[Debatte-Grundeinkommen] Ei des Kolumbus

Kurt Sprung sprungk at gmx.de
Mi Mai 23 16:26:22 CEST 2007


Beim Betrachten der Talk-show im ZDF mit Maybritt Illner, "Geld fürs Nichtstun?" (http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/22/0,4070,5272118-5,00.html) ist mir aufgefallen, dass sich die Vertreter für ein bedingungsloses Grundeinkommen verteidigen mussten, also angegriffen wurden. Das stellt die Realität auf den Kopf: 

Eigentlich müssten sich die Vertreter des "wir lassen diesen Sozialstaat so" doch verteidigen!

Stellen wir die Dinge wieder auf die Füße, rücken wir gerade:

Unser Sozialstaat steht am Abgrund: die milliardenschwere Verschuldung der BRD ist Ausdruck und Folge davon. Unser Sozialstaat ist so nicht zukunftsfähig. Unser Sozialstaat blockiert so Teilzeitarbeit, Elternarbeit, Pflegearbeit - vor allem in der Familie - und er fördert das weitere Aufreissen der Einkommensschere.

Unser Sozialstaat ist darauf zugeschnitten, dass überwiegend Männer, Familienväter, einer Vollerwerbsarbeit nachgehen und damit auch ausreichend die Familie unterhalten, während sich Frauen überwiegend um Kinder und Familie kümmern. Außerdem ist unser Sozialstaat darauf zugeschnitten, dass die Arbeitslosigkeit gering bleibt. Bis zu Beginn der 80er Jahre waren diese Voraussetzungen in Deutschland noch weitgehend erfüllt. Gerade die letzten 20 Jahre haben aber dramatische Folgen für unser Land gehabt und jedem, der Augen hat zu sehen, offenbart, wie zwei Dinge überhaupt nicht mehr zusammen passen: Der Sozialstaat mit Steuern auf Löhnen und Gehältern, mit Sozialversicherungsbeiträgen auf Renten, Arbeitslosigkeit und Krankheit und eine hochentwickelte Industriegesellschaft, der in kürzester Zeit Millionen von Arbeitsplätzen wegbrechen. 

Problemfelder des heutigen Sozialstaates in Deutschland

Problembereich 1:

Bürokratie; wir haben so viele soziale Leistungen in unserem Land, dass vermutlich die wenigsten Menschen alle aufzählen können. Da (fast) alle Leistungen an Bedingungen geknüpft sind, müssen natürlich entsprechend ausgebildete und vertrauenswürdige Menschen überprüfen, ob die Antragsteller auch diese Bedingungen erfüllen.

Inzwischen existiert ein unglaublich großer Verwaltungsapparat, der diese sozialen Leistungen überwacht.

Problembereich 2:
Arbeitslosigkeit: Diese jetzige soziale Sicherung bietet keinen Anreiz Arbeit aufzunehmen, die nur geringen Verdienst bietet. Selbst ein Vollerwerbsarbeitsplatz bietet unter manchen Umständen Netto nur wenig mehr als Hartz IV. Folge: Teilerwerb und Geringverdiener werden blockiert. Der Fehler liegt im System, weil Lohn und Gehalt nicht anteilsmäßig und berechenbar zu einer Grundsicherung dazugerechnet werden - das Ganze Netto natürlich.


Problembereich 3:
Sozialversicherungen (Arbeit, Rente, Krankheit): Ursprünglich ein Fortschritt, zu Zeiten Bismarcks sowieso, verschleiern sie und komplizieren das ohnehin komplizierte Geflecht unseres Sozialstaates.



Problembereich 4
Armut: Geringverdiener werden dafür bestraft, wenn sie Vorsorge durch Sparen getroffen haben, da Vermögen bei Arbeitslosigkeit berücksichtigt wird, statt allein Einkommen, das aus Vermögen resultiert. Wer Vorsorge betreibt und arbeitslos wird ist der Depp. Ein eklatanter Widerspruch zu den Milliarden, die der Staat als Steuergeschenke den Bürgern für das Sparen und für den Erwerb von Wohneigentum bereits geschenkt hat.

Problembereich 5
Kompliziertheit: was der Staat von seinem Bürger bekommt, was dem Staat zusteht ist ebenso viel zu kompliziert wie die Rechte des Bürgers an seinen Staat. Geben und Nehmen, beide müssen einfach und für Jeden klar verständlich sein. Denn es betrifft ja schließlich auch uns alle.

Ist das bedingungslose Grundeinkommen das "Ei des Kolumbus" für unseren Sozialstaat? Ich denke, es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, das ein einfaches Reformieren, so wie es Gerhard Schröder ja mit seiner Agenda 2010 versucht hatte, nicht ausreicht. Wir brauchen eine richtig große Reform, die unsere Steuergesetze entrümpelt und eine vollständige Reform der Sozialversicherungen. All das geht nur in einer Einvernehmlichkeit der gesamten Belegschaft des Bundestages, die wir bisher noch nie hatten: 

Eine echte Zusammenarbeit aller Parteien, von Links bis Rechts, von Grün bis Blau, von Rot bis Rosa.

Mein Fazit: wie können wir den Vertretern des bedingungslosen Grundeinkommens in den Talkshows helfen? Wir kämpfen dabei ja auch mit einem hochgebildeten Unwissen. Das soll an Oswald Metzger deutlich werden. Er versteht nicht, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen einer Friseurin, die im Kleineinkommensbereich arbeitet, genauso gut hilft, wie der Friseurmeisterin, die den Arbeitsplatz stellt. Dieses Beispiel taucht in der Talk-show übrigens auf.

Liebe Grüße an alle Mitstreiter/innen

Kurt Sprung



P.S.

Hier ein kleiner Auszug der Vorwürfe, die gegen das BGE erhoben werden:
1. Menschen wollen weniger Steuern und weniger Staat; Schwarzarbeit ist Beweis dafür
2. Arbeitsverweigerung von Arbeitslosen
3. Nicht Fische verteilen sondern Angeln
4. Wer macht die Jobs, die sonst keiner machen will, wenn es ein Grundeinkommen gibt?
5. Grundeinkommen führt zu Arbeitslosigkeit (wer soll für 1500 Euro arbeiten, wenn er 1500 Euro fürs Nichtstun kriegt; Folge: Jobs mit niedrigem Einkommen sind nicht mehr möglich; Folge: diese Jobs können nicht mehr angeboten werden - z. B. Friseurin)
6. Soziale Sicherung gut wenn Arbeitslosigkeit relativ gering; Vollbeschäftigung ist möglich, siehe verschiedene Nachbarländer
7. BGE führt zu Aufspaltung in Menschen mit Arbeitsplatz und mit Geld abgespeisten und abgefundenen Arbeitslosen......






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