[Debatte-Grundeinkommen] BGE und Arbeit

Robert Zion zion at robert-zion.de
Di Feb 13 09:56:29 CET 2007


Hallo Leute,
danke Rüdiger (Heescher) für Deine Anmerkungen und sinnvollen Hinweise. Was die ganze Frage der "Empire"-Diskussion angeht, so würde ich das BGE in den Transformationsprozess einordnen, den heute das Akkumulations-, Produktions- und Arbeitsregime durchläuft.
Ich versuche es kurz zusammenzufassen:

Der Transformationsprozess der Produktion: Das Ende des fordistisch-tayloristischen Produktionsregimes samt angeschlossenem keynesianisch-wohlfahrtsstaatlichen Steuerungsmodellen und des hegemonialen Charakters von Lohnarbeit (von der Subjektivität abgetrennte und handelbare Ware Arbeitskraft). Der Transformationsprozess hin zur Wissensgesellschaft generiert heute eine andere (hegemoniale) Form der Arbeit und Ausbeutung: Das Kapital setzt heute die gesamte Gesellschaft in Produktion und schöpft den Kommunikationsüberschuss als Mehrwert ab. Arbeit ist heute (bereits jetzt hegemonial, in Zukunft auch quantitativ normbildend) gesellschaftliche Arbeit, der Arbeiter gesellschaftlicher Arbeiter, der nicht nur mehr seine Arbeitskraft, vielmehr seine gesamte Subjektivität, Kommunikations- und Vernetzungsfähigkeit usw. einbringen muss. Das Kapital generiert hierbei einen gigantischen und völlig neuen Widerspruch: Die gesellschaftliche Arbeit verlangt freie Produzenten (gesellschaftliche Arbeiter, Arbeitskräfteunternehmer ihrer selbst), die mit ihrer Subjektivität, Wissen, Kommunikation, Vernetzung usw. den abschöpfbaren Mehrwert frei generieren. Das Kapital kann deshalb die herkömmlichen Kontrollregime nicht mehr aufrecht erhalten. So steht es vor dem Problem, neue Kontrollregime einführen zu müssen, ohne sich dabei selbst die Basis zu entziehen: Es muss die neuen gesellschaftlichen, immateriellen, kommunikativen und vernetzten Arbeitsformen organisieren (kontrollieren) und zugleich das Subjekt als freien Produzenten erzeugen. Der Neoliberalismus ist eine Antwort auf diese Problematik, seine Strategie besteht darin, die alten nun blockierenden Kontrollregime (Politik, Sozialstaat) schrittweise abzubauen und sich von normativ-emanzipatorischen Gesellschaftszielen zu verabschieden (Funktionalisierung, Legitimation durch Verfahren).  Die Politik bewegt sich größtenteils genau in den Bahnen des neoliberalen Projekts, stellt sich auf die Seite des Kapitals und übernimmt dessen Strategien.    
Mir scheint der Begriff der "Wirtschaftsdemokratie" ein guter (Kampf)Begriff zu sein, der, anders als der der Arbeiterklasse, nicht nur Utopien heraufbeschwört, sondern wieder einen konkreten emanzipatorischen Horizont, auch kurzfristig, eröffnet. Da die in ihrer Gesamtheit in Produktion gesetzte Gesellschaft mit der Wirtschaft tendenziell in eins fällt (Produktion von allem durch alle), kann Demokratie nur (neu) definiert werden als uneingeschränkte bzw. absolute Demokratie (Regierung aller durch alle).  Oberstes Emanzipationsziel der Wirtschaftsdemokratie kann dann nur (wieder) die Aneignung der Produktionsmittel (Marx) sein, verstanden als Wiederaneignung der eigenen Subjektivität des gesellschaftlichen Arbeiters. Damit wird dem Kapital seine eigene Reproduktionsfähigkeit in der Wissensgesellschaft entzogen und die gesellschaftliche Reproduktion wieder in die Sphäre der Produzenten verlegt.

Das eben Beschriebene ist die eigentliche Revolution, die gerade geschieht!  Das BGE wäre demgemäß das allererste Instrument, dass auf die Veränderung des Charakters der Arbeit eine emanzipatorische Antwort liefert. Da ich hier in Gelsenkirchen für die Grünen auch kommunalpolitisch aktiv bin, werde ich Euch eine Zahl nennen, was dieser Transformationsprozess der Arbeit ganz konkret bedeutet. Gelsenkirchen hat ca. 260.000 Einwohner. Was glaubt Ihr wieviel davon in der freien Wirtschaft in sozialversicherungspflichtigen Vollbeschäftigungsverhältnissen arbeiten? Ca. 6.500 Menschen! Der Rest der Beschäftigten (ca. 110.000) arbeitet prekär, in Leiharbeit, (schein)selbstständig, im öffentlichen Sektor, in Eigenarbeit, in Maßnahmen. Unser Sozialstaat ist aber nach wie vor noch am bismarckschen Industriearbeitersozialvesicherungsmodell ausgerichtet. Deshalb müssen wir tatsächlich zunächst den Arbeitsbegriff überdenken (siehe oben: Fett).

Noch eine Anmerkung zu den Grünen. Auf dem letzten Parteitag in Köln haben wir ja beschlossen, ein Jahr lang die Modelle armutsfeste Grundsicherung oder BGE innerparteilich zu diskutieren und auf dem nächsten Parteitag zur Abstimmung zu stellen. Das BGE wurde übrigens von der Grünen Basis wieder in die Partei eingebracht (wieder, weil das BGE ja die allererste sozialpolitische Forderung der Grünen überhaupt war) - so hat etwa mein Kreisverband Gelsenkirchen als erster Kreisverband in Deutschland das BGE als Zukunftsmodell beschlossen. So sind wir die einzige der etablierten Parteien, die sich als Gesamtpartei mit dem BGE auseinandersetzen (die von mir durchaus geschätzte Katja Kipping konnte sich ja leider nicht bei der Linkspartei.PDS durchsetzen). Nach meiner Wahrnehmung aber gestaltet sich der innerparteiliche Diskssionsprozess aber schwieriger als erwartet, da wir damit zugleich (personell und inhaltlich) noch die Vergangheit aufarbeiten müssen. Ich könnte Euch ja vorstellen, was: Die ganze Hartz-Schei... 
Später vielleicht noch mehr
Grüße
Robert Zion
B'90/Grüne, Geschäftsführender Vorstand und Bundesdeligierter, KV Gelsenkirchen
Umweltpolitischer Sprecher der Ratsfraktion B'90/Grüne, Gelsenkirchen
 


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