[Debatte-Grundeinkommen] Arfst Wagner-Beitrag

Ingo Groepler-Roeser ingo.groepler.roeser at googlemail.com
Fr Aug 10 19:28:15 CEST 2007


Lieber Arfst Wagner, liebe Listenteilnehmer

Sie haben vollumfänglich Recht und ich stimme Ihnen, bar jeder politischen
Differenz zu.
Hier geht es tatsächlich um mehr aber es ist schwer zu bewerkstelligen, auch
innerhalb der Linken eine kulturelle Öffnung (die Debatte darum unbenommen)
zu erreichen. Ein wenig schönes Beispiel ist der anhaltend destruktive
Streit dazu innerhalb der Linken bspw..

Geht es vielleicht inzwischen für uns alle nicht auch um den 2. Marsch durch
die Institutionen? Es ist gesellschaftlich zwar erfreulicherweise ein Trend
dahin zu verzeichnen, daß immer mehr Menschen sich auch ganz bewußt dem
alltäglichen Lohnkampf entziehen (http://wirnennenesarbeit.de/); doch
gebricht es mir an der entscheidenden Erkenntnis, ob diese Art der
Entpolitisierung (laß die doch machen...) die entscheidende
Veränderungsfähigkeit einer sozialen und ökologischen, eben kulturell sich
verändernden Gesellschaft (vornehmlich jüngerer Menschen) damit gegeben
ist?!

D.h. - wird ohne die in einer mit machtorientierten Rahmenbedingungen
ausgestatteten gesellschaftlichen Realität benötigte (politische)
Entscheidungs'gewalt' nicht jede noch so schöne Vision zur unerreichbaren ,
und damit m.E. gefährlicherweise frustrierenden Ideologie? Und wann erst
wird diese Macht erreichbar sein? Doch erst dann, wenn neben dem
'politischen Willen' der phasenweise fluktuierenden Mandatsträger (die wir
wohl beeinflussen sollten/müssten) auch deren politische Einflußfähigkeit
gegeben wäre. Darüber hinaus wird die Erklärung der Idee von einer
Teilöffentlichkeit, etwa der politisch interessierten, gefordert. Die Idee
selbst wird kaum reichen (reicht nicht).

Wie lange 'kämpft' Götz Werner denn schon und andere mit ihm, die schon eine
verhältnismäßig gewaltige ökonomische Macht auf sich konzentrieren können?
Und dann werden sie öffentlich von wirklich blöden Journalisten und
Talk-Show-Promis verlacht. Im Netzwerk ist das alles einfach, akademisch
'abgeklärt' und philosophisch offen. Außerhalb dessen sieht es ganz anders
aus. Wenn wir glauben, daß wir den Menschen erklären könnten, was sie noch
gar nicht wissen, obwohl sie - unserer Auffassung nach - sich genau dies
vorgeblich wünschen, dann irren wir am meisten. Und untereinander haben wir
in der Mehrzahl, würde ich meinen, destruktive Auseinandersetzung und
erhebliche Toleranzdefizite.

Wir setzen uns wenig mit der Kritik am GE von außen auseinander und das
inhomogene Netzwerk wird 'draußen' auf ein homogenes Anliegen reduziert, das
in diesen Rahmenbedingungen noch gar nicht ankommen kann, bzw.als parasitär
wahrgenommen wird und partiellen politischen Interessen zweifelsohne zu
widersprechen scheint (Arbeitsmarkt), weil wir die grundlegenden
Definitionen (obwohl verzweifelt versucht) nicht zu ändern schaffen. Während
dessen die Menschen regelrecht zur mechanischen Reaktion auf populistische
Umtriebe erzogen werden, üben wir uns in der dezidierten Darstellung
komplexer Projekte.

Das GE ist erst einmal nichts weiter, als ein Wunsch. Doch seine
VertreterInnen lassen tlw. gar keine Wünsche innerhalb dieser
wünschenswerten Idee zu. Nein, im Gegenteil, *jede/r* hat *das *tragende
Modell, *die* beste Lösung, *den* originären oder* den* modernsten Ansatz.
Meistens leider nicht kombinierbar.

Und dann sprechen sie (wir) über Marketing, über Namensanpassung und nennen
uns gegenseitig Begriffe, die wir kennen und untereinander tagelang eloquent
disputieren können - unter denen jedoch sich am anderen Ende keiner eine
Vorstellung machen kann. Als hätten wir hier unsere kleine politische Welt.
Haben wir nicht!
Wenn wir keinen breiten Anschluß finden, dann wird die Idee
aufgegriffen/kanalisiert und verändert, reduziert und gar zum Schaden für
recht viele Menschen eingesetzt. Inzwischen schlagen die Medien Brücken,
Hartz IV-Empfänger seien per se auch GE-Befürworter. Und das GE steht noch
immer als die 'verbriefte Faulheit' auf dem Markt.

Das kulturell, also aufklärerisch instrumentell zu korrigieren, weil eben
bspw. Th. Brunners "Friedrich Schiller - Die Kunst als Weg zur
menschenwürdigen Gesellschaft" oder das Denken an sich oder noch mehr als
'nur' Kunst (Digitale Bohème etwa: Lebenskunst), also etc. nur der Anfang
ist, scheint mir angesichts einer noch immer und leider zunehmend weit
verbreiteten Geldlaune fast unmöglich.

In diesem Sinne widerspricht sich die Gemeinde: Einerseits präferieren wir
den Wandel der Gesellschaft (recht tiefgründig), um andererseits nur das
wieder zu fordern, was unter dem Siegel "Gerechtigkeit" in erneut barer
Münze versinkt. Dabei kann das Kapital nicht an einer Inflation von
finanzieller Gerechtigkeit interessiert sein, weil das
Alleinstellungsmerkmal Nr.1 verschwände. Vielmehr ergeben sich daraus
zahlreiche Fragen, wie sie wohl Sennett, Rifkin, Brunner u.a. bereits
gestellt haben, die sich fortwährend - nur immer alternativ formuliert -
wiederholen, weniger an Sie, Arfst Wagner allein gerichtet, mehr an alle
....

Wie gelangt die Idee an die Menschen, außer über einseitig artikulierte
politische Mandatsträger (aller Coleur). Die Sorge, die Sie also ansprechen
im Beispiel mit dem Werftarbeiter ist evident, weil sie der Motor eines
Interesses ist, sich prinzipiell mit der Idee auseinanderzusetzen und
überhaupt erst einmal daran zu glauben, daß es eine solche Gesellschaft
geben könnte, hier, in Europa - weltumspannend. Das setzt Solidiarisierung
größten Ausmasses voraus, an der es mangelt - nach wie vor!

Interessante Ansätze sind die Bemühungen von Initiativkontogemeinschaften,
Regiogeldvereinen, Projektbanken, wie man sie immer wieder häppchenweise in
der Presse oder im Netz zu lesen bekommt. Doch fördert eine
Initiativkontogemeinschaft z.B. einen Bauunternehmer mit 40 Angestellten,
der ins Schlittern geraten ist und für den das exakt die selben Konsequenzen
hat, wie für einen arbeitslosen Maler, Schriftsteller, Musiker. Hätten
Soldaten und Rüstungsbetriebsangestellte (ich rechtfertige hier nicht diese
Berufsstände!) genau den Aspruch auch, wie ihn Ärzte und Pfarrer hätten,
weil wir aus unserer Idee von der intelligenten Gesellschaft (die ein GE ja
wohl benötigen müßte) diese (Militär) streichen?

Sie sehen also, Arfst Wagner, so sehr wir uns anstrengen, so ideal ist es
nicht. Das Bildungssystem weist - trotz der jetzt schon hoch differenzierten
freien Trägerschaften - ähnliche Defizite aus, die sich am Ein/Auskommen
fixieren ließen. Noch gibt es Schulpflicht. Doch wohin können meine Kinder
nach den durch mich zu bestimmenden Kriterien zur Schule gehen, was kann ich
mir da leisten bzw. welche Hürden stellen diese Träger auf
(finanziell/intellektuell/infrastrukturell usw.)? Selbst also wenn das
'System', der Staat, die Finanzbehörde sich jetzt für ein GE entscheiden
würde, bedeutet dies dann gleichzeitig, daß freie Träger des
Bildungssystems, Gewerbetreibende aller Art auch so rhythmisch handeln
würden und die Preise nicht 'erneuern' bzw. das Verhältnis dieser
gesellschaftlichen Leistungsinanspruchnahme sich auch ändern würde? Oder
klettern diese dann auf das neue Niveau, wie etwa nach jedem
gewerkschaftlichen Tarifsieg die Preise (früher unmerklich/ heute deutlich
spürbar, früher recht vorsichtig in einzelenen Branchen/ heute vermessen
flächendeckend) auch geklettert sind?
Weil wir gerade bei ‚Klettern' sind: Ebenfalls zunehmend beobachte ich, dass
sich GE-Befürworter mit entsprechender Prominenz aus den Gegenpolen der
Gesellschaft nach oben katapultieren lassen (regelrecht auf der Grundlage
einer ‚revolutionären/spektakulären' Idee und ab einer gewissen ‚Höhe'
verschwindet die Idee als Pausenclown im Machtbetrieb. Auch das schmerzt,
selbst wenn ich hier recht selten auftrete.

(...)

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-- 
Herzliche Grüße
Ingo Groepler-Roeser
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"You must have a system. If you don't have a system, you are a part of
someone else's system." Terence McKenna
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