[Debatte-Grundeinkommen] wer arbeitet noch freiwillig, wenn er Stütze erhält?
Joerg Drescher
iovialis at gmx.de
Do Mär 6 19:08:15 CET 2008
Hallo Wolfgang und der Rest der Liste,
die beiden Antworten an Hajo und Matthias habe ich gelesen, weshalb ich mich
entschloß, auch etwas zu schreiben.
Deine Kernfrage lautet: was machen die Erwerbslosen?
Eine (meiner Meinung nach) richtige Aussage von Ihnen ist, daß Geld nichts
mit Glücklichsein zu tun hat. Von den 700 Euro (wie Sie vorrechnen) kann man
leben (wenn man muß und will). Ein BGE wäre in manchen Modellen weniger bis
gleich viel. Die Frage ist nur, was die Leute machen.
Da ich in der Ukraine lebe, kann ich die Situation in Deutschland weder
abschätzen, noch durch Befragungen solcher Menschen beantworten. Allerdings
ist durch die Regelung von Hartz-IV einiges vorgegeben, was die Leute tun
müssen: sich bewerben und um Arbeit kümmern.
Dadurch stellt sich die Frage, wieviel (Frei)Zeit für ein Ehrenamt oder
überhaupt andere Tätigkeiten bleibt. Weiter besteht die Frage, ob überhaupt
ein Angebot da ist. In einer Gesellschaft, die fast nur Leistung für
Gegenleistung akzeptiert, wird das Tätigkeitsangebot relativ klein sein. Von
Seiten des Anbieters, weil er keine Gegenleistung erbringen kann - und von
Seiten des Angebotsnehmer, der sich sagen kann: warum soll ich etwas tun,
wenn ich nichts dafür bekomme?
Um Ihre Kernfrage zu beantworten, müßte man fragen, welche Möglichkeiten
denn für den Erwerbslosen bestehen und welche davon er nützt. Sicher ist,
daß Konsummöglichkeiten gegeben sind und auch eine zwingende Nachfrage
(zumindest nach Lebensmitteln, Kleidern und Wohnraum) auch den
Einkommenslosen dazu "zwingt", etwas zu tun (konsumieren). In wie weit er
den Willen hat, andere Nichtkonsumbasierte Angebote wahrzunehmen, ist
Personenabhängig und kann nicht pauschal gesagt werden. Hinzu kommt noch die
Scham, auf Hilfe angewiesen zu sein.
Mir sind Freunde in Deutschland bekannt, die einkommenslos geworden sind.
Einer machte Kunst und verwirklichte sich selbst. Er organisierte sein Leben
entsprechend, um mit den Vorgaben des Arbeitsamts zurecht zu kommen. Ein
anderer sitzt zu Hause vor dem Computer und tut nichts anderes, als sich im
Internet zu bewegen. Manchmal trifft er sich mit seinen Chatpartnern. Wieder
ein anderer (allerdings vor 15 Jahren) arbeitete für ein Jahr, ließ sich
Kündigen, holte sich die "Stütze" und reiste durch Europa - nach einem
halben Jahr suchte er wieder eine Stelle (bei seinen Qualifikationen im
Handwerk war das kein Problem). Eine vierte Bekannte ist in einem
Reitverein, da er ihr die Möglichkeiten bietet, ihr Pferd in der Reithalle
zu nutzen - im Verein engagiert sie sich nicht, sondern um das Pferd und um
ihr Kind (Alleinerziehend). Mir sind also unterschiedliche Leute bekannt,
wobei keiner ein Ehrenamt inne hat. Es geht diesen Freunden um
Selbstverwirklichung.
Damit will ich nicht sagen, daß niemand ehrenamtlich tätig ist. Schauen Sie
sich in Foren zum Thema Hartz-IV um - manche davon werden ehrenamtlich von
Leuten betrieben, die einkommenslos sind.
Die Frage, was die "von Arbeit befreiten Menschen" mit ihrer Freizeit
anfangen sollen, ist eine Kernfrage des BGE. Die Politik sorgt sich darum,
denn manche kommen auch auf "dumme Gedanken", da sie Zeit zum Lesen und
Denken haben. Dies ist (meiner Meinung nach) ein Aspekt, weshalb die Politik
etwas gegen ein BGE hat.
Wie dargestellt, kommt es auf die Möglichkeiten an, was man mit seiner
(Frei)Zeit anfängt.
Viele Grüße aus Kiew,
Jörg (Drescher)
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