[Debatte-Grundeinkommen] wg. Präsentation / Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 30, Eintrag 8

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Sep 22 12:41:18 CEST 2007


Hallo Florian (und wen es sonst noch interessiert),

bei Deiner Ausführung vermisse ich einen entscheidenden Faktor: WER
BEWERTET? Ist es der Markt oder ist es der Mensch, der am Markt teilnimmt
und den Markt bildet? Ich kenne eigentlich keine Tier- oder Pflanzenart, die
"Märkte" bildet.

Ich bin auch etwas enttäuscht darüber, daß Du meinen Beitrag (scheinbar)
nicht gelesen oder nicht verstanden hast. Warum hälst Du an einer
Wertedebatte fest? Warum verlangst Du einen Preis auf dem Markt? Doch nur
deshalb, weil Du nichts ohne Gegenleistung hergeben willst. Da dies alle
tun, bist Du durch die Masse gezwungen, mitzuspielen und genauso für einen
Wert Gegenwert zu fordern. Meinst Du nicht, daß das der Sinn eines
Tauschsystems ist?

Wenn wir das Tauschsystem so aufrechterhalten wollen (als globale
Spielregel), aber niemandem durch das Tauschsystem schaden wollen (Menschen,
die keinen Wert beitragen können; speziell Kinder, Alte, Kranke, heute
Arbeitslose), müssen wir jedem etwas ohne Gegenleistung zugestehen
(bedingungsloses Grundeinkommen). Tun wir das nämlich nicht, kommt es
irgendwann (vielleicht schneller, als wir meinen) zu dem Fall, daß sich
jeder einfach nimmt, was er (gezwungenermaßen) zum Leben braucht. Dann steht
"Leben wollen" im Konflikt mit "Leben können". Das Gewissen ist die
entscheidende Instanz, welche durch Moral- und Ethikvorstellungen geprägt
ist. Und das Tauschsystem besagt als Moral-/Ethikvorgabe: "Du darfst nur das
nehmen, wofür Du auch etwas geben kannst."

Lese ich Deine Mail, so gehst Du a priori von einer Tatsache aus: "Wert und
Preis existiert." Du versuchst Wert und Preis gedanklich zu erfassen, zu
definieren, zu beschreiben und vergißt dabei, daß der Mensch (in dem Fall
Du) Werte und Preise schafft. Du schreibst "Der Wert einer Sache ist eine
absolute Sache, der Preis eine relative". Das ist subjektiv für Dich
richtig, entspricht aber objektiv nicht der Wahrheit. Du widersprichst Dir
selbst, indem Du beginnst: "Was sind mir meine Kinder wert?". Die Relation
"mir" drückt aus, daß Wert relativ ist. Wenn Du einen objektiven Wert willst
(objektiv ist nicht absolut), mußt Du fragen: "Was sind Kinder wert?" Ich
hoffe nur, daß Du Kinder nicht mit "Preisen" bewerten willst. Ein Preis ist
eine Maßeinheit (meist in Geld) für einen Wert. Der "Preis der Freiheit"
(ein immaterieller Wert) ist die Schaffung eines individuellen Gewissens.
Somit wäre das Gewissen eine Maßeinheit für den Umgang mit Werten. Aber
scheinbar hat man das Gewissen auf dem Markt zum Preis des Geldes verkauft.

Vielleicht habe ich Dich auch nur nicht richtig verstanden und Du wußtest
schon längst, was ich hier geschrieben habe. Dann Entschuldigung, aber
vielleicht war's für den ein oder anderen zum Verständnis hilfreich. Möglich
auch, daß ich mit meiner Überlegung komplett falsch liege.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)




----- Original Message ----- 
From: "Florian Hoffmann" <florian at hoffmannlaw.de>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Cc: <iovialis at gmx.de>
Sent: Friday, September 21, 2007 4:50 PM
Subject: AW: wg. Präsentation / Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung,
Band 30, Eintrag 8


>
>
> Hallo Listis,
>
> was sind mir meine Kinder wert, was sind mir meine eigenen Tomaten im
Garten
> wert, was ist der Wert, den mir ein Sicherheitsschloß (Preis: ? 20,00)
> liefert? Welchen Wert hat für mich die Kohle im Winter (Überleben),
welchen
> im Sommer? Keinen! Wie hoch ist der Preis im Sommer? im Winter? Und der
> Preis des Apfels? Wenn er mich am Verhungern hindert? Wenn ich ihn für
Null
> Euro pflücken kann?
>
> Keine der Antworten korreliert! Deshalb hier eine plausible Erläuterung:
>
> 1. Dinge bekommen einen Preis, wenn man sie auf einen Markt trägt. Ohne
> Markt haben sie einen Wert, aber keinen Preis. Was ist der Wert eines
Nagels
> in der Wand, der ein wertvolles Bild zweihundert Jahre lang trägt? Was ist
> sein Wert auf dem Markt, dem Trödelmarkt? Null? Preis und Wert haben
(fast)
> nichts miteinander zu tun. Der Preis ist nichts weiter als eine
> Verhältniszahl, die die Knappheit und persönliche Wertschätzung der
> Marktteilnehmer über ein Gut untereinander ausdrückt - ein Zufallsprodukt.
> Kommt eigentlich darauf an, wer gerade auf dem Markt herumläuft. Ergo:
Preis
> und Markt sind in gewisser Weise synonym, aber mit dem Wert einer Sache
> haben sie nichts zu tun.
>
> 2. Aber: das meiste im Leben spielt sich außerhalb des Marktes, der Märkte
> ab. An je mehr Märkten man teilnimmt, desto größer wird der
Leistungsdruck.
> Deshalb ist die Präsentation so wahr. In der Großstadt wird vieles zur
> Rarität und damit zum teuren Markt, was auf dem Lande kostenlos ist: Der
> Parkplatz, der Spielplatz, die frische Luft, die Ruhe, die Lebensqualität
in
> allen Bereichen, das persönliche Kennen.
>
> 3. Was ist nun der Mehrwert? Eine Sache wird insofern auch mehr wert, also
> man für sie einen höheren Preis erziehlt. Der Mehrwert ist ein Mehrpreis,
d.
> h. Mehrerlös in Geld! Der Apfel am Baum hat keinen Preis, aber einen Wert.
> Auf dem Markt hat er einen Preis, also einen "Mehrpreis". Wenn er dann vom
> Großhandelsmarkt zum Wochenmarkt getragen wird, erzieht der Einzelhändler
> dort einen Mehrpreis, also weiteren Mehrerlös. Der Mehrerlös (oder
Mehrwert)
> spiegelt das jeweilige Preisniveau eines Marktes für eine Ware wider. Der
> Mehrwert, Mehrerlös wird dadurch gewonnen, dass man eine Ware aus einem
> niedrigpreisigen Markt in einer höherpreisigen Markt transportiert um dort
> höhere Erlöse zu erzielen. Das Verbringen einer Ware von einem Markt zum
> anderen ist die Tätigkeit des Kaufmannes, der einkauft und verkauft. Der
> Mehrerlös ist sein "Geschäft". Der Mehrwert ist eine rein rechnerische
> Größe, die natürlich mit der Arbeitsleistung vieler verbunden ist. Aber
die
> Behauptung, der Mehrwert würde allein durch die Arbeitsleistung
geschaffen,
> ist Unsinn. Ich würde das Wort "Mehrwert" abschaffen, weil es nur
Verwirrung
> stiftet. Es suggeriert, dass der Preis eines Gegenstandes etwas mit seinem
> Wert zu tun hat. Die Worte "Mehrerlös" oder "Mehrpreis" beschreiben
> treffender.
>
> 4. Der Wert einer Sache ist eine absolute Größe, sein Preis eine relative.
> Beide haben deshalb (fast) nichts miteinander zu tun.
>
> Schöne Grüße
> Florian Hoffmann
>
> www.green-capitalism.org
>
>
>
> >
> > Message: 2
> > Date: Tue, 11 Sep 2007 22:45:31 +0300
> > From: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>
> > Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] PowerPoint Grundeinkommen
> > To: daniel häni <daniel at mitte.ch>, "initiative grundeinkommen"
> > <info at initiative-grundeinkommen.ch>,
> > <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> > Cc: ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de
> > Message-ID: <015a01c7f4ac$52fc7ee0$0201a8c0 at iovialis>
> > Content-Type: text/plain; charset="iso-8859-15"
> >
> > Hallo Enno, hallo Daniel und alle anderen Interessierten.
> >
> > erstmal vielen Dank für Eure gelungene Präsentation! Allerdings
> > möchte ich inhaltlich einige Punkte anzweifeln, die heute nicht
> > mehr ganz haltbar sind.
> >
> > Also eins nach dem anderen:
> > 1.) "Die Kohle im Boden oder der Apfel am Baum sind nichts Wert.
> > Wenn ich mich dem Apfel zuwende und reinbeiße, erhält er einen Wert."
> >
> > Nehme ich nun einen Menschen, den ich nicht kenne und übertrage
> > diese Aussage darauf, dann würde das heißen, daß jener Mensch
> > nichts Wert hat. Dadurch gewinnt die unmittelbare
> > Tötungsmöglichkeit (z.B. durch Pfeil- und Bogen, Schusswaffen,
> > Fallen oder Bomben) einen sehr heiklen Charakter, denn ich würde
> > nichts "wertvolles" zerstören. Gleiches gilt z.B. auch für den
> > Urwald in Brasilien. Wenn Unmittelbares keinen mittelbaren
> > (Gegen)Wert hat, heißt das nicht, daß diese Dinge auch für andere
> > Menschen keinen Wert darstellt.
> >
> > 2.) "Esse ich den Apfel nicht gleich vom Baum, sondern trage ihn
> > auf den Markt, wird er mehr Wert. Mehrwert entsteht durch Arbeit,
> > die ich für andere leiste."
> >
> > Das ist eine recht marxistische Ansicht, die sich nicht halten
> > läßt, wenn eine Erntemaschine den Apfel vom Baum holt und ein
> > selbstgesteuerter PKW diesen zum Markt bringt. "Arbeit" wird hier
> > durch Maschinen für Menschen geleistet. Damit stelle ich diese
> > Aussage in Frage.
> >
> > 3.) "Mehrwert ist, was ich nicht selber esse!"
> >
> > Das widerspricht eigentlich der Aussage 1 und ist nicht
> > konsequent gedacht. Denn der Apfel am Baum wird nicht gegessen
> > und hat (nach Aussage 1) keinen Wert (also auch keinen Mehrwert).
> > Mehrwert erklärte ich in meiner Auslegung zum Dilthey-Modell sehr
> > ausführlich:
> > http://www.iovialis.org/counting.php?file=Dilthey-Modell_Auslegung.pdf
> >
> > 4.) "Dafür, dass ich gleich am Baum in den Apfel beiße, brauche
> > ich kein Einkommen. Einkommen brauche ich, wenn ich das nicht
> > tue, sondern für andere Apfelbäume pflanze, Äpfel pflücke und
> > transportiere und verarbeite."
> >
> > Auch hier haben wir ein kleines Problem: Einkommen brauchte man
> > vor 10.000 Jahren nicht, um Apfelbäume zu pflanzen, zu pflücken,
> > zu transportieren oder zu verarbeiten - auch dann nicht, wenn man
> > das für andere machte. Einkommen braucht man heute dafür. Und das
> > deshalb, weil es den Warenaustausch erleichtert. Tausch deshalb,
> > weil ich für das, was ich jemandem leiste auch etwas haben will.
> > Ich habe die Möglichkeit, das auch ohne Gegenwert zu geben. Noch
> > schlimmer wird es, weil sich ein anderer auch einfach nehmen
> > könnte, was er haben will. Das Tauschsystem ist eine
> > "stillschweigend moralisch/ethische Übereinkunft", sich nicht
> > einfach zu nehmen, was man will, ohne etwas dafür zu geben. (Im
> > Buddhismus heißt einer der 5 goldenen Regeln: "Ich nehme den
> > Schulungssatz an, mir Nichtgegebenes nicht zu nehmen"; im
> > Christentum kommt "Du sollst nicht stehlen" dem sehr nahe)
> >
> > 5.) "Denn . in der Zeit kann ich nicht am Baum stehen und Äpfel
> > essen. In der Zeit kann ich mich nicht selbst versorgen, weil ich
> > andere versorge. Dafür muss ich freigestellt werden durch andere."
> >
> > Das stimmt nur dann, wenn es ein Mensch tut. Probleme kommen dann
> > auf, wenn es eine Erntemaschine vollautomatisch macht (vgl.
> > Anmerkung zu Aussage 2). Und die Maschine will auch "essen", bzw.
> > "trinken" - sie verbraucht Energie für ihren Aufwand.
> >
> > 6.) "Mit Geld kann ich mir etwas kaufen, was andere für mich
> > herstellen. Tun sie das nicht, nützt mir das Geld auch nichts.
> > Denn dann gibt es nichts zu kaufen. Zu kaufen gibt es nur, was
> > die Leute nicht selbst verbrauchen, sondern anderen zur Verfügung
> > stellen."
> >
> > Hier stimme ich wieder nur bedingt zu, denn ein Apfel wird nicht
> > durch irgendwen hergestellt und der Baum verlangt auch keinen
> > Gegenwert für den Apfel und trotzdem wird es Äpfel geben. (bitte
> > meine Anmerkung zu Aussage 4 nochmals zu lesen, das den "Handel"
> > (Tauschsystem) und dessen Ursachen näher beschreibt.)
> >
> > 7.) "Einkommen stellt mich frei von der Selbstversorgung. Real
> > werde ich freigestellt durch das, was andere im Verzicht auf ihre
> > Selbstversorgung für mich schaffen. Der Garten der
> > Selbstversorgung ist weg - wir haben kein Grundeinkommen mehr."
> >
> > Dem kann ich so beipflichten, wobei Einkommen relativiert werden
> > muß, indem eine Gegenleistung bei einem Tauschsystem
> > Voraussetzung ist. Dann muß ich nicht für mich selbst etwas
> > schaffen (Selbstversorgung), sondern für andere. Damit wären wir
> > bei der Arbeitsteilung und dem einfacherem Tauschsystem durch
> > Geld (Tauschmittel). Haben wir das nämlich nicht, bracht man auch
> > kein Einkommen (nach der buddhistischen Idee: "alle nehmen sich
> > nur das, was ihnen gegeben wird").
> >
> > 8.) "In der Fremdversorgung ist die Selbstversorgung durch ein
> > Grundeinkommen zu ersetzen!"
> >
> > Hier erhaltet Ihr meine volle Zustimmung! Denn durch die
> > Fremdversorgung ist die Selbstversorgung nur mehr über die
> > Verfügbarkeit von Tauschmitteln möglich. Da aber nicht alle
> > Menschen andere Menschen durch Fremdversorgung bedienen können
> > (Kinder, Kranke, Alte, Arbeitslose...), bedarf es zur Versorgung
> > solcher Personengruppen einer Grundversorgung. Andernfalls kommt
> > der Spruch von Berthold Brecht zum Tragen: "Erst kommt das
> > Fressen, dann die Moral". Damit würde das komplette Tauschsystem
> > zusammenbrechen, das eigentlich dazu geschaffen wurde, daß sich
> > Leute nur soviel nehmen, wie sie als Gegenleistung erbringen
> > können. Um diese Sache gerecht und einfach zu gestalten, billigt
> > man jedem Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu (sonst
> > wären wir wieder bei Bedingungen: Kind, Kran, Alt, Arbeitslos sein).
> >
> > Ich hoffe, daß Ihr mir jetzt nicht böse seid, daß ich eine etwas
> > andere Auffassung habe. Eure Präsentation ist populistisch gut
> > aufgemacht und durchaus betrachtenswert. Allerdings enthält sie,
> > wie aufgezeigt, nicht die "ganze Wahrheit", sondern widerspricht
> > sich bei genauerer Betrachtung und führt trotzdem zu einem
> > "richtigen Ergebnis". Doch das Ergebnis (Punkt 8) hat überhaupt
> > nichts mit den Punkten davor zu tun, sondern ist eine logische
> > Forderung des Tauschsystem und nicht durch eine Wertediskussion
> > (außer man sieht im Tauschsystem die "geistige Bewertung" als
> > "stillschweigend moralisch/ethische Übereinkunft" des
> > "Nichtgebenwollens").
> >
> > Diesen Denkansatz hatte ich vor einigen Tagen publiziert (auch in
> > verschiedenen Listen). Hier nochmals der Link:
> > http://www.iovialis.org/counting.php?file=naturzustand.pdf
> >
> > Viele Grüße aus Kiew,
> >
> > Jörg (Drescher)




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