[Debatte-Grundeinkommen] Die Grüne Linke und das Grundeinkommen
Robert Zion
zion at robert-zion.de
Fr Mär 16 10:06:54 CET 2007
Hallo,
auch im Anhang als PDF.
Fischers gebrannte Kinder
Die Grüne Linke und das Grundeinkommen
Es ist offensichtlich, dass die derzeit bei den Grünen geführte innerparteiliche
Diskussion über den vermeintlichen Gegensatz einer bedarfsorientierten
Grundsicherung oder eines bedingungslosen Grundeinkommens keine ist, die
entlang herkömmlicher Flügelkämpfe verläuft. Diesmal sind die Trennlinien andere.
Sie verlaufen zwischen FunktionsträgerInnen in Partei und Fraktion, die sich im
institutionellen Kontext der Reproduktion des alten Sozialstaatparadigmas bewegen
(Grundsicherung) und zwischen Teilen einer Basis, die einen general intellect (Marx)
in einem sich abzeichnenden neuen Vergesellschaftungsschub und damit einen
Typus von Politik repräsentieren, die im Namen der Reproduktionsprozesse
gesellschaftlicher und zunehmend einkommensloser Arbeit spricht
(Grundeinkommen). Gewissermaßen sind die Grünen sogar die einzige Partei, die
diesen gesellschaftlichen Konflikt als Partei intern austragen könnte, da ihr
Grundduktus, anders als der der Sozialdemokratie oder der Linkspartei.PDS, nach
wie vor der einer Alternative zum überkommenen industriegesellschaftlichen
Produktions- und Konsumtionsbegriff ist. Insofern ist die Selbstverortung der Partei
als "moderne, emanzipatorische Linke" tatsächlich angemessen und zeitgemäß.
Doch zeichnet sich derzeit bei den Grünen auch eine Entwicklung ab, in der gerade
die linken FunktionsträgerInnen der Grünen, in Dauerabwehrkämpfen gegen den
Abbau sozialstaatlicher Institutionen zugerichtet, mittlerweile vollkommen auf
Defensive umgeschaltet haben. Jede von der sich zurückziehenden
Sozialdemokratie geräumte Stellung der Bastion des alten Sozialstaates wird von
ihnen als deren Nachhut besetzt und - koste es was es wolle - auch gegenüber der
eigenen Basis zu halten versucht. In einem dringend noch zu reflektierenden
Durcheinander eben dieser Abwehrkämpfe und des gleichzeitigen Versuchs, den
aussichtslosen "dritten Weg" von new labour mitzugestallten (Agenda 2010, Hartz-
Gesetze), wurde darüber der theoretische, konzeptionelle und praktische Anschluss
an die Neue Linke in der Parteispitze schlichtweg verpasst. Einer Neuen Linken, die
sich von den gewaltigen Umbrüchen der Wirtschaftsgesellschaft einfach überrollen
lässt, weil sie die Aussichtslosigkeit von ewigen Abwehrkämpfen eingesehen hat und
nun darauf setzt, die in diesen Umbrüchen liegenden emanzipatorischen Potentiale
zu identifizieren und zu fördern. Darum auch sind die derzeit sich abzeichnenden
Brüche bei den Grünen nicht allein als Symptome der Normalisierung der Partei zu
verstehen, sondern hauptsächlich als Ausdruck ihrer nach wie vor wirksamen
basisdemokratischen Verfasstheit. Die Grünen als Gesamtpartei, heißt das,
vollziehen gerade einen Generationenwechsel entlang thematischer und
gesellschaftlicher Konfliktlinien.
Dabei hat sich allerdings der im Nachhinein betrachtet relativ unspektakuläre Abgang
des Ein-Mann-Gewissens, bzw. der Ein-Personen-Urteilskraft der Partei Joschka
Fischer für die Linken in Fraktions- und Parteispitze keineswegs als Befreiung
erwiesen, da der durch den new labour-Kurs Fischers bei den Grünen faktisch
stillgelegten Debatte um ein eigenständiges neues und offensives
Sozialstaatsparadigma augenblicklich die Anschlusspunkte fehlen. So kehrt die
parlamentarische Linke in dieser Frage, noch unter dem Eindruck des Schocks
angesichts des Hartz-Desasters, fast ausnahmslos zu Positionen vor der Agenda
2010 zurück, zu einem zweiten Anlauf in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik die
Programmatiken von 2002 durchzusetzen. Doch die Partei hat sich inzwischen
verändert. Sie hat sich in Teilen der Basis vom rein institutionell gefassten
Reformbegriff ihrer Funktionsträger verabschiedet, nach Außen hin geöffnet und
schon längst informell mit jenen Bereichen der Zivilgesellschaft und anderer Parteien
vernetzt, die die altgrüne Forderung nach einem völlig neuen Sozialstaatsparadigma
für sich aufgegriffen haben, seien es zivilgesellschaftliche Netzwerke wie attac oder
das Netzwerk Grundeinkommen, seien es Personen wie Dieter Althaus, Götz Werner
oder Katja Kipping. Zur Zeit sind es gerade die Linken Funktionsträger, die auf diese
horizontale Öffnung mit einer von ihnen eigentlich weniger zu erwartenden Rigidität
in der Steuerung der Debatte reagieren und sich dabei institutioneller
Parteistrukturen und vertikaler Hierarchien bedienen. Die einst von Fischer
gezüchtigten, erweisen sich so unversehens als die neuen Zuchtmeister der Partei.
Als Fischers gebrannte und an Niederlagen gewöhnte Kinder, erscheinen ihnen in
der gegenwärtigen Debatte über die Zukunft Grüner Sozialpolitik erstmals wieder
leichte Siege vor Augen, und damit natürlich auch eine nachträgliche Legitimation
ihres Widerstandes. Dies alles ist nur zu verständlich, birgt aber auch eine nicht zu
unterschätzende Gefahr für die Parteilinke an der Spitze, jetzt die Kämpfe von
Morgen wieder einmal in den Kostümen und mit den Strategien von Gestern
auszutragen und so den Anschluss an die emanzipatorischen Kräfte der Gesellschaft
endgültig zu verlieren.
Ein zu leichter Sieg wäre es auch, das Scheitern der Hartz-Reformen nun allein an
mangelnder Umsetzung, bzw. zu geringer Grüner Einflussmöglichkeiten festmachen
zu wollen, statt darin das zu sehen, was es im Kern ist: Der vorläufige Höhepunkt des
funktionalen Chaos einer vollkommenen überforderten sozialstaatlichen Verwaltung
"menschlicher Überschüsse" in den gegenwärtigen Umbrüchen der
Arbeitsgesellschaft. Das analytische Rüstzeug für die Parteilinke, jenseits von
Träumereien über "Grüne Marktwirtschaft" eine eigenständige emanzipatorische und
kapitalismuskritische Antwort auf den Zusammenbruch des sozialstaatlich-keynesianischen
Arrangements zu formulieren, steht längst zur Verfügung, von Ulrich
Beck bis zu Jeremy Rifkin, von André Gorz bis zu Hardt/Negri - ergriffen wird es
nicht. Dabei wäre es gerade jetzt notwendiger denn je, die Zukunft der Arbeit nach
dem Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft aus linker Sicht neu zu denken und diese
nicht allein den wirtschaftsliberalen Deregulierern oder fürsorgenden
Menschenverwaltern in der Partei zu überlassen, und zwar gemeinsam mit der Basis,
die diese Zukunft schon längst alltäglich (er)lebt, und nicht gegen sie.
Robert Zion
Geschäftsführender Vorstand, Sprecher für Wirtschaft, Soziales,
Demokratie und Innerparteiliches, B'90/Grüne, KV Gelsenkirchen
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20070316/28911409/attachment.html>
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit Binärdaten wurde abgetrennt...
Dateiname : Fischers gebrannte Kinder.pdf
Dateityp : application/pdf
Dateigröße : 23233 bytes
Beschreibung: nicht verfügbar
URL : <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20070316/28911409/attachment.pdf>
Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen