[Debatte-Grundeinkommen] Dringlichkeit des BGE

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Fr Jun 6 00:35:04 CEST 2008


Hallo, Jörg!

Du zählst treffende Beispiele pathologischer Entfremdung des Menschen
auf. Ein weiteres möchte ich aus meinem Alltag ergänzen: Der
durchschnittliche Mitarbeiter einer ARGE meint vielleicht, gute Arbeit
erledigt zu haben, wenn er am Ende des Tages die Füße hochlegt; in
Wirklichkeit macht ihn Hartz IV zum Faschisten: durch das Fordern, wo
nichts zu holen ist, durch den Lebensunterhalt gefährdende Sanktionen,
durch Generaleinsparbefehle aus dem Bundesarbeitsministerium,
resultierend in Antragsverschleppung, Anrechnung von
Krankenhausverpflegung als Einkommen usw.

Ich lese gerade "Haben oder Sein" von Erich Fromm, neu herausgegeben
in der SPIEGEL Edition 2007. Das Erschütternde daran ist nicht so sehr
die glasklare Analyse. Es ist aber wirklich schockierend, dass diese
Erkenntnisse über den Zustand unserer Gesellschaft schon vor über 30
Jahren niedergeschrieben wurden und dass schon Albert Schweitzer in
dieser Hinsicht argumentiert:

Schweitzer sieht die Industriegesellschaft nicht nur durch Mangel an
Freiheit gekennzeichnet, sondern auch durch 'Überanstrengung'.  "Seit
zwei oder drei Generationen leben so und so viele Menschen nur noch
als Arbeitende und nicht mehr als Menschen." Schweitzer plädiert
deshalb für eine Verkürzung der Arbeitszeit und gegen übermäßigen
Konsum und Luxus.

Noch schlimmer eigentlich: Das geistige Rüstzeug, die Hybris hinter
dem Immer-Mehr-Haben-Wollen erkennen zu können, ist (mindestens) seit
rund 700 Jahren vorhanden, wenn z.B. Meister Eckhart meint: "Die Leute
brauchten nicht soviel nachzudenken, was sie tun sollen; sie sollten
vielmehr bedenken, was sie wären."

Gruß
Manfred


2008/6/4 Joerg Drescher <iovialis at gmx.de>:
> Hallo zusammen,
>
> nach folgenden Artikeln stößt es mir übel auf, wenn ich die "Basic Income
> Option" im Hinterkopf habe:
>
> Afrika:
> http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,551508,00.html
>
> In dem Artikel geht es um Hilfe in Afrika zur Hungersnotbekämpfung;
> allerdings würden viele Helfer die Berichte entsprechend so schreiben, daß
> (ihre) Hungerhilfe notwendig sei, damit sie ihren Job (die Hilfsleistung)
> nicht verlieren. Statt "Hilfe zur Selbsthilfe/ Eigenständigkeit" zu leisten,
> macht man Menschen von sich (und seiner Hilfsleistung) abhängig, weil man
> selbst an der "Nadel 'Arbeit'" hängt. Die Hilfe ist entsprechend gehäuchelt,
> da sie (vielleicht unterbewußt) in erster Linie dazu dient, sich selbst zu
> helfen (mit Arbeit, damit verbundener Anerkennung, damit verbundenem
> Einkommen, damit verbundenem "Gebraucht werden" und "Sinn haben").
>
> Streubomben-Verbot:
> http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,556119,00.html
>
> In diesem Artikel wird der "Selbsthuldigung" Deutschlands bei der
> Unterzeichnung des Streubombenverbots, bzw. deren Vernichtung,
> entgegengesetzt, daß damit wirtschaftliche Interessen Deutschlands verbunden
> seien. Denn geht es der Wirtschaft gut, werden Arbeitsplätze geschaffen...
>
> Medizin:
> http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,557434,00.html
>
> In diesem Artikel geht's um "Kunstfehler" in der Medizin. Als Arzt verdient
> man eben nicht schlecht, weshalb sich Menschen für diesen Beruf "berufen"
> fühlen - nicht, um Menschen zu helfen, sondern um sein Prestige, incl.
> Geldbeutel aufzuwerten.
>
> Die Liste solcher Artikel könnte weitergeführt werden, bis einem wirklich
> schlecht wird. Und damit wurden keine Hartz-IV-Schicksal erwähnt, die nur
> die Spitze des Eisbergs einer falsch verstandenen Lebenssicht darstellt:
> "Arbeit generiert Einkommen". Wohin diese Sicht führt, zeigen die genannten
> drei Artikel und wohl noch hunderte mehr, wenn man nur die Augen aufmacht.
>
> Viele Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
>
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