[Debatte-Grundeinkommen] Kapitalismusdebatte

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mi Aug 15 22:18:13 CEST 2007


Hallo Robert, hallo Listenteilnehmer,

wenn's um's Legitimieren geht, möchte ich doch auch etwas dazu sagen. Daß
Deine Interpretation etwas daneben liegt, kannst Du Dir, Robert, wohl selbst
denken, obwohl Du mit Deinem "Galgenhumor" eine gute Frage stellst: was
legitimiert denn eigentlich den Kapitalismus? Was sind dessen Ursachen? Kann
man "Kapitalismus" überhaupt abschaffen? Oder muß man versuchen, einen
gangbaren Weg zu finden, mit dem Phänomen umzugehen? Arbeitslosigkeit
(besser Erwerbslosigkeit) wird oft als Krankheit verstanden, die man
fieberhaft zu heilen versucht - dabei wäre es besser, "die krankhafte Suche
nach Lösungen" zu heilen. Allein aus dem Standpunktwechsel ergibt sich ein
ganz anderer Ansatz. Also kommen wir nochmals auf den Kapitalismus zu
sprechen.

Was wird damit eigentlich genau gemeint? Lateinisch "capitalis" bedeutet
"Haupt-" und kommt von "caput", was "der Kopf" bedeutet; ursprünglich
bewertete man die Köpfe einer Viehherde (im römischen Reich war "Summa
capitalis" die Hauptsumme in Wirtschaftsrechnungen); im 18. Jahrhundert
verwendete Karl Marx das Wort "Kapital" für seine Mehrwerttheorie - davor
gab's das Wort im Deutschen eigentlich nicht so richtig. Damit hat
"Kapitalismus" etwas mit Geld zu tun, bzw. der Bewertung von etwas (dank
Marx). Geld wiederum haben wir (Matthias und ich) hier sehr häufig als
Maßeinheit für Wert definiert. Und im realen "Kapitalismus" geht's
eigentlich dauernd um Geld.

Schauen wir uns nun mal an, was "Bewerten" bedeutet, so kommen wir darauf,
daß es eine "Wertung" von mindestens zwei Dingen ist, von denen eine Sache
bevorzugt wird. "Bewertung" ist dann nötig, um gewisse Dinge in eine
bestimmte (subjektive) Reihenfolge zu bringen, für die man sich
entscheidet - und Entscheidungen hängen mit "Wollen" zusammen.

Nun hat der Mensch als einziges Lebewesen einen freien Willen (Stichwort:
"Die Freiheit 'nein' zu sagen"). Vor kurzem hatte ich mal (eher aus Spaß)
gemeint, daß "ich will" eigentlich "ich bin es mir wert" bedeutet.
Inzwischen bin ich so weit, daß ich die These in den Raum stelle, ob nicht
dieser "freie Wille" des Menschen eigentlich eine "subjektive Bewertung"
darstellt. Ob das sich nun auf das Individuum bezieht ("Ich will essen" ->
"Ich bin mir es wert zu essen"; das "es" kann z.B. das "zu Essende" sein,
aber auch "nichts") oder auf andere ("Ich will, daß Du arbeitest" -> "Du
bist mir es wert zu arbeiten"; dieses "es" kann positiv [z.B. 100Euro/h],
aber auch negativ sein [nichts]), ist erstmal egal. Wer Lust hat, kann noch
weitere Satzkonstruktionen mit dem Verb "wollen" bilden und diese in Bezug
auf die "subjektive Wertschätzung" überprüfen. Derjenige, der mir eine
Konstruktion bringt, die nicht in Bezug zu einer Bewertung gesetzt werden
kann, bekommt eine kleine Anerkennung meinerseits dafür (was sage ich noch
nicht) - aber ich erlaube mir, diese Konstruktion zu prüfen...

Wenn meine These "richtig" ist (vorsicht, das "richtig" ist von jedem eine
"subjektive Bewertung"), kann man den "Kapitalismus" weder legitimieren,
noch bekämpfen oder gar abschaffen. Somit hätten wir mit dem "Kapitalismus"
einen natürlichen Sachverhalt, wie das Leben selbst - und vielleicht erklärt
sich daraus, weshalb er so erfolgreich ist. (Für die Kommunisten in der
Liste sei angemerkt, daß der Kommunismus als "Kollektiv-Kapitalismus"
betrachtet werden kann, wobei ich hier nicht darauf eingehen möchte, wie ich
das verstehe).

Nietzsche sagte dazu:
"Wenn wir von Werthen reden, reden wir unter der Inspiration, unter der
Optik des Lebens: das Leben selbst zwingt uns Werthe anzusetzen, das Leben
selbst werthet durch uns, wenn wir Werthe ansetzen" (Friedrich Nietzsche,
G.D, S. 86 "Die Werte entspringen nicht aus dem an sich bestehenden
Übersinnlichen, sondern Werte sind Bedingung des Lebens, d.h. der
Lebenssteigerung, und entspringen nur aus diesem Leben und gelten nur für
dieses." Martin Heidegger, Gesamtausgabe Bd. 48, S. 17)

Tja... wie immer ist die Sache nicht ganz ausgereift, aber ich zähle diesen
Gedankengang zum Jovialismus (der einer Bewertung das "wohlwollend"
beizumessen versucht). Wer es schafft, die Sache "wertfrei" zu überlegen,
kommt mMn der wirklichen "freien Willensentscheidung" etwas näher ;-)

Über Meinungen freue ich mich natürlich, wie immer

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
- http://www.iovialis.org -


----- Original Message ----- 
From: "Robert Zion" <zion at robert-zion.de>
To: "j.behncke" <j.behncke at bln.de>; "Kai.Ruesen" <Kai.Ruesen at t-online.de>;
<ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de>
Cc: <gruenes_netzwerk_grundeinkommen at gruene-berlin.de>
Sent: Wednesday, August 15, 2007 4:44 PM
Subject: Re: [Gr.NetzGE] Grundeinkommen statt Rentenkapitalismus


> Hi,
> jetzt legitimieren wir den Kapitalismus schon mit dem Saufen der alten
> Germanen. Na, denn:
>  Prost!
> Grüße
> Robert




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen