[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 40, Eintrag 10

Agnes Schubert Agne.s at gmx.de
Mo Jul 21 11:00:55 CEST 2008


Hallo Jörg und hallo Mitleser,

Feindbilder gibt es häufig künstlich bzw. künstlich aufgebauscht, um 
genau diese Gruppen der Heimschaft zu stabilisieren. Aber die 
Selbstauflösung der Klassengesellschaft kann ich nicht entdecken. Es 
gibt im Kapitalismus den Wesensunterschied zwischen jenen, die durch 
ihre Arbeit leben und jenen, die von der Arbeit der anderen - namentlich 
durch ihr Vermögen und dessen Vermehrung mit Hilfe der Arbeitenden - 
leben. Dieser Wesensunterschied muss nicht als Feindbild daher kommen, 
begründet aber einen fundamentalen Interessensgegensatz. Da stehen die 
Ingeneure und Handwerker wie auch gelegentlich Bauern und Kleinhändler 
u.a. auf der einen Seite (zum Teil auch sitzend eben in dem Arbeitsamt) 
jenen Vertretern der Banken und Großkonzerne gegenüber. Letzte sind 
letztendlich oft auch nur Lohnabhängige, wenn auch deutlich 
bessergestellte, vertreten aber direkt die Profitinteressen der 
Aktionäre und Sparer und stellen sich so - neben die jeweilige 
klasseninterne Konkurrenz - vor allem als Gegner den Lohnempfängern 
gegenüber.
BGE löste ein wenig das Problem, da auch Lohnabhängige dann nicht mehr 
nur von ihrem Lohn leben (müssen). Der Gegensatz, der durch diese Arte 
der Produktion/Wirtschaft entsteht, zwischen Profit und Lohnempfänger 
ist aber nicht aufgehoben durch ein BGE, es sei denn wir hätten Steuern 
in 100% und keiner hätte mehr als ein BGE als hätten also das 
Durchschnittseinkommen. Erst wenn das BGE zu diesem Stand gewachsen ist, 
dann würden alle von dem gleichen leben (können) und es wäre kein 
Klassengegensatz erkennbar und jegliches Feindbild (als Bild und 
Beschreibung des Gegners im Kampf um bessere Lebensbedingungen) wirklich 
überflüssig.

AgneS


> Hallo zusammen,
>
> ausgehend von der "Grundsatzdiskussion" über Staat und dessen Sinn, 
> möchte ich einmal das Thema "Feindbild" ansprechen. So findet sich bei 
> den Anarchisten das Feindbild "Staat", das die individuelle Freiheit 
> des Einzelnen durch die Organisation von Macht (=Herrschaft) 
> beschränkt sieht; dabei soll der Staat eigentlich zum Schutz der 
> Freiheit des einzelnen Individuums dienen, weil davon ausgegangen 
> werden kann, daß nicht jeder die "Einsicht in die (notwendige) 
> Selbstbeschränkung" hat (Hegel sah darin die eigentliche Freiheit).
>
> Aber auch die sogenannten Kommunisten (oder auch in abgemildeter Form 
> Sozialisten) arbeiten mit einem Feinbild: den Besitzenden, die andere 
> (durch deren Besitzlosigkeit) in eine Abhängigkeit (=Unfreiheit) 
> verdammen. Heute wird auf die "Neoliberalen" geschimpft und sie werden 
> für die Zustände auf der Welt verantwortlich gemacht, weil sie nichts 
> von ihrer eigenen Freiheit abzugeben bereit sind.
>
> Bei den Liberalen findet sich kein wirkliches Feindbild, da der 
> Liberalismus als verstärkter Individualismus (=Egoismus) verstanden 
> werden kann. Das impliziert aber auch, daß jenen nicht geholfen werden 
> braucht, die Hilfe nötig haben. Die (Neo)Liberalisten sehen allerdings 
> aufgrund oben genannten (politischen) Strömungen ihre Freiheit 
> gefährdet und bauen sich ein indirektes Feindbild auf.
>
> Dann wäre da noch der "emanzipatorische Ansatz", den ich als 
> "Jovialismus" bezeichne. Emanzipation (nicht als Frauenbewegung 
> verstanden) bedeutet eigentlich die Entlassung in die 
> Eigenständigkeit. Man hilft einem "Unfreien" in die Selbständigkeit, 
> indem man ihm die "Einsicht in eine (notwendige) Selbstbeschränkung" 
> vorlebt und damit vermittelt (deshalb das Wort "jovial", was heute 
> oftmals als "von oben herablassende Gönnerhaftigkeit" verstanden wird).
>
> Ein "emanzipatorischer Sozialstaat" (oder kurz "jovialer Staat") wäre 
> entsprechend der Abbau von Feindbildern, die Förderung des 
> Liberalismus mit starken Komponenten des Kommunismus, hin zu einer 
> anarchistischen Gesellschaft (auch Urkommunismus genannt). Der Ansatz 
> ist dabei auf die Zukunft gerichtet (wie in der Sowjetunion als 
> sozialistisches Land der Kommunismus als "Endziel" angestrebt wurde).
>
> Das Problem an der Sache ist, daß sich viele über (gemeinsame) 
> Feindbilder definieren und somit Gemeinschaften bilden, in denen sie 
> sich geborgen fühlen (abgekapselt von anderen = Individuelle 
> Eigenschaft der Gemeinschaft = "liberale Gemeinschaft"). Dabei lösen 
> sich die (soziologisch gesprochen) Milieus immer mehr auf (klassenlose 
> Gesellschaft), was allerdings dazu führt, daß im Arbeitsamt (oder wie 
> das heute heißen mag) ein junger Handwerker neben einem älteren 
> Ingenieur sitzt und sich nichts zu sagen haben, weil Gemeinsamkeiten 
> fehlen. Wen wundert dann Politikverdrossenheit und die niedrige 
> Wahlbeteiligung?
>
> Für jene, die sich für diese Analyse und Herleitung interessieren und 
> welche Rolle das BGE dabei spielt, können das in (m)einem Ansatz zu 
> einer Staatstheorie nachlesen:
> http://www.iovialis.org/counting.php?file=Jovialismus_Staatstheorie.pdf
>
> Viele Grüße aus Kiew (nach kurzem Aufenthalt in Dublin und Deutschland),
>
> Jörg (Drescher)
>




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