[Debatte-Grundeinkommen] Wie weiter mit den Grünen und dem Grundeinkommen? (1.Teil)

Robert Zion zion at robert-zion.de
Fr Dez 14 12:16:16 CET 2007


Robert Zion

 

Wie weiter mit den Grünen und dem Grundeinkommen? (1.Teil)

 

 

 

"Mit diesem Beschluss ist auch die Diskussion über das Grundeinkommen nicht beendet - zumal sie ja in der Gesellschaft weitergeht. Die Diskussion soll weitergehen."

 

Beschluss Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit! 27. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen am 23.-25. November 2007 in Nürnberg.


Nach Nürnberg in der Presse
 

2007 ist zweifellos ein ereignisreiches Jahr für die Partei gewesen, ein Jahr der Findung, der Aufarbeitung, der schwierigen Suche nach einem glaubwürdigen Weg zwischen Bruch und Kontinuität. Dass es auch und gerade um die Glaubwürdigkeit in dieser Findungsphase nach der Regierungsbeteiligung ging, hat Michael Jäger in einem Kommentar zum Parteitag in Nürnberg im Freitag treffend beschrieben: 

 

"Die Partei hat einen Weg gefunden, von Hartz IV abzurücken, ohne dass die Peinlichkeit überhand nahm. Der Weg bestand darin, dass sie nicht ,Hartz IV ja oder nein' diskutierte, sondern ,Grundsicherung oder Grundeinkommen'. Im Rahmen dieser Frage konnten beide Seiten ohne Selbstbeschuldigung Gerhard Schröders ,Agenda' anklagen."1 

 

Doch neben diesem inhaltlichen Spannungsfeld zwischen Bruch und Kontinuität gibt es ein zweites, eher tiefer gehendes, das mit der besonderen Rolle der Grünen im bundesdeutschen Parteienspektrum zu tun hat: das zwischen ihrer inzwischen angenommenen Rolle als "normalisierte" Partei und ihrer ureigensten politischen Funktion als Zukunftsprojekt. Keineswegs lässt sich dieses Spannungsfeld auf eine einfache Alternative zwischen "Regierungsfähigkeit" und "Identitätsfähigkeit" reduzieren, wie noch Dany Cohn-Bendit2 nach dem Sonderparteitag von Göttingen meinte. Denn tatsächlich hat sich mit der "Normalisierung" der Grünen zugleich eine politische Tendenz in der Republik verstärkt, die der Parteienforscher Franz Walter beschrieben hat:

 

 "Oppositionen sind nicht allein oder auch nur im Wesentlichen Regierungen im Wartestand bzw. auf Abruf. Denn der Ort der Opposition ist stets auch Terrain der Gegenmöglichkeit, durchaus Biotop für Ideen einer radikalen Abkehr von dem (Irr-)Weg der jeweils gegenwärtigen Regenten. Der Verlust an eigensinnigen, zuweilen auch unberechenbaren, sich quer-stellenden Oppositionsparteien hat rasch den Vitalitätsverlust des Parlamentarismus insgesamt zur Folge."3

 

Dieser "Vitalitätsverlust des Parlamentarismus" ist zu einem ernsten Problem der bundesdeutschen Parteiendemokratie geworden, die Abkehr von fundamentalen Irrwegen, die Formulierung grundsätzlicher Alternativen zu einer Seltenheit. Auf der anderen Seite und interessanter Weise aber sind es nach wie vor die Grünen, denen noch am ehesten eine Revitalisierung eines wirklichen politischen Willensbildungsprozesses in der Partei, Entwürfe gesellschaftlicher Gegenmöglichkeiten zugetraut werden, wie selbst die den Grünen nicht gerade nahestehende Westdeutsche Allgemeine Zeitung nach Nürnberg anmerkte:

 

 "Andererseits sind die Grünen nur überflüssig, wenn sie so sind wie all die anderen. Die Partei hat ja längst ihre Unschuld verloren; als sie in der Regierung Hartz IV zustimmte und Kampfeinsätzen der Bundeswehr; als das angeblich einzig Machbare zum alleinigen Maßstab wurde und Utopien über Bord mussten; als Posten wichtiger wurden als Ideale. Wo finden Menschen heute eine Heimat, die sich noch eine andere Welt vorstellen können als die der Bushs und Börsenkurse. Wo sind die Querdenker? Eine solche Partei fehlt wahrlich in Deutschland. Die Grünen könnten (wieder) so eine Partei werden."4 

 

Die berechtigten Fragen nach den neuen Querdenkern, nach Vorstellungen einer anderen Welt und nach einer politischen Heimat für Menschen, die sich Alternativen zum gegenwärtigen politischen Normalverzug vorstellen können, stehen sicherlich in engem Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und neuen politischen Projekten, die die Fehlentwicklungen und Sackgassen der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht leugnen oder beiseite schieben. Dabei sollte gerade für die Grünen nach wie vor gelten: think big, sowohl in der Selbstdefinition  der  eigenen  Rolle  im  Parteienspektrum  als  auch  in  den  gesellschaftlichen Veränderungsansprüchen. Doch hat sich gerade dies für die Partei zu einen Problem entwickelt, wie noch Monika Kappus vor kurzem in der Frankfurter Rundschau betonte:

 

 "Geht es doch darum, wie viel Utopie sich die Grünen leisten. Darum, ob sie sich, von der Macht verführt, auch in der Opposition bloß noch koalitionskonforme Aussagen erlauben. Wer, wie Tübingens OB Boris Palmer, nur ins Programm schreiben will, was sich zur Not in 30 Sekunden erklären lässt, gibt die Grünen auf. Sind sie doch groß geworden, indem sie den Grundgesetz-Auftrag, als Partei zur politischen Willensbildung beizutragen, fantastisch ausgefüllt haben. Wenn eine konservative Kanzlerin heute mit Klimaschutz-Parolen punkten und die SPD sich mit ihrem Nein zur Atomkraft profilieren kann, dann dürfen sie sich bei den Grünen bedanken. Die haben die Basis dafür gelegt, dass Außenseiter-Themen von einst heute mehrheitsfähig sind. Die Einsicht in utopische Notwendigkeiten macht grüne Identität aus. Eine Führung, die weit in die Zukunft gerichtete Diskurse systematisch kleinredet, schadet den Grünen. Grüne, die sich das gefallen lassen - auch weil sie keine Alternative zu dieser Führung sehen -, müssen sich dringend nach personellen Alternativen umsehen."5

 

Und was dann genau das gegenwärtige Problem im Kern ausmacht, hat niemand ehrlicher und präziser beschrieben als Antje Vollmer:

 

Für das Projekt unserer Real-Politisierung, für das Projekt unserer Normalisierung als Regierungspartei hatten wir Grünen zwar allgemeinen Applaus von außen, aber keine leidenschaftlichen Mitakteure in der Gesellschaft. Das hat man doch mit großem Abstand gesehen. Zur selben Zeit, in der man uns nachsagte, ,Ihr habt euch endlich, endlich normalisiert' sind wir eigentlich aus dem engeren Identifikationskreis, aus der Herzkammer der Republik weiter entfernt worden. Ich sage das nicht ohne Trauer."6

 

Können die Grünen in die Herzkammer der Republik zurückkehren? In Nürnberg jedenfalls hat sich die von Monika Kappus erwähnte "Führung" beinahe geschlossen gegen eine aus der Basis und der Herzkammer der Republik initiierte "utopische Notwendigkeit" gestellt. Doch offenbarte der Pyrrhussieg dieser "Führung" in Nürnberg eine gefährliche Unbeweglichkeit und eklatante Mängel in der strategischen Neuaufstellung und gesellschaftlichen Durchdringungstiefe in der Parteispitze. Denn, wohin führt uns der Beschluss zur Sozialpolitik von Nürnberg eigentlich? Zwar titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung danach "Das geenterte Schiff nimmt Kurs nach links"7, doch wurde damit nicht nur die entscheidende Auseinandersetzung mit den falschen Analysen und Lösungsansätzen des new labour-Kurses Schröders und Fischers umschifft und die programmatische Abhängigkeit von der Sozialdemokratie immer noch nicht überwunden, die Partei hat sich zudem in eine gefährliche inhaltliche Nähe zur Linkspartei begeben. Denn es ist DIE LINKE, deren Vertreter zur Zeit in den Talkrunden die Opposition mit einfachen, weil bekannten Antworten geben. So hat sich die grüne Parteiführung in Nürnberg von einer allgemeinen Welle in der Republik8 zum Nahe-liegenden treibend lassen, anstatt selbst zur treibenden Kraft eines in der Partei entstandenen neuen und in die Zukunft gerichteten Diskurses zu werden. Wenn die Sachfrage zur Machtfrage umgebogen und die strategische Neuaufstellung der Partei auf Parteitagsstrategie reduziert wird, bekommt eine Zukunftspartei zweifellos ein ernsthaftes Problem mit ihrer Zukunft. Probleme über Probleme? Doch sollten hierbei nach wie vor die Worte eines anderen, früheren Vorsitzenden gelten, der die Partei erfolgreich durch eine schwere Krise geführt hat: "Eine Partei", so Ludger Volmer, hiermit die originäre politische Rolle der Grünen zusammenfassend, "die nicht bereit ist, sich Krisen auszusetzen, kann die Krisen der Gesellschaft nicht lösen."9 Aber das Jahr 2007 hat für die Grünen auch überraschende Erkenntnisse und wirklichen Fortschritt gebracht: bei den Grünen ist Vorne nicht unbedingt mehr mit Oben gleichzusetzen, ein Wechsel vom Ein- zum Mehr-Generationen-Projekt zeichnet sich ab und die Partei ist weit mehr als nur die in der Mediendemokratie fokussierte "Führung". Das Pressejahr 2007 endet für die Grünen schließlich mit einem Kommentar Franz Walters in der Jahreschronik des Spiegel, den sich die Partei durchaus zu Herzen nehmen sollte, um ihren Weg in die "Herzkammer der Republik" zurückzufinden:

 

"Die Grünen standen und stehen tatsächlich in der Opposition, im Bund und in weiteren 15 Bundesländern. Das Ausmaß an Opposition ist kaum zu übertreffen. Doch hat nicht der frisch entdeckte Parteitagsagitator aus dem Ruhrgebiet die Grünen in diese Rolle gedrängt, sondern - formulieren wir es pathetisch - der Souverän, der Bürger, die Wähler. Zion erinnert die Grünen im Grunde nur daran, dass ihnen die Funktion zugefallen ist, die in parlamentarischen Demokratien denjenigen Parteien obliegt, welche im Parteienwettbewerb unterliegen und deshalb an der Regierungsmacht nicht beteiligt sind: eben denen der Opposition. Insofern steht das Göttinger Spektakel auch gar nicht für einen neuerlichen Illusionismus der Grünen. Die Interpretation von Göttingen spiegelt vielmehr eine bislang wenig bemerkte Veränderung in der politischen Kultur hierzulande. Opposition gilt kaum mehr als ehrenhaft, gilt nicht als wichtig für die Demokratie, als konstitutives Korrektiv, als freiheitswahrende Kontrolle, als Ort alternativer Überlegungen und Entwürfe. (...)  Und es muss den Grünen nicht zwangsläufig schaden. Denn die schwierige Melange von Heterogenitäten gehörte zum historischen Wesen der Partei und ihrer Anhänger. Unbedingte Friedfertigkeit und entschlossener Menschenrechtsschutz, Antimilitarismus und die Sicherheit von Minderheiten, Professionalismus oben und Basisdemokratie unten, kollektive Verantwortung und individuelle Freiheit, Askese und Lebensfreude - nie ging das alles durch eine klärende Formel oder die Autorität eines Übervaters symbiotisch glücklich zusammen. Immer blieben Inkompatibilitäten und Ungleichzeitigkeiten. Doch entsprach es eben der gesellschaftlichen und politischen Komplexität. Und angesichts einer durchaus intelligenten Anhängerschaft hat in der offenen Diskussion dieser Komplexität stets auch eine beachtliche Chance für die Grünen gelegen."10     

 

Die Chance für die Grünen heute liegt in der Krise des Systems, in einer ziellosen Republik:

 

"Die Heilsbegriffe der Eliten sind hundertmal skandiert worden: weniger Staat, mehr private Vorsorge des Einzelnen für Gesundheit, Alterssicherung sozialen Schutz, für die Bildung und die eigene berufliche Biographie. Es ist bemerkenswert, wie zäh eine Majorität der Bundesbürger sich indes weigert, ihren sozialen Avantgardisten auf diesem Weg in das Markt- und Individualitätsnirwana zu folgen. Doch weiß die gleiche gesellschaftliche Mehrheit auch nicht so recht, wohin es stattdessen gehen sollte. In die angelsächsische Richtung will man partout nicht; doch zu skandinavischen Ufern bricht auch niemand ernsthaft auf, da die steuerliche Abgabenlast und der öffentliche Regelungsanspruch dort zu sehr erschrecken. (...) Zum Ende des Jahrzehnts jedenfalls wird die Partei, werden diejenigen politischen Begabungen die Nase vorn haben, die zu Zielen, Normen, Begründungen, Werten einige neue Begriffe und diskurs-prägende Reflexionen beizusteuern haben."11

 

So gesehen ist der Beschluss von Nürnberg nicht wirklich eine verpasste, sondern nur eine aufgeschobene Chance, eher der Beginn eines neuen Weges und das Auftauchen eines politischen Ziels am Horizont für die ziellose Republik, denn 

 

"die Partei hat das Thema Grundeinkommen nun besetzt. Jetzt liegt es an ihr, nicht nur die sozialen, sondern auch die ökologischen und ökonomischen Aspekte dieses zentralen Zukunftsthemas zu durchleuchten und zu vermitteln, eine neue gesellschaftspolitische Zielvorstellung zu formulieren, die mit dieser Partei originär in Verbindung gebracht wird: der emanzipatorische Sozialstaat in einer wissensbasierten Ökonomie samt eines neuen Arbeitsbegriffs und damit auch die Abkehr vom industriegesellschaftlichen Wachstumsdogma. Der Weg dorthin kann über die in dieser Form beschlossene Grundsicherung führen."12 

 

 

 

 

1 Michael Jäger: Bloß nicht die Geister rufen, die schon Hartz IV brachten, in: Freitag 48, 30.11.2007, http://www.robert-zion.de/downloads/freitag_30_11-2.pdf.

2 Dany Cohn-Bendit: Fataler symbolischer Beschluss des Grünen Parteitages, Blog aus dem Europäischen Parlament in Brüssel, 24. September 2007, http://www.cohn-bendit.de/dcb2006/fe/pub/de/me-ditahek/podcast.

3 Franz Walter: Warum Politiker so gern von der "Baustelle Deutschland" sprechen, in: SPIEGEL-online, 09. 12. 2007, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,522214,00.html.

4 Thomas Wels, Lutz Heuken: Nicht mehr ganz grün, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 27.11.2007, http://www.derwesten.de/nachrichten/nachrichten/politik/2007/11/27/news-7313894/detail.html.

5 Monika Kappus: Ohne Eklat, ohne Esprit, in: Frankfurter Rundschau, 26.11.2007, http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/kommentare/?em_cnt=1248389.

6 Antje Vollmer: Eingewandert ins eigene Land. Was von Rot-Grün bleibt, München (Pantheon-Verlag) 2006, S. 132. 

7 Stephan Löwenstein: Das geenterte Schiff nimmt Kurs nach links, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2007, http://www.robert-zion.de/downloads/FAZ_26_11.pdf.

8 Vgl.: Die Republik rückt nach links, in: Spiegel-online, 20. 05. 2007, http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/0,1518,483739,00.html.

9 Ludger Volmer: Die Grünen und die Außenpolitik - ein schwieriges Verhältnis, Münster (Westfälisches Dampfboot) 1998, S. 578.

10 Franz Walter: Donquichotterie in Göttingen, in: Der Spiegel, Jahreschronik 07, Dezember 2007.

11 Franz Walter: Die ziellose Republik. Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2006, S. 10ff.

12 Robert Zion: Nur Mut zur Zukunft, in: DIE ZEIT, 48/2007, http://images.zeit.de/text/online/2007/48 /gruene-zion.
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