[Debatte-Grundeinkommen] [Debatte.bag.wirtschaft] Denkfehler der BGE-Gegner

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Di Sep 4 18:34:24 CEST 2007


Cross-posting ist eigentlich ne schöne Sache, wenn man damit Menschen
verbinden kann, die sich zunächst auf getrennten Listen unterhalten.
Aber wenn diese Listen nicht alle offen sind, dann macht es kaum Sinn,
wenn die Angesprochenen (möglicherweise mit Ausnahme des
ursprünglichen Autors wie im vorliegenden Fall) die Antworten nicht
mitlesen können...

Hallo, Matthias!
Hallo, Axel!

Nicht einmal ich erfasse alle Sachverhalte auf den ersten Blick, aber
Axels Aussage "Wir würden im internationalen Vergleich erwarten, dass
die Höhe der Arbeitslosigkeit tendenziell mit der Produktivität der
Volkswirtschaft zunimmt. Reichere Länder hätten dann tendenziell eine
höhere Arbeitslosigkeit als ärmere." ist so dermaßen offensichtlich
Mumpitz, dass man sich wundern muss, wie er sowas unter die Leute zu
bringen wagen konnte. Unglaublich! Das typisch unwissenschaftliche
Denken von Leuten, die sich (liege ich damit richtig?)
"Wirtschaftswissenschaftler" nennen! Als ob die Arbeitslosigkeit ganz
allein von der Produktivität abhinge!! LOL

Sie hängt - darüber diskutieren wir schließlich für unser Land am
intensivsten - ganz stark davon ab, wie man Arbeit an sich und
speziell die Vollzeitarbeit definiert: 10, 20, 35, 40, 42 Stunden?
Sie hängt vom Entwicklungsstand des Landes ab, was man ausgezeichnet
an der Geschichte der Bundesrepublik seit 1945 (Sagt Dir das Stichwort
Wiederaufbau etwas?) ablesen kann.
Sie hängt sogar von der spezifischen Technisierung ab: Computer sollen
im Weltbild von "Wirtschaftswissenschaftlern" einfach die Arbeit
erleichtern, produktiver machen. Aber hallo: Nutzen wir Computer etwa
nur zum Arbeiten? Ist Second Life-Programmierung Arbeit?
Sie hängt ab vom Geschlechterverhältnis in Gesellschaft einerseits und
auf dem Arbeitsmarkt andererseits.
Sie hängt auch von der demokratischen Verfasstheit und Stabilität ab.
Sie hängt selbstverständlich von der Instrumentalisierung der
Arbeitslosenquoten durch die Herrschenden ab! Wie viele Arbeitslose
haben wir in Deutschland? 3,7 Millionen oder 7,7 Millionen?
Und diese Liste ist noch lange nicht vollständig!

Abgesehen davon muss ich an dieser Stelle fragen (due to
Cross-posting!), wer denn eigentlich behauptet haben mag, dass uns die
Arbeit ausgeht? Entweder geht sie uns nicht aus - aber dann ist die
Vollzeitarbeit viel, viel, viel zu lang und jede halbe Stunde MEHR ist
nichts anderes als volkswirtschaftlicher Wahnsinn - oder sie geht uns
sehr wohl aus (wenn man an der Vollzeitarbeit von 40 Stunden
festhält), denn wir HABEN ganz offensichtlich Massenarbeitslosigkeit.
Punkt!

Auch die letzte Aussage Axels ist leider kompletter Nonsense. "Solange
die Menschen nach zunehmendem Konsum streben, werden sich auf
funktionierenden Märkten produktive Einsatzmöglichkeiten für die zur
Verfügung stehende Arbeitsmenge ergeben, um die unendlichen
Konsumbedürfnisse maximal zu erfüllen." Hallo??? "Die" Menschen?
Verstehst Du Statistiken, die behaupten, "der Deutsche ist im
Durchschnitt reicher geworden", etwa auch so wie SPD und CDU, die
meinen, dass ALLE Deutschen reicher geworden seien?? Gibt es da nicht
vielleicht 7,6 Millionen Menschen, deren Bedürfnisse zum Teil hinter
das Lebensnotwendige (in der Wissensgesellschaft) zurücktreten müssen,
weil sie mit Hartz IV unterhalb der Armutsgrenze leben müssen???!!!
Und ist es etwa GUT, dass die Menschen nach permanent zunehmendem
Konsum streben? Schon mal was von "wahren" und "falschen" Bedürfnissen
gehört???!!!! "Unendliche Konsumbedürfnisse maximal erfüllen"???? Das
ist schon nicht mehr FDP, das ist blanker zynischer Nihilismus nach
dem Motto "Nobel geht die Welt zugrunde"!

Gruß
Manfred


On 9/4/07, Matthias Dilthey <info at psgd.info> wrote:
> Lieber Axel, liebe Liste,
>
> ein wenig der "Wahrheit in´s Auge sehen" darf man auch von Real-Politikern
> erwarten:
>
> Eine Erweiterung des Definitionsbereichs kann nie ein Fehler sein, denn der
> vorherige Definitionsbereich bleibt stets Teilmenge des erweiterten.
> Es sei denn, die Einschränkung des Definitionsbereichs war (aus absoluter
> Sicht) unzulässig.
> Soviel hier zu Mathematik und Logik.
>
> Du schreibst "aus empirischen Gründen": Empirisch kann ich belegen, daß wir
> seit mehr als 30 Jahren einen viel zu hohen Sockel der Arbeitslosigkeit
> haben, um eine gerechte Umverteilung der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung
> über Erwerbsarbeit zu gewährleisten.
>
> Empirisch kann ich belegen, daß wir uns unsere, gemessen an den technischen
> Rationalisierungsmöglichkeiten, hohe Zahl von Erwerbsarbeitern durch real
> sinkende Löhne erkaufen.
>
> Mathematisch kann ich beweisen, daß unsere derzeitige (Entschuldigung: seit
> über 30 Jahren, davon auch einige "Grüne Jahre") Politik nicht in der Lage
> ist, trotz (oder weil?) höchster Produktivität den Menschen im Land eine
> Teilhabe an unserem exorbitanten Wohlstand zu ermöglichen.
>
> Ob die von Dir angeführten "ernst zu nehmenden" Ökonomenannahmen treffen, ist
> mir reichlich egal.
> Auch die Behauptung, "die Sonne kreist um die Erde" wurde von damals "ernst
> zunehmenden Wissenschaftlern" gestützt.
>
>
> Wenn ich durch die Straßen von Erlangen, Siemens- und Universitäts-Stadt, gehe
> und die Menschen beobachte, sehe ich selten ein freundliches, entspanntes
> Lächeln.
> Heruntergezogene Mundwinkel, in Falten gefestigt; mühsam unterdrückte
> Aggression und, besonders wenn Menschen im Supermarkt mit Kreditkarte zahlen,
> eine Körpersprache die zum Ausdruck bringt: Hoffentlich klappt es nochmal!
>
> Besonders interessant finde ich Deine Äußerung:
> > Auch theoretisch ist nicht zu erwarten, dass uns die Arbeit ausgeht,
> > solange die Bedürfnisse der Menschen nicht begrenzt sind. Denn solange die
> > Menschen nach zunehmendem Konsum streben, werden sich auf funktionierenden
> > Märkten produktive Einsatzmöglichkeiten für die zur Verfügung stehende
> > Arbeitsmenge ergeben, um die unendlichen Konsumbedürfnisse maximal zu
> > erfüllen.
>
> Wenn ich diese, Deine Aussage lese, frage ich mich, ob ich hier in einer
> "Grünen Liste" lese und schreibe, oder habe ich mich getäuscht und schreibe
> und lese bei der FDP?
>
>
> Ich entschuldige mich schon jetzt meiner deutlichen Worte.
>
> Wie formuliert die Bildzeitug in ihrer aktuellen Werbung? Die Wahrheit alleine
> genügt nicht. Es bedarf mutiger Menschen, diese auch auszusprechen. Und eines
> Mediums, das diese Wahrheit auch verbreitet!
>
>
> Matthias Dilthey
>
> Platenstraße 21
> 91054 Erlangen
>
> Tel.: 09131/29889
>
> Am Dienstag, 4. September 2007 08:52 schrieb Axel Flasbarth:
> > Lieber Matthias, liebe Liste
> >
> > ich glaube, ganz so einfach kann man es sich nicht machen. Eine Begründung
> > des BGE mit einer zunehmend geringer werdenden Nachfrage nach Arbeit ist
> > m.E. keine Erweiterung des Definitionsbereiches sondern ein ökonomischer
> > Irrtum.
> >
> > Die These der ausgehenden Arbeit hat zumindest unter ernst zu nehmenden
> > Ökonomen aus theoretischen und empirischen Gründen praktisch keine Anhänger
> > mehr.
> >
> > Würde diese These stimmen, würden wir im internationalen Vergleich
> > erwarten, dass die Höhe der Arbeitslosigkeit tendenziell mit der
> > Produktivität der Volkswirtschaft zunimmt. Reichere Länder hätten dann
> > tendenziell eine höhere Arbeitslosigkeit als ärmere. Dies beobachten wir
> > jedoch keineswegs.
> >
> > Auch theoretisch ist nicht zu erwarten, dass uns die Arbeit ausgeht,
> > solange die Bedürfnisse der Menschen nicht begrenzt sind. Denn solange die
> > Menschen nach zunehmendem Konsum streben, werden sich auf funktionierenden
> > Märkten produktive Einsatzmöglichkeiten für die zur Verfügung stehende
> > Arbeitsmenge ergeben, um die unendlichen Konsumbedürfnisse maximal zu
> > erfüllen. Das "blosse Auge" legt zwar den Schluss nahe, dass es irgendwann
> > nicht mehr genug zu produzieren gibt, um jeden ausreichend beschäftigen zu
> > können. Ganz ähnlich wie bei Deinem Beispiel mit der kreisenden Sonne hat
> > uns jedoch die Wissenschaft glücklicherweise auch über diesen Irrtum
> > aufgeklärt.
> >
> > LG
> > Axel


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