[Debatte-Grundeinkommen] Funktioniert die DemokratieinDeutschland?

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Feb 17 20:52:23 CET 2007


Hallo Guido (und der Rest der Liste),

mir soll es recht sein, über die Demokratie als Solche zu sprechen. Die
Forderung, Demokratie weiterzuentwickeln, besteht nicht erst seit gestern.
Ich kam mit diesem Aufruf durch das Buch "Demokratie am Wendepunkt" von
Werner Weidenfeld in einem darin enthaltenen Referat von Prof. Dr. Yehezkel
Dror 1997 in Berührung, als ich in der forensischen Abteilung saß und viel
Zeit zum Nachdenken hatte. In diesem Aufsatz ging es darum, eine neue
politische Philosophie zu entwerfen, die sich vor allem mit der
Globalisierung beschäftigt. Schon viel früher (seit meiner Schulzeit in den
80ern) beschäftigte ich mich mit Fragen, die Staat und Gesellschaft
betreffen.

Demokratie wird heute meist als Verfahren verstanden, über Abstimmungen
Entscheidungen zu treffen. Mehrheitsbeschlüsse sollen dazu dienen,
Entscheidungen zu fällen. Dies geht sogar soweit, daß es Bewegungen gibt,
die Volksentscheide wünschen. Ich frage mich allerdings, was das denn werden
soll. Die Abstimmung ist ein Beschlußverfahren und kein Entscheidungsprozeß.
Für mich ist ein Mehrheitsbeschluß die Diktatur der Mehrheit und hat in
meinen Augen wenig mit der ursprünglichen Idee einer Demokratie zu tun.

Wenn ich mir ansehe, daß ich spätestens alle vier Jahre abstimmen kann,
welches Parteipaket ich als Ganzes wähle, bekomme ich eine Gänsehaut. Da
gefällt mir z.B. die Umweltpolitik der Grünen, dann die Sozialpolitik der
Linken (incl. SPD) und ums Rund zu machen: die Wirtschaftspolitik der
CDU/CSU. Aber ich muß mich für ein Gesamtpaket entscheiden - jeder muß das.
Was aber, wenn mir die Sozial- und Umweltpolitik der CDU/CSU nicht gefällt?
Dann kann ich nur hoffen, daß genügend andere mehr Wert auf die Politik der
Grünen setzen, damit mein gewolltes Umweltthema auch Einzug in den
Entscheidungsprozeß der Regierung bekommt. (Ich habe bei der letzten Wahl
nicht die CDU gewählt - das war ein Beispiel!).

Die Geschichte der Staatstheorien geht weit zurück und sollte als solche
auch Betrachtung finden. Die meisten Politiker studieren Jura, statt sich
mich den philosophischen Grundlagen auseinanderzusetzen (mit Jura kann ich
wenigstens Geld verdienen, wenn ich als Politiker nichts tauge - als
Philosoph wird das schon bedeutend schwieriger). Die Grundlage jeder
Staatstheorie ist dabei ein Menschenbild. Da gibt es welche, die den
Menschen von Natur aus "gut" finden und bauen ein idealistisches
Staatsmodell darauf auf. Dann gibt es welche, die den Menschen von Natur aus
"schlecht" finden und begründen ein strenges Staatsmodell damit. Mir ist
eigentlich kein Staatsmodell bekannt, das den Menschen so nimmt, wie er ist:
nämlich in der einen Situation "gut", in der anderen "schlecht" - wesentlich
dafür ist, daß der Mensch Eigenschaften und Fähigkeiten hat, die ihn "gut"
oder "schlecht" machen (ich bin auch nicht nur "gut"). Die Gleichheit (ich
wiederhole mich) beruht auf den biologischen Grundfunktionen, die Leben
überhaupt ermöglichen.

Demokratie war im alten Griechenland eine Methode (teilweise auch
umstritten), in relativ kleinen Gemeinschaften (den Stadtstaaten) zu
Entscheidungen zu gelangen und darüber abzustimmen. Die Entscheidungsfindung
war in jenen Stadtstaaten allerdings aufgrund der Größe unter Beteiligung
der Bürgerschaft möglich (nicht jeder war Bürger, vor allem Frauen nicht).
Die heutige Demokratie basiert auf der Idee, Repräsentanten auszuwählen, um
Entscheidungen zu finden und darüber abzustimmen (durchaus sinnvoll, wenn
man bedenkt, welcher Aufwand es wäre, alle Europäer zu jedem Thema zu
befragen).

Deine Forderung (im Beitrag an Manfred), daß der Staat sich nicht in Dein
Leben einmischt, ist ein liberalistischer Grundsatz. Im Zentrum des
Liberalismus steht das Individuum, dessen Freiheit zu sichern und
verteidigen die oberste Aufgabe des Staates sei. Die individuelle Freiheit
ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm und Basis einer menschlichen
Gesellschaft, auf die hin der Staat und seine politische wie wirtschaftliche
Ordnung auszurichten seien. Wo die Freiheit des Einzelnen berührt wird, habe
jede, auch die staatliche Gewalt zu enden - der Staat habe nur dann
einzugreifen, wenn die Freiheit der Individuen verletzt wird. Seine Rolle
habe sich vorrangig auf den Erhalt von Recht und Freiheit zu beschränken.
Dem Einzelnen solle durch sein Mehr an Freiheit auch mehr Verantwortung für
sich selbst übertragen werden. Des Weiteren steht eine liberale
Weltanschauung für den freien Wettbewerb in der Wirtschaft und richtet sich
somit gegen staatliche Regulationen. (aus WikiPedia, Stichwort
"Liberalismus")

Die Grundwerte der Liberalen sind beachtlich (bis auf's wirtschaftliche),
doch sagen sie nichts über die Entscheidungsfindung aus. Macht konzentriert
sich durch die repräsentative Demokratie und dessen Wahlverfahren, das nur
Schwarz/Weiß zuläßt, in die Hand von Wenigen. Diesen Nachteil versuchte man
durch Gewaltenteilung zu relativieren. Aber die Medienmacht (oft als 4.
Macht im Staat genannt) unterliegt keiner Kontrolle. Damit ist der Weg zur
Manipulation der Massen (den Repräsentantenwählern) offen.

Unsere Idee eines "staatlichen Vorschlagswesens" sollte es nun möglich
machen, sich direkt an Entscheidungen zu beteiligen (das war eigentlich der
Urspung unserer Diskussion). Selbst der kleinste Mann auf einem Bauernhof im
tiefsten Bayern sollte z.B. die Möglichkeit haben, einen Vorschlag an die EU
abzugeben, um z.B. statt eines giftigen Pflanzenschutzmittel eine
altbewährte, fast vergessene Methode anzuwenden (z.B. ein "Unkraut"
dazupflanzen, das dem Schädlich nicht "schmeckt").

Es zieht sich nun in die Länge und ich will zum Abschluß kommen. Wie Du
siehst, geht es nicht um die Forderung nach Demokratie (die haben wir),
sondern um das Verfahren, Demokratie umzusetzen. Ich möchte Dich (bei mehr
Interesse) auf zwei Referate hinweisen, die ich in diesem Zusammenhang schon
in den 90ern schrieb. Eins geht um die Frage, was Macht ist (die
verschiedenen Formen), das andere geht um Methoden im Management (für mich
sind Politiker "Sozialmanager", die ihren Plan verloren haben, wohin die
Reise gehen soll). Du findest die Aufsätze auf:
http://www.iovialis.org/download - dort gibt's noch mehr Ansätze, die zum
Thema gehören - unter anderem zum Grundeinkommen.

Genug geschrieben, sonst höre ich nicht mehr auf ;-)

Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)

----- Original Message ----- 
From: Guido Casper
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Sent: Saturday, February 17, 2007 1:08 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Funktioniert die
DemokratieinDeutschland?


Hallo Jörg,

Du hast Recht. Auch ich will nicht zu weit abschweifen. Aber ich hoffe, dass
hier nicht nur Beiträge erlaubt sind, die das Wort "Grundeinkommen" in der
Betreffzeile haben. Soviel ich weiß, ist dieses Forum moderiert und
irgendwer hat meine bisherigen Beiträge "durchrutschen" lassen. Ich bemühe
mich auch immer, meine Beiträge möglichst knapp zu halten, sodass niemand zu
sehr belästigt wird, sollte er sie für irrelevant oder unangebracht halten.
Auch eine möglichst spezifische Betreffzeile hilft übrigens anderen dabei,
für sie irrelevante Dinge zu ignorieren.

Was die Demokratie angeht, so will ich nochmal aus meiner ersten Email in
diesem Forum zitieren:
"Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Chance zur Wiederherstellung und
Weiterentwicklung der Demokratie in Deutschland (und anderswo)."

Ich hatte gehofft, dass auch in weiteren Beiträgen erläutern zu dürfen. Wenn
das nicht erlaubt ist, was bleibt dann von der Debatte übrig als
"Grundeinkommen, find ich gut - Grundeinkommen, find ich doof" ?

Auch gebe ich Dir recht, dass das Grundeinkommen kein Allheilmittel ist. Es
ist sinnlos nur über das Grundeinkommen zu sprechen. Was wir eigentlich im
Sinn haben, wenn wir über das Grundeinkommen sprechen, ist ein bestimmtes
Menschenbild und Gesellschaftsbild. Jeder Befürworter des Grundeinkommens
sieht es im Grunde als Werkzeug für ein bestimmtes Gesellschaftsmodell. Und
die Demokratie ist nunmal ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft.

Guido




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