[Debatte-Grundeinkommen] Kumpmann 05/2007

Matthias Dilthey info at psgd.info
So Mai 27 17:48:57 CEST 2007


Sehr geehrter Herr Kumpmann, hallo Listenteilnehmer,

Der Beitrag
http://www.archiv-grundeinkommen.de/kumpmann/200705-initial.pdf
fordert eine Stellungnahme.

Schon mit dem ersten Satz wird bei mir Widerspruch erzeugt:
"... das mit dem Grundeinkommen gelindert werden soll, ist die Armut..."

Jeder selbstbewußte Mensch kann mit Armut leben: "geh´ mir aus der Sonne" und 
"störe meine Kreise nicht" sind typifizierte Zitate, die wahre geistige Größe 
jenseits von monetärer Anerkennung deutlich machen.

Wenn versucht wird, das BGE auf eine andere Form der Sozialhilfe zu 
degradieren, so wurde der BGE-Gedanke nicht richtig verstanden.

"Das bedingungslose Grundeinkommen würde einen Beitrag zur Lösung dieser 
Probleme leisten. Da es ein Einkommen für alle ist, wird die 
gesellschaftliche Stigmatisierung der Leistungsempfänger praktisch 
aufgehoben."
Auch diese unbelegte Behauptung ist unrichtig: Eine Leistung, die jeder 
erhält, wird als nichtig empfunden, was sich auch mit der Mathematik deckt:
Erwerbseinkommen (1) + BGE= Familieneinkommen (1)
Erwerbseinkommen (2) + BGE= Familieneinkommen (2)

Beide Gleichungen um das BGE gemindert ergeben, daß Erwerbs-Einkommen aus (1) 
und Erwerbs-Einkommen aus (2) miteinander verglichen werden. Das BGE stellt 
einen Sockel dar, der bezüglich Stigmatisierung und Anerkennung 
gesellschaftlicher Werte unberücksichtigt bleibt.

"Diese Art sozialen Engagements gewinnt gerade dadurch einen Teil ihres 
Charakters, dass sie nicht gegen Lohn erfolgt. Die Freiwilligkeit wird durch 
die verlässliche und von der Arbeit unabhängige Existenzsicherung mit dem 
Grundeinkommen gestärkt."

Auch diese Betrachtung kann nur richtig sein, wenn das BGE als Sozialhilfe auf 
unterstem Niveau betrachtet wird.
Betrachtet man das BGE als emanzipatorisch, wird ehrenamtliche Sozialarbeit 
überhaupt erst möglich durch das BGE.
Kumpmann hingegen rechnet den Lohnverzicht ("erfolgt nicht gegen Lohn") mit 
der Freiwilligkeit auf. Diese Aufrechnung widerspricht jeglichem 
emanzipatorischen Charakter einer BGE-Zahlung.


"... Der Sozialstaat, der eigentlich eine Umverteilung von oben nach unten 
durchführen sollte, verteilt überwiegend innerhalb der Arbeitnehmerschaft mit 
mittlerem Einkommen unter Beteiligung ihrer Arbeitgeber um. Dies ist nicht 
nur verteilungspolitisch problematisch, sondern trägt zusätzlich zu einer 
hohen Belastung beschäftigungsintensiver Unternehmen bei.
Alle [drei] Probleme werden durch das Grundeinkommen abgemildert."

Das ist so nicht richtig. Alle TG-M finanzierten Modelle (Althaus, BAG, Grüne 
Grundsicherung etc.) verteilen horizontal, einzig Werner und Dilthey 
verteilen vertikal, d.h. von oben nach unten.

Kumpmann schreibt, daß "Es ist nicht unmittelbar einzusehen [ist], dass ein 
Grundeinkommen die Verhandlungsposition der Gewerkschaften oder der Arbeit-
nehmer schwächen sollte. Im Gegenteil: Da durch das Grundeinkommen 
Arbeitslosigkeit weniger existenzbedrohend wirkt, kann die 
Verhandlungsposition der Arbeitskräfte sogar gestärkt werden, was zu 
Lohnsteigerungen führen würde."

Dabei übersieht er, daß ein emanzipatorisches BGE die Gewerkschaften in ihrer 
jetzigen Form obsolet machen würde, diese also keine Verhandlungsposition 
mehr einnehmen könnten; weder in Bezug auf ihre Mitglieder, noch in Bezug auf 
die Arbeitgeber. Richtig ist, daß ein emanzipatorisches BGE die Menschen frei 
machen würde von den Zwängen der Gewerkschaft UND der Arbeitgeber.

Weiter führt Kumpmann aus: "Dabei ist das Grundeinkommen ein in Euro 
ausgedrückter absoluter Betrag, während sich die Steuer als Anteil des 
Markteinkommens ergibt. Klar ist, dass Erwerbslose netto gewinnen werden. 
Denn sie zahlen keine (oder nur indirekte) Steuern, beziehen aber das 
Grundeinkommen."
Ob Erwerbslose mit oder ohne BGE besser stehen, ist von der Ausgestaltung des 
BGE abhängig. So dürfte das Althaus-BGE einen großen Erwerbszwang auslösen, 
denn es stellt gewisse Menschen deutlich schlechter als ALG II.
Entsprechende Berechnungen sind hier zu finden:
http://psgd.info/forum/thread.php?postid=729#post729

Kumpmann behauptet, "Daher werden die Bezieher hoher Einkommen verstärkt 
steuerlich herangezogen. Da die Reichen zur Finanzierung höhere Steuern
zahlen als sie Grundeinkommen erhalten, sind sie zwangsläufig Nettozahler des 
Systems." Das mag in absoluten Zahlen ausgedrückt, richtig sein. nicht jedoch 
gemessen an der Leistungsfähigkeit.
Sowohl gegenüber Heute als auch nach Einführung eines TG-M finanzierten BGE 
(z.B. nach Althaus) werden die Besserverdiener prozentual entlastet:
http://psgd.info/forum/thread.php?postid=1951#post1951

Wenn Kumpmann weiter ausführt: "Diese zusätzliche Umverteilung ist zu 
finanzieren durch direkte oder indirekte Steuern, die schwerpunktmäßig von 
den Beziehern hoher Einkommen zu zahlen sind.", so beschreibt er einen 
Wunschzustand, der durch TG-M-finanzierte Modelle nicht zu leisten ist. Allen 
TG-M-finanzierten Modellen ist gemein, daß diese BGE-Modelle den größten Teil 
der Umverteilung innerhalb der Gruppe der Geringverdiener vornehmen: "Arm 
hilft noch Ärmeren".


" ... müssen zur Finanzierung des Grundeinkommens die Steuern auf selbst 
erwirtschaftetes Einkommen im Vergleich zu heute angehoben werden, sodass 
einer Arbeitnehmerin von ihrem selbst erarbeiteten Lohneinkommen ein 
kleinerer Anteil netto verbleibt, sie dafür aber arbeitsunabhängig das 
Grundeinkommen erhält.", schreibt Kumpmann.
Dieses "müssen" ist keineswegs gottgegeben, sonder stellt eine 
Unzulänglichkeit des von Kumpmann präferierten BGE-Modells dar.

Schon aus diesem Grund ist das Modell als "Umverteilungs-Modell von Oben nach 
Unten" abzulehnen. Es ist nicht in der Lage, das zu leisten, was Kumpmann 
hier verspricht.

Kumpmann führt richtigerweise aus, daß "die einseitige Orientierung auf das 
Ziel, Leistungsanreize im Erwerbsprozess zu maximieren, mit dem 
Grundeinkommen zurückgewiesen [wird].", was einen emanzipatorischen Ansatz 
darstellt. Doch sofort muß er systembedingt einschränken: "Dabei darf 
allerdings die Reduzierung der Anreize nicht so weit gehen, dass die 
Finanzierung des Grundeinkommens in Gefahr gerät."
Daß die Finanzierung des BGE in "Gefahr geraten kann", liegt doch an den von 
Kumpmann falsch gewählten Finanzierungs-Ansätzen, nicht am BGE ansich!

Doch Kumpmann möchte überhaupt kein emanzipatorisch wirkendes BGE. Er führt 
selber aus, daß " [es] Kostendämpfend wirkt, wenn die Zahl der 
Nettoempfänger, die mehr Grundeinkommen erhalten als sie direkte Steuern 
zahlen, kleiner gehalten wird. Dies gelingt indem die Grenzsteuersätze für 
sie höher als für Nettozahler festgelegt werden (Pelzer/Fischer 2004b: 2). 
Das heißt, dass die Grenzsteuersätze auf geringes eigenes Lohneinkommen 
relativ hoch angesetzt werden."

Somit legt er selbst offen, daß es sich bei seinem bevorzugten Modell um einen 
billigeren Sozialhilfe-Ersatz handelt, der auf ein hohes Maß an 
Erwerbsarbeits-Zwang angewiesen ist.

Brauchen wir hier in dieser Liste solch neoliberale Denk-Ansätze?

Die unterschiedlichen BGE-Höhen enthalten "Initial-Punkte", ab denen ein BGE 
völlig unterschiedliche Wirkungen erzielt. So bewirkt ein BGE unterhalb eines 
"Initial-Punktes" eine massiver Verstärkung des Erwerbsarbeits-Zwangs, erst 
oberhalb dieses "Initial-Punktes" nimmt der Erwerbs-Arbeitszwang mit 
steigender BGE-Höhe ab. (Vergl. dazu auch Blasche 2006 "Bedingungsloses 
Grundeinkommen (BGE), Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung")

Diese, als gesichert anzusehenden Initial-Punkte, werden von Kumpmann völlig 
ignoriert.

Ob man den Aufsatz von Kumpmann ablehnt oder ihm zustimmt, hängt in erster 
Linie vom eigenen Denkansatz ab: Möchte man ein emanzipatorisches BGE oder 
ist die eigene Einstellung eher liberal-konservativ.


Matthias Dilthey
 

 
 






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