wird klar, dass das RSA keins ist, wie auch Hartz IV 
> > keins ist:
> 
> Hier muss ich schon mal anmerken, dass er folgenden um unser Statut
> abhandelt, und es sich keineswegs um die "Definition" von Grundeinkommen handelt!
> Im übrigen befürworten wir, auch ich, ein "bedingungsloses", davon aber
> habe ich in meiner Lobeshymne(?) auch gar nicht gesprochen.
> ICH war schon vor Hartz IV ein Befürworter des BGE, allerdings
> zugegebenermaßen kein besonders engagierter...
> Jedenfalls fürchte ich, dass es angesichts des beeindruckenden
> zahlenmäßigen Rückgangs der Arbeitslosigkeit schwierig ist, die Politik davon zu
> überzeugen, dass Zwang prinzipiell verwerflich ist.

wer ist "die politik"? die hartz-IV-parteien, die an ihrem konzept festhalten? warum sollte irgendwer die überzeugen wollen, anstatt sie einfach abzuwählen?

> Ich habe "RSA Sarkozy" gegooglet, dabei zahllose Zeitungsartikel gefunden.
> In den deutschen wurde an keiner Stelle der Zwang zur Arbeit kritisiert,
> besonders auffällig ist jedoch, dass auch die französischen Linken daran
> nichts Verwerfliches zus sehen scheinen!

aus kreisen der außerparlamentarischen französischem linken ist der RSA, wie er von seinem urheber und jetzigen regierungsmitglied Martin Hirsch konzipiert und letztes jahr dann ins programm der regierung Sarkozy übernommen worden ist, schon letztes jahr einer scharfen kritik unterzogen worden; und als mittel bei der einführung eines arbeitszwanges für "sozialhilfeempfänger" angeprangert worden:

http://nantes.indymedia.org/article/13312
http://www.ac.eu.org/spip.php?article1657

tatsächlich ist das konzept, das hinter der ersetzung des RMI durch den RSA steht, in den grundzügen dasselbe, das hinter der ersetzung der sozialhilfe für langzeitarbeitslose durch das ALG II in der BR Deutschland stand.

> > 1. Das RSA wird lediglich in Abhängigkeit einer aufgenommen oder 
> > Anstrengung eine solche aufzunehmen gezahlt (wie jetzt die 
> > Grundsicherung für Arbeitsuchende, Hartz IV). Wenn das Zitat von 
> > Sarkozy stimmt, ist sogar eine Verschärfung des Arbeitszwanges geplant.
> > Es wird also in Frankreich eine workfare-Variante ergeben. Erstes 
> > Kriterium des Bedingungslosen nicht erfüllt.

richtig; das steht jetzt auch z.b. hier:

http://www.botschaft-frankreich.de/spip.php?article3508
(ebenso auf französisch
http://www.premier-ministre.gouv.fr/chantiers/travail_859/atteindre_plein_emploi_1291/coup_envoi_generalisation_revenu_60888.html)

* Die Zahlung des RSA verpflichtet zur Arbeitssuche.
* Jeder Bezieher des RSA hat das Recht auf unterstützende Begleitung bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess durch die öffentlichen Arbeitsamtagenturen. Gleichzeitig besteht die Pflicht zur Arbeitsaufnahme bei entsprechenden Angeboten. Bei zwei aufeinander folgenden Weigerungen, eine Arbeitsstelle anzutreten wird die Zahlung des RSA ausgesetzt.

was in der debatte nicht beachtet wird, ist, dass der RSA bloß eine teil eines paketes von änderungen ist; ein anderes war das anfang august veranschiedete "Gesetz über die Rechte und Pflichten der Arbeitssuchenden":

http://www.assemblee-nationale.fr/13/ta/ta0184.asp
http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000019277859&dateTexte=
http://www.service-public.fr/actualites/00891.html

dieses gesetz enthält die bereits zitierte sanktionsregelung, und zwar für alle arbeitslosen (d.h. auch diejenigen, die noch bezüge aus der beitragsfinanzierten arbeitslosenversicherung beziehen); darüber hinaus wird dadurch ein "projet personnalisé d'accès à l'emploi" (soviel wie "persönlicher plan zur arbeitssuche") für jeden gemeldeten arbeitslosen verpflichtend eingeführt (wer es ablehnt, wird ebenfalls aus der liste der arbeitssuchenden gestrichen); nichts anders als die "eingliederungsvereinbarung" nach Hartz IV in der BRD.

zum hintergrund vergleiche die begründung des gesetzentwurfes in der parlamentarischen debatte
(http://www.assemblee-nationale.fr/13/cra/2007-2008-extra/024.asp):

Marie-Christine Dalloz [UMP]: "Dieser Gesetzentwurf ist Teil der politischen Maßnahmen, die es uns erlauben werden, im Jahre 2012 das vom Präsidenten der Republik gesetzte Ziel einer Arbeitslosenquote von 5 % und einer Beschäftigungsquote von 70 % zu erreichen.
Meinungsumfragen zufolge befürworten vier von fünf Beschäftigten die Reform der Arbeitslosenversicherung und drei Viertel von ihnen wünschen, dass die Ablehnung einer vollwertigen Arbeitsstelle sanktioniert wird. Unsere europäischen Nachbarn haben schon viel verpflichtendere Regelungen beschlossen.
Dieser Text ist ausgewogen und wird effizient sein. Er führt das "projet personnalisé d’accès à l’emploi" ("personalisierter Arbeitsaufnahmeplan") ein und vollendet damit das Vorhaben der individuellen Betreuung der Arbeitssuchenden ...."

von der opposition wurde dieser gesetzesentwurf im übrigen in der parlamentarischen debatte sehr wohl kritisiert, z.b.:

M. Jean-Patrick Gille: "Das wahre Ziel dieses Textes ist es, die Arbeitssuchenden, und besonders die verletzbarsten unter ihnen, dazu zu bringen, diejenigen Arbeitsplatzangebote anzunehmen, die niemand haben will, weil sie zu prekär oder schlecht bezahlt sind. Das ist leider die Mehzahl der bei der Nationalen Arbeitsagentur (ANPE) verfügbaren Angebote.
Wenn sie diese ablehnen, werde die Betreffenden aus den Listen gestrichen, was es erlauben wird, die Statistiken zu verbessern, und das Arbeitslosengeld wird gestrichen, um soviel Geld wie möglich zu sparen ...
So eine Politik wird nur die Zweiteilung des Arbeitsmarktes verschlimmern: Die einen werden Überstunden machen, die anderen die "bad jobs". Diese Maßnahmen beruhen auf einer neoliberalen Ideologie, die danach strebt, um jeden Preis die Kosten der Arbeit zu verringern, und die dabei falls erforderlich soziale Errungenschaften zerstört. Diese Politik scheitert überall in der Welt, denn sie bringt im Kontext der Globalisierung nichts. Sie verwickelt uns jedoch in einen Pozess der Pauperisierung eines wachsenden Teiles der Beschäftigten: das ist die Vervielfachung der armen Arbeiter."

die parlamentarische behandlung des RSA steht im übrigen noch bevor (außerordentliche sitzung ab dem 22..09.2008).
http://www.premier-ministre.gouv.fr/chantiers/travail_859/atteindre_plein_emploi_1291/coup_envoi_generalisation_revenu_60888.html

> Naja, das habe ich ja bereits abgehandelt.
> 
> > 2. Es wird nach der Überprüfung des Erwerbseinkommens gezahlt, denn es
> > soll mit diesem partiell verrechnet werden. Wenn diese Überprüfung 
> > nicht von Fianzamt (in Form einer Negativsteuer/NES), sondern als 
> > sozialadministrative erfolgt, ist zweites Kriterium der 
> > Bedingungslosigkeit nicht erfüllt (man muss bedürftig sein, also ein 
> > geringes Einkommen haben). Die NES prüft auch Einkommen und Vermögen, 
> > allerdings im Rahmen der normalen Steuerabführung.
> 
> Ich sehe kein prinzipielles Problem darin. Entscheidend ist, dass die
> Anrechnung sich in einem Rahmen hält, der üblichen Einkommensteuersätzen
> vergleichbar ist. Das Althaus-Modell z.B., das ja unsere Kriterien erfüllt,
> legt sogar eine höhere Anrechnung zugrunde, was ich entsprechend auch
> kritisiere.
> 
> > 3. Nichts wird bezüglich RSA gesagt, ob es individuell garantiert ist, 
> > oder vom Einkommen aller Mitglieder einer wie auch immer rechtlich 
> > konstruierten Bedarfsgemeinschaft her berechnet wird. Wenn letzteres, 
> > dann wäre drittes Kriterium der Bedingungslosigkeit nicht erfüllt,
> weil 
> > es vom Einkommen anderer bedingt ist.
> 
> Richtig. Etwas zu kritisieren, das man gar nicht weiß, halte ich aber
> für problematisch.
> Doch selbst wenn es so sein sollte, wird es höchstwahrscheinlich zu
> keinerlei Verschlechterung führen.
> 
> > 4. Ist die Höhe des Transfers nicht teilhabe- und existenzsichernd, 
> > viertes Kriterium der Bedingungslosigkeit  nicht erfüllt, weil es eine 
> > Erwerbsarbeit zur Sicherung der Existenz und grundlegenden Teilhabe 
> > bedingt.
> > Ronald Blaschke
> 
> Man kann getrost davon ausgehen, dass die Höhe des RSA der der bisherigen
> Sozialhilfe (RMI) entspricht, sonst wäre dies von den Linken dort schon
> kritisiert worden!

im prinzip ja, wenn man den angaben der französischen botschaft folgt
(http://www.botschaft-frankreich.de/spip.php?article3508).

unterschiede ergeben sich aber bei der anrechnung von erwerbseinkommen: beim RMI wurden die einkünfte aus einer neu aufgenommenen teilzeiterwerbsarbeit in den ersten 3 monaten gar nicht angerechnet, in den folgenden 9 monaten teilweise angerechnet, nach 12 monaten entfiel der RMI ganz; nach der neuen regelung ist die anrechnungsquote unabhängig von der beschäftigungsdauer dieselbe, dass heißt, in den angangsmonaten einer neu aufgenommenen arbeit stehen die RSA-empfänger mit teilzeitarbeit sogar schlechter als bisher die RMI-empfänger, erst nach mehr als jahr haben die RSA-empfänger mit teilzeitarbeit einen finanziellen vorteil, weil der RSA im gegensatz zum RMI an beschäftigte mit geringem einkommen auf dauer weitergezahlt wird; RSA-empfänger mit vollzeitarbeit zu mindestlohn haben von anfang an einen geringen vorteil, da der RMI bei aufnahme einer vollzeitarbeit sofort entfiel; siehe die folgende übersicht:

http://www.lemonde.fr/web/infog/0,47-0@2-3224,54-1089561,0.html

das ist dasselbe, was in der BRD als "kombilohn" bezeichnet wird; nur dass in frankreich der gesetzliche mindestlohn existiert, so dass das zusätzliche RSA vor allem für teilzeitbeschäftigte von bedeutung ist, während es für vollzeitbeschäftigte nur einen geringen symbolischen betrag ausmacht.

> Ob diese beiden in der Höhe unserem Statut entprechen,
> weiß ich nicht, doch Frankreich gilt als relativ sozial(istisch)er Staat,
> daher nehme ich das stark an!

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was noch gar nicht beachtet wurde, ist darüber hinaus die finanzierung des ganzen: die erhöhung der steuer auf kapitaleinkünfte, um die mehrausgaben zu finanzieren, die durch die dauerhafte zahlung des RSA an eine vermutliche wachsende anzahl von teilzeiterwerbstätige zu finanzieren, wird nämlich eine sehr große anzahl von personen treffen, unter anderem auch alle inhaber von lebensversicherungen; geschätzt wird, dass ca. die hälfte der französischen haushalte betroffen sei könnten.
http://www.lemonde.fr/societe/article/2008/08/30/la-surtaxe-de-1-1-sur-les-revenus-du-capital-pourrait-toucher-plus-de-la-moitie-des-menages_1089628_3224.html

nicht betroffen davon wären jedoch gerade diejenigen mit den allerhöchsten einkünften, denn diese profitieren hier von der von Sarkozy eingeführten regel, nach der die summe aller direkten steuern, die ein steuerpflichtiger zahlen muss, niemals mehr als 50 % des gesamteinkommens beragen darf (andernfalls können sie rückerstattung des überzahlten verlangen); diese regel soll nämlich durch die neue steuererhöhung nicht außer kraft gestezt werden.
http://www.lemonde.fr/economie/article/2008/09/01/francois-fillon-exclut-toute-reforme-de-l-isf_1089945_3234.html

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rein finanziell profitieren also diejenigen, die auf dauer einen schlecht bezahlten arbeitsplatz haben, indem sie auf dauer zusätzlich RSA bekommen.

und indirekt profitieren die arbeitgeber, die leute auf dauer zu geringem lohn beschäftigen, da die leute jetzt durch "zuckerbrot und peitsche" dazu gezwungen werden, diese anzunehmen.

diejenigen bisher arbeitslosen, die nur zeitweise arbeitseinkünfte aus teilzeittätigkeit haben, erhalten hingegen in zukunft weniger RSA als bisher RMI.

diejenigen, die arbeit ablehnen, erhalten in zukunft am ende gar nichts mehr.

bezahlen müssen für die mehrausgaben durch höhere steuern alle besitzer irgendeiner form von kapital, also der gesamte "mittelstand", mit ausnahme der allerreichsten, die von der 50%-grenze profitieren und damit nichts zusätzlich zahlen müssen.

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was den vergleich mit dem konzept eines mehr oder weniger bedingungslosen grundeinkommens betrifft, so ist der RSA gegenüber dem RMI kein fortschritt, sondern das gegenteil:

empfänger des RMI waren zwar bisher schon verplichtet, einen "contrat d'insertion" (wörtlich: "eingliederungsvereinbarung") mit der leistungsgewährenden gebietskörperschaft (dem departement) zu schließen; in diesem war aber nicht notwendigerweise der zwang zur annahme einer angebotenen erwerbsarbeit verbunden, er konnte sich auch auf "weiterbildung", "verbesserung der bewältigung des alltagslebens" oder ehrenamtliche aktivitäten beziehen.

http://vosdroits.service-public.fr/F2364.xhtml

auf die frage "Muss man bei der Nationalen Arbeitsagentur (ANPE) registriert [d.h. als Arbeitsloser gemeldet] sein, um den RMI zu beantragen?" gibt die offizielle staatliche infoseite eine extrem gewundene antwort, die darauf hinausläuft, dass personen, die den RMI beantragen, ohne arbeitslos gemeldet zu sein, im prinzip durch die gebietskörperschaft mit hilfe des "contrat d'insertion" dazu gebracht werden sollen, sich arbeitslos zu melden, dass es aber nicht möglich ist, jemandem, der das verweigert, pauschal den antrag auf RMI zu verweigern, sondern dass in diesem fall eine meldung an die lokale "eingliederungskommission" erfolgen soll, um für den einzelfall vertieft zu prüfen.

http://vosdroits.service-public.fr/F1015.xhtml?&n=Emploi,%20travail&l=N5&n=Revenu%20minimum%20d'insertion%20(RMI)&l=N478

mit dem RSA soll dass alles offensichtlich entfallen.

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Ein "Durchbruch" ist die derzeitige Politik der Regierung Sarkozy" zweifellos; aber ein Durchbruch zu "Hartz IV europaweit".

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Psssst! Schon das coole Video vom GMX MultiMessenger gesehen?
Der Eine für Alle: http://www.gmx.net/de/go/messenger03



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