[Debatte-Grundeinkommen] [Fwd: Re: wer arbeitet noch freiwillig, wenn er Stütze erhält?]

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Do Mär 6 22:22:46 CET 2008


Hallo, Wolfgang!

Du unterliegst dem fundamentalen Irrtum, dass "Hartz-IV-Empfänger"
eine gesellschaftliche Gruppe, eine demographische Komponente oder
eine soziologische Kategorie darstellen würden. Die Schicksale der
Menschen sind jedoch grundsätzlich verschieden. Ihre individuelle
Vorgeschichte führt weder automatisch oder zwangsweise in Hartz IV,
noch gleichen sich ihre Ansprüche, der Situation wieder zu entfliehen,
sofern sie es überhaupt wollen. Ihre Art, mit Hartz IV umzugehen,
beruht meist auf ihrer individuellen Vorgeschichte und lässt sich
daher nicht verallgemeinern. Deswegen gibt es auch so wenige, die
ernsthaft dagegen aufbegehren: Sie sind völlig individualisiert,
grenzen sich bisweilen sogar von den vermeintlichen
Schicksalsgefährten ab, insbesondere dann, wenn sie sich für etwas
Besseres halten als dieses "faule Pack der Langzeitarbeitslosen,
besonders derjenigen, die nie in ihrem Leben je gearbeitet haben"
(dies ist freilich die absolute worst case-Übertreibung).

Ich selbst bin ausschließlich und ausgesprochen vielfältig, besonders
aber im Kampf gegen die faschistoide Hartz-IV-Gesetzgebung,
"ehrenamtlich" tätig und finde daher auch gar keine Zeit mehr, mich um
einen Erwerbsarbeitsplatz auf dem "ersten Arbeitsmarkt" zu "bewerben".
Am Montag habe ich aufgrund dessen in der ARGE Mainz ein sicher sehr
interessantes Gespräch mit meiner (wieder einmal neuen)
Jobvermittlerin. Sollte sie der Meinung sein, dass ich mich nicht
ausreichend "bemühe", meine "Hilfebedürftigkeit" zu beenden, und (sich
trauen) eine Sanktion gegen mich aus(zu)sprechen, werde ich der
Bundesrepublik Deutschland sofort den Krieg erklären und staatlichen
Stellen nur noch mit Waffengewalt gegenübertreten. Wer das verfolgen
und den längst überfälligen Funken hinaus ins Land tragen möchte, ist
natürlich herzlich eingeladen, diesen - möglicherweise - historischen
Moment (versprechen kann ich natürlich nichts) mitzuverfolgen:
Job-Center für Arbeitsmarktintegration Mainz, Am Rodelberg 21,
Haltestelle "Pariser Tor" mit den Straßenbahnlinien 50, 51 und 52 vom
Hauptbahnhof aus, Uhrzeit: 9:30 Uhr, Zimmer 208

Dasselbe gilt übrigens für den im August/September garantiert
eintretenden Fall, dass man mich nötigen wird, die "die Angemessenheit
der Unterkunftskosten überschreitenden" Anteile meiner Miete von
meinem (eigentlich anderen Zwecken dienenden) Regelsatz zu bestreiten.

Allerdings geht das, was andere Menschen im offenen Strafvollzug nach
Hartz IV über sich ergehen lassen und was sie erdulden, bald auch auf
keine Kuhhaut mehr. Und das ist, soweit es mich betrifft, auch nur die
Spitze des Eisberges, die wir im Infotreff der Mainzer Erwerbslosen-
und Sozialhilfeinitiative ESHI erleben. Wenn wie in Löbau Menschen ein
Zimmer ihrer Wohnung abgesperrt wird, um die Wohnung und die
entsprechende Miete wieder "angemessen" zu "gestalten", dann ist das
schon schlimm - und offensichtlich faschistisch! - genug. Dass man
aber in Mainz eine Mutter, deren 6-jähriges Kind gerade verstorben
war, nötigt, das Zimmer ihres verstorbenen Kindes auszuräumen und
abzusperren, ihre eine Sanktion reinwürgt, weil sie einen Termin bei
der ARGE nicht wahrnimmt, der gerade mal eine Stunde vor der
Beerdigung ihres Kindes angesetzt war, dass man dieser Frau einen
Ein-Euro-Job in einem Kindergarten anbietet, das lässt sich - auch für
Nebenstehende - einfach nicht länger ertragen!

Das Jahr 2008 ist definitiv das Jahr, in dem der Bürgerkrieg in
Deutschland beginnt. Schade eigentlich.

Gruß
Manfred



2008/3/5 Wolfgang Krell <toutvabien at wolfgang-krell.de>:
>
>
> Sehr geehrter Herr Dilthey,
>  ALG-II heisst laut Wikipedia 347 euro für eine alleinstehende Person
>  Regelleistung, dazu kommen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (in
>  Berlin 360 euro).
>  Davon muss man leben - mehr schlecht als recht.
>  Die Frage ist: hat man dann Zeit für z.B. ein Ehrenamt ?  Ich denke ja.
>  (bei Schwarzarbeit hat man weniger Zeit übrig)
>  Und mir der Zeit hat man auch die Möglichkeit, oder?
>  Es müsste also bereits derzeit viele Menschen mit ALG-II geben, die sich
>  ohne Geld engagieren.
>  Stimmt das? und wenn ja, was tun sie? Wenn nein, warum nichtund womit
>  verbringen sie ihre Zeit?
>  Ich habe zuwenig Verbindungen zu Menschen die von der Stütze leben.
>  Können Sie weiter helfen?
>  Wenn es stimmt,dass bereits jetzt ein hoher Prozentsatz dieser Menschen
>  sich ehrenamt-ähnlich produktiv verhält wäre das doch beruhigend, oder?
>  Wo kann man sowas herausfinden?
>  Ansonsten stimme ich Ihnen zu.
>  Ich freue mich, dass Sie geantwortet haben. Bitte machen Sie sich die
>  Mühe und helfen Sie mir weiter.
>  Viele Grüße
>  Wolfgang Krell
>
>
>  Matthias Dilthey schrieb:
>  > Hallo Wolfgang,
>  >
>  > es wird sehr von der Höhe der "Stütze", in unserem Fall des BGE, abhängen.
>  >
>  > Ich gehe davon aus, daß ein zu niedriges BGE den Menschen einfach keine
>  > Möglichkeiten gibt, sich irgendwie einzubringen, analog zu jetzt ALG-II.
>  >
>  > Ab einer gewissen BGE-Höhe werden sich die Menschen sehr wohl eine sinnvolle
>  > Beschäftigung suchen; vorausgesetzt man bietet ihnen auch das notwendige
>  > Umfeld oder räumt Möglichkeiten ein, das Umfeld selbst zu schaffen.
>  >
>  > Und über eines müssen wir uns auch im Klaren sein: Jede Gesellschaftsform oder
>  > -Ordnung wird immer einen gewissen "Bodensatz" haben.
>  > Die Frage ist nur, werden die Menschen (wie jetzt mit ALG-II) in den
>  > "Bodensatz" gezwungen oder entscheiden sich die Leute freiwillig, zum
>  > "Bodensatz" zu gehören.
>  >
>  > Eine emanzipierte Gesellschaft wird jedoch besser in der Lage sein, den
>  > "Bodensatz" zu tolerieren ...
>  >
>  >
>  > Matthias Dilthey
>  >
>  > Am Samstag, 1. März 2008 23:10 schrieb Wolfgang Krell:
>  >
>  >> Hallo,
>  >> schon heute sind tausende langzeit-arbeislos. Sie werden gestützt durch
>  >> Harzt4 (wenn ich richtig informiert bin).
>  >> Mich interessiert:
>  >> was machen diese Leute? Wieviele haben ein Ehrenamt? Kümmern sie sich um
>  >> Notleidende? Arbeiten sie nebenbei schwarz? Verwirklichen sie sich
>  >> selbst? Vergammlen sie durch TV, Games und Alkohol?
>  >> Meine Einschätzung: 90% tun was sinnvolles ,10% geniessen die
>  >> Hängematte..  was meinen Sie??
>  >> MfG Wolfgang Krell



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