[Debatte-Grundeinkommen] Keine Hängematte

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mi Mai 7 15:37:39 CEST 2008


Hallo Theo, hallo der Rest,

so provokant Dein Vorschlag mit den Hängematten auch sein mag, so schädlich 
erscheint er mir für das Grundeinkommen!

Wer sich mit der Verhaltensökonomie beschäftigt, sollte aus dem Beispiel des 
Ultimatumspiels wissen, daß man sich selbst etwas "gutes" verwährt, wenn man 
andere für unfaires Verhalten bestrafen kann. Ich halte es für absolut 
falsch, das Grundeinkommen als Ersatz der Arbeitslosenhilfe/versicherung 
darzustellen und sich über Menschen lustig zu machen, die heute arbeiten. 
Erstens produzieren sie Waren und Dienstleistungen (auch wenn manchmal für 
wenig Geld) und zweitens tragen sie (bisher) auch noch jene "faulen Stricke" 
mit, die keine Arbeit finden (teilweise aus Sicht der Arbeitenden nur 
deshalb, weil sie sich nicht ausreichend bemühen).

Das Grundeinkommen kann nur dann etwas werden, wenn den bisherigen 
Arbeitstätigen, Selbständigen, kleinen und mittelständigen Unternehmen bis 
zu Großkonzernen klargemacht wird, daß sie (vielleicht vor allem sie) von 
dem Grundeinkommen profitieren und nicht vorrangig die heute Erwerbslosen. 
Wer nur den Profit der Armen und Hilfsbedürftigen als Argument bringt, hat 
die Idee nicht begriffen und schon gar nicht den Faktor Mensch.

Gleiches gibt auch hier: Was interessiert es einen Vater von 4 Kindern, ob 
man durch ein BGE Verwaltungskosten einspart, wenn er glaubt, daß er die 
Zeche für die BGE-Rechnung bezahlt (ohne daran zu denken, daß er und seine 4 
Kinder davon auch profitieren). Selbst solche "Vorteile" des BGEs sind nur 
bedingt für die Masse interessant. Die meisten denken primär an sich und 
sekundär an andere und noch weniger an unbekannte andere.

Ich halte einen sehr individualistischen (Werbe)Ansatz mit einer 
gemeinschaftsbildenden Prise und gesellschaftlichen Verantwortung für 
weitaus sinnvoller, als die Faulheit in einer Leistungsgesellschaft 
hochzuloben. Wenn es zur (dialektischen) Negation der Leistungsgesellschaft 
kommt, hilft auch das höchste BGE nichts, wenn niemand mehr etwas tut. Das 
Individuum sollte im Mitelpunkt stehen - ähnlich dem Kölner Werbespruch "Du 
bist der Grund für ein Einkommen" oder auch Texten von Häni/Schmidt (z.B. 
der Text zum 1.Mai 07 - im kostenlosen Sammelband: 
https://www.grundeinkommen.de/29/02/2008/literatur-sammelband-zum-bedingungslosen-grundeinkommen.html) 
und einigen anderen Beispielen.

Auch wenn der "Homo Ökonomicus" sich als "falsches Menschenbild" 
herausgestellt hat, sollte man es trotzdem beachten, da sich viele dennoch 
danach verhalten (sonst wäre es nie soweit gekommen, daß man meinte, es sei 
richtig). Der Wechsel zu einem "humaneren" (und erstrebenswerten) 
Menschenbild kann nur dadurch erfolgen, indem man sie Leute dort abholt, wo 
sie heute sind. Und Leistungsgesellschaft paßt nicht mit dem 
Hängematte-BGE-Denken zusammen.

Vielleicht kennt jemand die Maschinenstürmer (oder auch Luddisten). Das wäre 
eine Alternative zum BGE ;-)

Aber vielleicht bin ich mit diesen Gedanken allein...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)



----- Original Message ----- 
From: "Theophil Wonneberger" <the-o-phil at gmx.de>
Cc: <debatte-grundeinkommen at listi.jpberlin.de>
Sent: Tuesday, May 06, 2008 9:23 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen 
Nachrichtensammlung, Band 38, Eintrag 6


Wolfgang Krell schrieb:
Meine Einschätzung: 90% tun was sinnvolles ,10% geniessen die Hängematte..

Dazu meine Meinung: Sehr optimistisch. Solch eine hohe Sinnquote gibt es 
nicht einmal unter Arbeitenden (oder gerade dort nicht). Aber ist nicht 
sogar die Hängematte sinnvoll? Immerhin bringt sie Genuß...

Meine Idee für die Woche des Grundeinkommens vom 15.-21.9.: Mit Hängematten 
in den Stadtpark legen. Dazu Infostand und wahlweise gute Musik. Provokation 
ist ein legitimes politisches Mittel.

Theo Wonneberger, Berlin 




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