[Debatte-Grundeinkommen] Die Grüne Linke und das Grundeinkommen - oder das definitive Ende der Pionierphase

Ludwig Paul Häußner ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de
Fr Mär 16 11:19:35 CET 2007


Lieber Robert, liebe LeserInnen im Grünen-Netzwerk-Grundeinkommen,
 
Gesellschaften wie Organisationen sind immer im Wandel - so auch die GRÜNE
Partei.
 
 
Der Wandel in und von Organisationen lässt sich mittels dreier Phasen
charakterisieren:
 
Pionierphase - Differenzierungsphase - Integrationsphase.
 
 
Die Gründer sind - Pionieren gleich - herausragende Persönlichkeiten und
scharen Menschen um sich. Die Idee wird durch führenden Persönlichkeiten
repräsentiert.
 
 
Für die nächste Phase fühlen sich schon nicht  mehr alle Menschen berufen -
die Differenzierungsphase schließt sich durch Wachstum und die damit
verbundene Notwendigkeit Strukturen und Prozesse professionell zu gestalten,
praktisch - mehr oder weniger - unbewusst an.
 
Jeder Phasenübergang birgt für eine Organisation und die darin mitwirkenden
Menschen Krisemomente. Krisen sind Wendepunkte - persönlich wir
organisational. Das kann jeder bei Joschka Fischer und der GRÜNEN Partei
sehen.
 
 
Die GRÜNEN sind derzeit in einer Krise: der "Übervater Joschka Fischer " und
"Fischers Fritz", sowie alle anderen erforderlich gewordenen Partei-Manager
müssen sich zwar nicht Aktionären gegenüber, sondern den Parteimitgliedern
hinsichtlich einer gescheiterten HARTZ IV Politik verantworten.
 
Wenn sie sich als entwicklungsfähig und -willig erweisen, könnten sie 2009
zu "Menschenfischern" werden; falls nicht, droht der Mandatsverlust.
 
In diesem Sinne die Vision für zu Zeit nach HARTZ IV das bedingungslose
Grundeinkommen statt "güner Grundsicherung".
 
 
Ludwig Paul
Mitglied der GRÜNEN in Karlsruhe
 



  _____  

Von: gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de
[mailto:gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de] Im Auftrag
von Robert Zion
Gesendet: Freitag, 16. März 2007 10:07
An: Grünes Netzwerk Grundeinkommen; debatte at gruene-linke.de;
debatte.bag.wirtschaft at gruene.de; debatte.bag.sozialpolitik at gruene.de;
Debatte Grundeinkommen
Betreff: [Gr.NetzGE] Die Grüne Linke und das Grundeinkommen 


Hallo,
auch im Anhang als PDF.
 

Fischers gebrannte Kinder

Die Grüne Linke und das Grundeinkommen

 

Es ist offensichtlich, dass die derzeit bei den Grünen geführte
innerparteiliche

Diskussion über den vermeintlichen Gegensatz einer bedarfsorientierten

Grundsicherung oder eines bedingungslosen Grundeinkommens keine ist, die

entlang herkömmlicher Flügelkämpfe verläuft. Diesmal sind die Trennlinien
andere.

Sie verlaufen zwischen FunktionsträgerInnen in Partei und Fraktion, die sich
im

institutionellen Kontext der Reproduktion des alten Sozialstaatparadigmas
bewegen

(Grundsicherung) und zwischen Teilen einer Basis, die einen general
intellect (Marx)

in einem sich abzeichnenden neuen Vergesellschaftungsschub und damit einen

Typus von Politik repräsentieren, die im Namen der Reproduktionsprozesse

gesellschaftlicher und zunehmend einkommensloser Arbeit spricht

(Grundeinkommen). Gewissermaßen sind die Grünen sogar die einzige Partei,
die

diesen gesellschaftlichen Konflikt als Partei intern austragen könnte, da
ihr

Grundduktus, anders als der der Sozialdemokratie oder der Linkspartei.PDS,
nach

wie vor der einer Alternative zum überkommenen industriegesellschaftlichen

Produktions- und Konsumtionsbegriff ist. Insofern ist die Selbstverortung
der Partei

als „moderne, emanzipatorische Linke“ tatsächlich angemessen und zeitgemäß.

 

Doch zeichnet sich derzeit bei den Grünen auch eine Entwicklung ab, in der
gerade

die linken FunktionsträgerInnen der Grünen, in Dauerabwehrkämpfen gegen den

Abbau sozialstaatlicher Institutionen zugerichtet, mittlerweile vollkommen
auf

Defensive umgeschaltet haben. Jede von der sich zurückziehenden

Sozialdemokratie geräumte Stellung der Bastion des alten Sozialstaates wird
von

ihnen als deren Nachhut besetzt und – koste es was es wolle – auch gegenüber
der

eigenen Basis zu halten versucht. In einem dringend noch zu reflektierenden

Durcheinander eben dieser Abwehrkämpfe und des gleichzeitigen Versuchs, den

aussichtslosen „dritten Weg“ von new labour mitzugestallten (Agenda 2010,
Hartz-

Gesetze), wurde darüber der theoretische, konzeptionelle und praktische
Anschluss

an die Neue Linke in der Parteispitze schlichtweg verpasst. Einer Neuen
Linken, die

sich von den gewaltigen Umbrüchen der Wirtschaftsgesellschaft einfach
überrollen

lässt, weil sie die Aussichtslosigkeit von ewigen Abwehrkämpfen eingesehen
hat und

nun darauf setzt, die in diesen Umbrüchen liegenden emanzipatorischen
Potentiale

zu identifizieren und zu fördern. Darum auch sind die derzeit sich
abzeichnenden

Brüche bei den Grünen nicht allein als Symptome der Normalisierung der
Partei zu

verstehen, sondern hauptsächlich als Ausdruck ihrer nach wie vor wirksamen

basisdemokratischen Verfasstheit. Die Grünen als Gesamtpartei, heißt das,

vollziehen gerade einen Generationenwechsel entlang thematischer und

gesellschaftlicher Konfliktlinien.

 

Dabei hat sich allerdings der im Nachhinein betrachtet relativ
unspektakuläre Abgang

des Ein-Mann-Gewissens, bzw. der Ein-Personen-Urteilskraft der Partei
Joschka

Fischer für die Linken in Fraktions- und Parteispitze keineswegs als
Befreiung

erwiesen, da der durch den new labour-Kurs Fischers bei den Grünen faktisch

stillgelegten Debatte um ein eigenständiges neues und offensives

Sozialstaatsparadigma augenblicklich die Anschlusspunkte fehlen. So kehrt
die

parlamentarische Linke in dieser Frage, noch unter dem Eindruck des Schocks

angesichts des Hartz-Desasters, fast ausnahmslos zu Positionen vor der
Agenda

2010 zurück, zu einem zweiten Anlauf in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
die

Programmatiken von 2002 durchzusetzen. Doch die Partei hat sich inzwischen

verändert. Sie hat sich in Teilen der Basis vom rein institutionell
gefassten

Reformbegriff ihrer Funktionsträger verabschiedet, nach Außen hin geöffnet
und

schon längst informell mit jenen Bereichen der Zivilgesellschaft und anderer
Parteien

vernetzt, die die altgrüne Forderung nach einem völlig neuen
Sozialstaatsparadigma

für sich aufgegriffen haben, seien es zivilgesellschaftliche Netzwerke wie
attac oder

das Netzwerk Grundeinkommen, seien es Personen wie Dieter Althaus, Götz
Werner

oder Katja Kipping. Zur Zeit sind es gerade die Linken Funktionsträger, die
auf diese

horizontale Öffnung mit einer von ihnen eigentlich weniger zu erwartenden
Rigidität

in der Steuerung der Debatte reagieren und sich dabei institutioneller

Parteistrukturen und vertikaler Hierarchien bedienen. Die einst von Fischer

gezüchtigten, erweisen sich so unversehens als die neuen Zuchtmeister der
Partei.

Als Fischers gebrannte und an Niederlagen gewöhnte Kinder, erscheinen ihnen
in

der gegenwärtigen Debatte über die Zukunft Grüner Sozialpolitik erstmals
wieder

leichte Siege vor Augen, und damit natürlich auch eine nachträgliche
Legitimation

ihres Widerstandes. Dies alles ist nur zu verständlich, birgt aber auch eine
nicht zu

unterschätzende Gefahr für die Parteilinke an der Spitze, jetzt die Kämpfe
von

Morgen wieder einmal in den Kostümen und mit den Strategien von Gestern

auszutragen und so den Anschluss an die emanzipatorischen Kräfte der
Gesellschaft

endgültig zu verlieren.

 

Ein zu leichter Sieg wäre es auch, das Scheitern der Hartz-Reformen nun
allein an

mangelnder Umsetzung, bzw. zu geringer Grüner Einflussmöglichkeiten
festmachen

zu wollen, statt darin das zu sehen, was es im Kern ist: Der vorläufige
Höhepunkt des

funktionalen Chaos einer vollkommenen überforderten sozialstaatlichen
Verwaltung

„menschlicher Überschüsse“ in den gegenwärtigen Umbrüchen der

Arbeitsgesellschaft. Das analytische Rüstzeug für die Parteilinke, jenseits
von

Träumereien über „Grüne Marktwirtschaft“ eine eigenständige emanzipatorische
und

kapitalismuskritische Antwort auf den Zusammenbruch des
sozialstaatlich-keynesianischen

Arrangements zu formulieren, steht längst zur Verfügung, von Ulrich

Beck bis zu Jeremy Rifkin, von André Gorz bis zu Hardt/Negri – ergriffen
wird es

nicht. Dabei wäre es gerade jetzt notwendiger denn je, die Zukunft der
Arbeit nach

dem Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft aus linker Sicht neu zu denken und
diese

nicht allein den wirtschaftsliberalen Deregulierern oder fürsorgenden

Menschenverwaltern in der Partei zu überlassen, und zwar gemeinsam mit der
Basis,

die diese Zukunft schon längst alltäglich (er)lebt, und nicht gegen sie.

 

Robert Zion

Geschäftsführender Vorstand, Sprecher für Wirtschaft, Soziales,
Demokratie und Innerparteiliches, B’90/Grüne, KV Gelsenkirchen
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