[Debatte-Grundeinkommen] Bedarf

Reimund Acker reimund.acker at t-online.de
Sa Mär 3 02:43:19 CET 2007


Ronald Blaschke schrieb:

> Wer erwirtschaftet, erarbeitet das, was unter anderem auch von
Unternehme(r)n als > Steuern gezahlt wird?

Insofern dieses "wer" nach Personen fragt, wird die Frage immer weniger
relevant, weil bekanntlich immer weniger Menschen immer mehr erwirtschaften.
Spätestens bei einer vollautomatischen Fabrik wird die mangelnde
Zurechenbarkeit von Output zu Personen deutlich. Fragen wir dagegen "Wer
oder was erwirtschaftet ... ?" so kann ich z.B. antworten: "Das
Computerprogramm, das ich irgendwann geschrieben haben werde, um mich als
Erwerbsarbeiter zu ersetzen".

Herbert Schliffka schrieb: 

> Damit Einkommen nicht nur in den Unternehmen gezahlt werden 
> können, die ihre Einnahmen direkt am Markt erzielen, müssen 
> die Unternehmen Abgaben an den Staat und die Sozialsysteme abführen.

Merkwürdige Sichtweise. Das am Markt tätige Unternehmen sorgt sich um das
nicht am Markt tätige Unternehmen und zahlt Abgaben, damit dieser ebenfalls
Einkommen an seine Mitarbeiter zahlen darf. 

Dazu (Perspektive) fällt mir ein: Wer nur einen Hammer hat, für den besteht
die Welt aus Nägeln ;-)

> Ziel ist, dass im nächsten Durchgang des "Kreislaufes" alle 
> Empfänger der Einkommen wieder Konsumenten der Waren und 
> Dienstleistungen werden können, die die Unternehmen bereitstellen.

Wessen Ziel ist das?

> Der Antrieb zur Produktion ist der Bedarf.

Und wer oder was ist der Antrieb des Bedarfs. Hunger. Kälte. Und dann gab's
da noch "Bedarfsweckung". 

> Die wirtschaftliche Tätigkeit hat also einen "Ansaug-Motor".

Ich würde zumindest von einem kombinerten Ansaug-Einspritz-Motor sprechen.

> Die Leere, die sich immer wieder einstellt nachdem die 
> Konsument die von 
> ihnen gekauften Waren "verbraucht" haben, führt zu neuem Bedarf.

Diese Leere wird bekanntlich seit Jahrzehnten in zunehmendem Maße künstlich
herbeigeführt. Und nicht nur der Verbrauch führt zum erwünschten Bedarf,
sondern auch Verschleiß, Moden, Zerstörung freier Güter wie Natur,
Gesundheit, Synergien, etc.

> Er "saugt" Waren aus der Produktionssphäre in die 
> Konsumptionssphäre, um 
> weiter in diesem Bild zu sprechen.

Oder er "spuckt" die Waren aus, die von den Konsumenten z.T. nur unter
massiver Einwirkung von Werbe"spuckern" eingesaugt werden.

> Nachfrage ist immer auch "Auftrag" und damit Antrieb zur 
> neuen Produktion 
> der gekauften Waren (bzw. Antrieb dafür, zu bezahlende 
> Dienstleistungen 
> anzubieten).

Ach ja? Dann ist mein Auftrag für mehr öffentliche Telefonzellen und
Briefkästen wohl nicht eingegangen. Auch meine Nachfrage nach Levis der
Weite 35 wird standhaft ignoriert (die krieg ich nur in USA).

> Also einen "Arbeitsmarkt", auf dem Fähigkeiten angeblich 
> "gekauft" werden, 
> kann es in einer modernen, d.h. wirklich freien und demokratischen 
> Gesellschaft nicht geben.

Abgesehen davon, daß ich nicht recht wüsste, wie ich es anstellen könnte,
meine Fähigkeiten zu verkaufen, habe ich Grund zur Annahme, daß mein
Arbeit"geber" sich nicht damit zufrieden gäbe, wenn ich ihn so stellte, als
habe er mir meine Fähigkeiten tatsächlich abgekauft; vielmehr scheint er
ERGEBNISSE sehen zu wollen.

> Denn der Verkauf der Fähigkeiten führt zur Unfreiheit. Der 
> Käufer verfügt 
> dann über die Träger dieser Fähigkeiten wie über Unfreie.

Nochmals: Die Fähigkeiten selbst kann ich nicht verkaufen, sonst hätte sie
ja anschliessend der Käufer. Auch der Kauf eines Nutzungsrechts an meinen
Fähigkeiten bringt den Käufer nicht weiter, solange er meiner Mitwirkung
nicht gewiss sein kann. Es bleibt also dabei, das ausschließlich die
konkrete Anwendung meiner Fähigkeiten verkaufbar ist, also meine Arbeit als
Tätigkeit: Nur dafür gibt's auf Dauer Kohle, jedenfalls für Arbeit"nehmer".

> Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen ist ein 
> Schritt zur 
> Verwirklichung einer freien Gesellschaft, die bisher noch 
> nicht wirklich, 
> sondern nur als ideologischer Schein existiert.

Ja. Wobei mir auch der Schein zu schwach scheint ;-)
Und das ist womöglich ein Haupthindernis auf dem Weg zum BGE: Die
Schwierigkeit unfreier Menschen, sich Freiheit vorzustellen. Man weiß, daß
wir Menschen selbst in unseren Träumen nur unsere Wirklichkeiten, leicht
abgewandelt, wiederholen (oder siehe das "Second Life" Browsergame).

> Von ihrer gesellschaftlichen Funktion her gesehen, haben 
> Unternehmen also 
> zumindest die beiden beschriebenen Aufgaben zu erfüllen.

Die gesellschaftlichen Funktionen und die Aufgaben von Unternehmen kann man
unterschiedlich sehen und definieren. Es kommt jeweils darauf an, welche
Theorie man dazu mit welchem Zweck aufstellt. Und jeder Unternehmer ist so
frei, die Aufgabe seines Unternehmens frei festzulegen - sie kann für ihn
auch einfach und allein darin bestehen, ihm selbst ein möglichst hohes
Einkommen abzuwerfen. Und die Gesellschaft kann sich (leider) entschliessen,
in der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen eine wichtige Funktion von
Unternehmen zu sehen.

> Sie befriedigen im Wirtschaftssystem den Bedarf der Konsument 
> mit den von 
> ihnen produzierten Waren.

Nicht immer. Aber sie könnten's wenigstens versuchen ...

> Also die Konsumenten zahlen an die Unternehmen und die zahlen 
> direkt oder 
> indirekt an alle Einkommensbezieher, damit sie als 
> Konsumenten im nächsten 
> Umlauf wiederum an die Unternehmen zahlen können. 

Die Unternehmen zahlen Löhne & Gehälter, weil sie müssen, weil sonst niemand
für sie arbeitet. Das das Geld irgendwie and die Unternehmen zurückfließt,
scheint von den meisten Unternehmern (mit Ausnahme vielleicht von Götz
Werner und Henry Ford) wohl eher als angenehner Nebeneffekt gesehen zu
werden.

> 1. ein Bekenntnis: Besser wirksam, vielleicht sogar erst 
> möglich, wird die 
> Einführung eines bGE erst sein, wenn sie durch den 
> Paradigmenwechsel von der 
> einkommensbezogenen zur konsumbezogenen Steuer- und 
> Sozialabgabe begleitet 
> wird.

Ein Beweis wäre mir hier lieber als ein Bekenntnis. Gegen diese Erwartung
spricht: Durch die Senkung von Arbeitskosten würde Arbeit gegenüber
Maschinen verbilligt, es würden mehr billige Arbeitskräfte eingestellt,
statt in neue Maschinen und Innovation zu investieren, die
Arbeitsproduktivität würde sinken, der Exportweltmeister maschiert zurück in
Richtung Entwicklungsland.

> Sie offenbart bisher latent bleibendes, vereinfacht das 
> Abgabesystem 
> (nicht mehr die Einzelnen, sondern nur noch Unternehmen 
> werden veranlagt die 
> umsatzbezogenen Steuer- und Sozialabgaben abzuführen) und 
> ermöglicht, die 
> globalisierungsbedingte Niedergangsspirale zu stoppen.

Vereinfachung läßt sich auch anders erreichen, z.B. durch eine Flatrate bei
der Einkommenssteuer etc. Die größte Vereinfachung brächte das BGE selbst.

> 2. Den realen Geld-Kreislaufprozess mit seinem zweifachen 
> Funktionswechsel 
> muss man beobachtend und denkend mit verfolgen, um - jenseits 
> der (manchmal 
> auch als Wissenschaft getarnten) ideologischen Beschreibungen - zu 
> sachgemäßen Aussagen darüber kommen zu können.

Die Kreislauftheorie des Geldes ist eine Theorie wie jede andere auch. Ihr
Erklärungswert lässt sich zunächst nur beurteilen, wenn man die
Wirklichkeitskonstruktion ihrer Anhänger kennt oder teilt.

> Das war ein Versuch, dies zu tun. Er harrt der Prüfung durch andere 
> beobachtende und mitdenkend Leser.

Keine Ursache.

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Reimund Acker




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