[Debatte-Grundeinkommen] [Debatte.bag.wirtschaft] Die Grüne Linke und das Grundeinkommen - oder das definitive Ende der Pionierphase
Ludwig Paul Häußner
ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de
So Okt 14 15:23:56 CEST 2007
Lieber Robert, liebe LeserInnen im Grünen-Netzwerk-Grundeinkommen,
Gesellschaften wie Organisationen sind immer im Wandel - so auch die GRÜNE
Partei.
Der Wandel in und von Organisationen lässt sich mittels dreier Phasen
charakterisieren:
Pionierphase - Differenzierungsphase - Integrationsphase.
Die Gründer sind - Pionieren gleich - herausragende Persönlichkeiten und
scharen Menschen um sich. Die Idee wird durch führenden Persönlichkeiten
repräsentiert.
Für die nächste Phase fühlen sich schon nicht mehr alle Menschen berufen -
die Differenzierungsphase schließt sich durch Wachstum und die damit
verbundene Notwendigkeit Strukturen und Prozesse professionell zu gestalten,
praktisch - mehr oder weniger - unbewusst an.
Jeder Phasenübergang birgt für eine Organisation und die darin mitwirkenden
Menschen Krisemomente. Krisen sind Wendepunkte - persönlich wir
organisational. Das kann jeder bei Joschka Fischer und der GRÜNEN Partei
sehen.
Die GRÜNEN sind derzeit in einer Krise: der "Übervater Joschka Fischer " und
"Fischers Fritz", sowie alle anderen erforderlich gewordenen Partei-Manager
müssen sich zwar nicht Aktionären gegenüber, sondern den Parteimitgliedern
hinsichtlich einer gescheiterten HARTZ IV Politik verantworten.
Wenn sie sich als entwicklungsfähig und -willig erweisen, könnten sie 2009
zu "Menschenfischern" werden; falls nicht, droht der Mandatsverlust.
In diesem Sinne die Vision für zu Zeit nach HARTZ IV das bedingungslose
Grundeinkommen statt "güner Grundsicherung".
Ludwig Paul
Mitglied der GRÜNEN in Karlsruhe
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Von: gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de
[mailto:gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de] Im Auftrag
von Robert Zion
Gesendet: Freitag, 16. März 2007 10:07
An: Grünes Netzwerk Grundeinkommen; debatte at gruene-linke.de;
debatte.bag.wirtschaft at gruene.de; debatte.bag.sozialpolitik at gruene.de;
Debatte Grundeinkommen
Betreff: [Gr.NetzGE] Die Grüne Linke und das Grundeinkommen
Hallo,
auch im Anhang als PDF.
Fischers gebrannte Kinder
Die Grüne Linke und das Grundeinkommen
Es ist offensichtlich, dass die derzeit bei den Grünen geführte
innerparteiliche
Diskussion über den vermeintlichen Gegensatz einer bedarfsorientierten
Grundsicherung oder eines bedingungslosen Grundeinkommens keine ist, die
entlang herkömmlicher Flügelkämpfe verläuft. Diesmal sind die Trennlinien
andere.
Sie verlaufen zwischen FunktionsträgerInnen in Partei und Fraktion, die sich
im
institutionellen Kontext der Reproduktion des alten Sozialstaatparadigmas
bewegen
(Grundsicherung) und zwischen Teilen einer Basis, die einen general
intellect (Marx)
in einem sich abzeichnenden neuen Vergesellschaftungsschub und damit einen
Typus von Politik repräsentieren, die im Namen der Reproduktionsprozesse
gesellschaftlicher und zunehmend einkommensloser Arbeit spricht
(Grundeinkommen). Gewissermaßen sind die Grünen sogar die einzige Partei,
die
diesen gesellschaftlichen Konflikt als Partei intern austragen könnte, da
ihr
Grundduktus, anders als der der Sozialdemokratie oder der Linkspartei.PDS,
nach
wie vor der einer Alternative zum überkommenen industriegesellschaftlichen
Produktions- und Konsumtionsbegriff ist. Insofern ist die Selbstverortung
der Partei
als „moderne, emanzipatorische Linke“ tatsächlich angemessen und zeitgemäß.
Doch zeichnet sich derzeit bei den Grünen auch eine Entwicklung ab, in der
gerade
die linken FunktionsträgerInnen der Grünen, in Dauerabwehrkämpfen gegen den
Abbau sozialstaatlicher Institutionen zugerichtet, mittlerweile vollkommen
auf
Defensive umgeschaltet haben. Jede von der sich zurückziehenden
Sozialdemokratie geräumte Stellung der Bastion des alten Sozialstaates wird
von
ihnen als deren Nachhut besetzt und – koste es was es wolle – auch gegenüber
der
eigenen Basis zu halten versucht. In einem dringend noch zu reflektierenden
Durcheinander eben dieser Abwehrkämpfe und des gleichzeitigen Versuchs, den
aussichtslosen „dritten Weg“ von new labour mitzugestallten (Agenda 2010,
Hartz-
Gesetze), wurde darüber der theoretische, konzeptionelle und praktische
Anschluss
an die Neue Linke in der Parteispitze schlichtweg verpasst. Einer Neuen
Linken, die
sich von den gewaltigen Umbrüchen der Wirtschaftsgesellschaft einfach
überrollen
lässt, weil sie die Aussichtslosigkeit von ewigen Abwehrkämpfen eingesehen
hat und
nun darauf setzt, die in diesen Umbrüchen liegenden emanzipatorischen
Potentiale
zu identifizieren und zu fördern. Darum auch sind die derzeit sich
abzeichnenden
Brüche bei den Grünen nicht allein als Symptome der Normalisierung der
Partei zu
verstehen, sondern hauptsächlich als Ausdruck ihrer nach wie vor wirksamen
basisdemokratischen Verfasstheit. Die Grünen als Gesamtpartei, heißt das,
vollziehen gerade einen Generationenwechsel entlang thematischer und
gesellschaftlicher Konfliktlinien.
Dabei hat sich allerdings der im Nachhinein betrachtet relativ
unspektakuläre Abgang
des Ein-Mann-Gewissens, bzw. der Ein-Personen-Urteilskraft der Partei
Joschka
Fischer für die Linken in Fraktions- und Parteispitze keineswegs als
Befreiung
erwiesen, da der durch den new labour-Kurs Fischers bei den Grünen faktisch
stillgelegten Debatte um ein eigenständiges neues und offensives
Sozialstaatsparadigma augenblicklich die Anschlusspunkte fehlen. So kehrt
die
parlamentarische Linke in dieser Frage, noch unter dem Eindruck des Schocks
angesichts des Hartz-Desasters, fast ausnahmslos zu Positionen vor der
Agenda
2010 zurück, zu einem zweiten Anlauf in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
die
Programmatiken von 2002 durchzusetzen. Doch die Partei hat sich inzwischen
verändert. Sie hat sich in Teilen der Basis vom rein institutionell
gefassten
Reformbegriff ihrer Funktionsträger verabschiedet, nach Außen hin geöffnet
und
schon längst informell mit jenen Bereichen der Zivilgesellschaft und anderer
Parteien
vernetzt, die die altgrüne Forderung nach einem völlig neuen
Sozialstaatsparadigma
für sich aufgegriffen haben, seien es zivilgesellschaftliche Netzwerke wie
attac oder
das Netzwerk Grundeinkommen, seien es Personen wie Dieter Althaus, Götz
Werner
oder Katja Kipping. Zur Zeit sind es gerade die Linken Funktionsträger, die
auf diese
horizontale Öffnung mit einer von ihnen eigentlich weniger zu erwartenden
Rigidität
in der Steuerung der Debatte reagieren und sich dabei institutioneller
Parteistrukturen und vertikaler Hierarchien bedienen. Die einst von Fischer
gezüchtigten, erweisen sich so unversehens als die neuen Zuchtmeister der
Partei.
Als Fischers gebrannte und an Niederlagen gewöhnte Kinder, erscheinen ihnen
in
der gegenwärtigen Debatte über die Zukunft Grüner Sozialpolitik erstmals
wieder
leichte Siege vor Augen, und damit natürlich auch eine nachträgliche
Legitimation
ihres Widerstandes. Dies alles ist nur zu verständlich, birgt aber auch eine
nicht zu
unterschätzende Gefahr für die Parteilinke an der Spitze, jetzt die Kämpfe
von
Morgen wieder einmal in den Kostümen und mit den Strategien von Gestern
auszutragen und so den Anschluss an die emanzipatorischen Kräfte der
Gesellschaft
endgültig zu verlieren.
Ein zu leichter Sieg wäre es auch, das Scheitern der Hartz-Reformen nun
allein an
mangelnder Umsetzung, bzw. zu geringer Grüner Einflussmöglichkeiten
festmachen
zu wollen, statt darin das zu sehen, was es im Kern ist: Der vorläufige
Höhepunkt des
funktionalen Chaos einer vollkommenen überforderten sozialstaatlichen
Verwaltung
„menschlicher Überschüsse“ in den gegenwärtigen Umbrüchen der
Arbeitsgesellschaft. Das analytische Rüstzeug für die Parteilinke, jenseits
von
Träumereien über „Grüne Marktwirtschaft“ eine eigenständige emanzipatorische
und
kapitalismuskritische Antwort auf den Zusammenbruch des
sozialstaatlich-keynesianischen
Arrangements zu formulieren, steht längst zur Verfügung, von Ulrich
Beck bis zu Jeremy Rifkin, von André Gorz bis zu Hardt/Negri – ergriffen
wird es
nicht. Dabei wäre es gerade jetzt notwendiger denn je, die Zukunft der
Arbeit nach
dem Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft aus linker Sicht neu zu denken und
diese
nicht allein den wirtschaftsliberalen Deregulierern oder fürsorgenden
Menschenverwaltern in der Partei zu überlassen, und zwar gemeinsam mit der
Basis,
die diese Zukunft schon längst alltäglich (er)lebt, und nicht gegen sie.
Robert Zion
Geschäftsführender Vorstand, Sprecher für Wirtschaft, Soziales,
Demokratie und Innerparteiliches, B’90/Grüne, KV Gelsenkirchen
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