[Debatte-Grundeinkommen] BGE in der Vergangenheit

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mo Feb 26 14:04:03 CET 2007


Hallo Stefan, hallo Listenlesen!

zuersteinmal muß ich etwas über den Umgangston in der Liste sagen: es freut
mich, daß ich außerhalb (und auch in den Beiträgen an alle) immer wieder ein
"Danke" lese. Zwar bin ich nicht wirklich scharf darauf, doch finde ich es
nett, wenn man Beiträge würdigt und auch einmal Zustimmung ausdrückt. Es
kostet jeden Zeit, irgendeinen Beitrag zu schreiben.

Zu Deiner Mail nun: ich kenne den "Manitoba-Versuch" nicht, finde es
allerdings sehr interessant, daß es diesen gab. Dazu gibt's von mir ein
"Danke" ;-)

Mir ging es allerdings nicht so sehr darum, konkrete Projekte vorzustellen,
vielmehr wollte ich aufzeigen, daß es seit langem eine Diskussion mit
"Versuchen" um ein Grundeinkommen gibt und gab. Die große Frage lautet:
warum haben wir dann eigentlich noch gar kein Grundeinkommen realisiert?
Seit Jahren (mir wurde ein Link geschickt, der die Ursprünge der BGE-Idee
ins 16. Jhd. verlegt: http://www.etes.ucl.ac.be/bien/BI/HistoryBI.htm) ist
also das Grundeinkommen Thema. Gibt es irgendeinen Grund, weshalb ein BGE
dann noch nicht realisiert wurde? Wer hat etwas dagegen?

In dem Steinbuch-Buch aus den 60ern (Falsch programmiert) werden zur
Umsetzung von Veränderungen zwei Voraussetzungen genannt:
a) der neue Zustand muß gedanklich vorbereitet sein (ein "Entwurf") - das
könnte man mit der von mir genannten "Vision" oder dem "Szenario"
gleichsetzen
b) zum Übergang vom gegebenen Zustand zum neuen, angestrebten Zustand müssen
Machtmittel vorhanden sein.

Es findet (nach Steinbuch) kein Übergang statt, wenn
a) die  "Entwerfer" keine Machtmittel haben
oder:
b) die Machtinhaber keinen "Entwurf" haben

Nun ist es im Fall des BGE so, daß es "Entwerfer" gibt, denen keine
Machtmittel zur Verfügung gestellt werden und die Machtinhalber keinen
"Entwurf" haben, wie sie die Forderung der BGE-Befürworter umsetzen sollen.
Deshalb ist das BGE noch nicht Realität. Scheinbar haben die "Entwerfer"
Angst vor der Macht (um genauso zu werden, wie die, welche sie anklagen)
oder die Machtinhaber haben Angst, daß ihnen die Macht durch ein BGE
entgleitet. Reduziert sich die BGE-Frage damit auf eine Frage der Macht?

Das BGE ist in meinen Augen ein Schritt in die Unabhängigkeit und Freiheit.
Dies würde die Machtfrage bestätigen, wenn Machtinhaber gegen ein BGE sind.
Götz Werner lehnt z.B. eine Einmischung in die Politik ab - dies bestätigt
(für mich) seine Abneigung Macht (und damit Verantwortung) zu übernehmen.
Was Götz Werner allerdings tut: er versucht den heutigen Machtinhabern einen
"Entwurf" in die Hand zu geben. Wenn die BGE-Idee wirklich seit dem 16. Jhd.
existiert und in den 60ern und 70ern des 20. Jhd. sogar Versuche unternommen
wurden, welche Auswirkungen ein BGE haben könnte, dann zweifle ich daran,
daß die heutigen Machtinhaber auf einen Götz Werner hören.

Was dieser karlsruher Professor allerdings erreicht (und damit übernimmt er
ein Stück Macht und Verantwortung): er entfachte mit seiner Kampagnie eine
breite, öffentliche Diskussion und versucht diese aufrecht zu halten.
Dadurch übt er (durch die Öffentlichkeit) Druck auf die Machthaber aus.
Trotzdem scheinen die Machthaber weiterhin an ihren bisherigen Konzepten
festzuhalten und diesen "Entwurf" nicht anzunehmen. Da wir in einer
Demokratie leben, die laut dt. Grundgesetz so definiert ist, daß die Macht
vom Volk ausgeht, kann ich auch fragen, ob nicht das Volk selbst (in der
Mehrheit) gegen ein BGE ist.

Vielleicht muß erst die kritische Masse erreicht werden, um ein BGE
umzusetzen - jede Veranstaltung, jedes Gespräch, jede Mail, jeder Beitrag,
jeder neue Blog oder Internetauftritt, die sich mit dem BGE auseinandersetzt
(egal ob positiv oder negativ) gibt dieser Idee Nahrung. Scheinbar gab es
enorme Widerstände gegen die BGE-Idee (und das seit dem 16. Jhd.), die in
den Köpfen stecken. Mit jedem neuen Arbeitslosen und Betroffenen wächst die
Bereitschaft, das BGE als Alternative anzunehmen.

Die Machtfrage bleibt dennoch ungeklärt: Wer wird letztlich ein BGE
umsetzen? Bisher zeigt sich für mich keine Lösung. Diejenigen, die einen
Entwurf haben, besitzen keine Macht - und jene, die Macht haben, versuchen
dringend eine eigene Lösung zu erarbeiten, um ihre Macht zu erhalten. Doch
dieser fieberhafte Versuch ist zum Scheitern verurteilt, weil das BGE den
Menschen ihre eigene Macht zurückgibt und Macht über andere auflöst.

Dabei wäre alles soooo einfach, wenn man es nicht soooo kompliziert machen
würde...

Jörg Drescher




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