[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Emanzipatorisches BGE und Identität

"lächelnjetzt" axel.tigges at gmx.de
Fr Apr 27 11:56:17 CEST 2007



Hallo Jörg!

Das ist eine klare deutliche Aussage von Manfred Bartl, und hier wird deutlich, das Du immer noch nicht Deinen  Elitegedanken fallen gelassen hast, denn jeder gehört so abgesichert wie ein Rentner, Pensionenbezieher, Abgeordneter, Wissenschaftler durch ihren Beamtenstatus, Rechtsanwalte durch die Gebührenordnungen Arzte durch die Krankenkassen. Wer für Menschen denkt, der denkt für Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit, die Elitemodelle haben ausgedient, sie passen nicht mehr in das elektronische Zeitalter, wo auf Augenhöhe und nicht durch professoralem "Überbau" informiert wird. 

axel tigges

> Hallo, Jörg!
> 
> Ich mache mir das gerne so deutlich: Reiche sehen überhaupt kein
> Problem darin, ihre Risiken rundum abzusichern - wer seine Beine,
> Brüste, sein Gesicht versichern lässt, bekommt man ja immer wieder in
> der Regenbogenpresse mit und zu ihrer "Grundsicherung" ein Zitat von
> Oskar Lafontaine:
> 
> "Diejenigen, die hier gegen den Mindestlohn kämpfen, sorgen dafür,
> dass bestimmte Berufsstände einen Mindestlohn bekommen: Rechtsanwälte,
> Steuerberater, Architekten und andere selbständige Berufsgruppen haben
> eine gesetzliche Gebührenordnung, die ihnen ein Mindesthonorar
> sichert. So gesehen sind wir für ein Mindesthonorar." Mit diesen
> Worten eröffnete am 8. Mai Fraktionschef Oskar Lafontaine die
> öffentlichen Anhörung der Fraktion DIE LINKE. zum Mindestlohn.
> 
> Bei Armen hingegen wird eine VOLLKASKOMENTALITÄT beklagt - dabei steht
> sie im Zentrum der Sozialstaatsidee: Keiner soll sich über die
> gesellschaftssystembedingten Lebenskrisen Sorgen machen müssen!
> 
> Darum bin ich für das Grundeinkommn und für umfassende
> Vollkaskomentalität!
> 
> Mit solidarischen Grüßen
> Manfred
> 
> On 4/25/07, Joerg Drescher <iovialis at gmx.de> wrote:
> >
> > Seit Wochen beobachte ich ein größer werdendes Interesse an der FDÄ
> (Front
> > Deutscher Äpfel) und die Gründungen weiterer "Gaus" in ganz
> Deutschland. In
> > einem Forumsbeitrag wurde dazu geschrieben, daß die Mitglieder aus
> allen
> > möglichen Parteien seien - angefangen von den Grünen, der SPD, der
> CDU, den
> > Linken bis hin zu AntiFa-Aktivisten. Was die Leute überparteilich
> vereint:
> > sie sind gegen Rechts.
> >
> >
> >
> > Die FDÄ hat in meinen Augen ein "Feindbild" geschaffen, womit sich
> Massen
> > mobilisieren lassen, um ein gemeinsames Ziel (gegen die "rechte
> Ideologie")
> > zu verfolgen. Dabei basiert dieses "Feindbild" (Rechts) auf Symptomen
> und
> > Auswirkungen der heutigen Politik. Die Ursachen sind meines Erachtens
> anders
> > gelagert, worauf ich im folgenden eingehe.
> >
> >
> >
> > Mit Robert (Ulmer) hatte ich außerhalb der Listen eine angenehme
> Diskussion
> > über die philosophischen Grundlagen des Existenzialismus. Es ging dabei
> um
> > Identität und Verantwortung. Unsere Diskussion wurde dadurch
> ausgelöst, weil
> > ich den Existenzialismus (als letzte große Philosophie aus den 60ern)
> für
> > den übertriebenen Individualismus verantwortlich gemacht hatte.
> >
> >
> >
> > In dieser Diskussion führte Robert an, daß Satre den Menschen als für
> sich
> > und die Welt verantwortliches Individuum auffaßte - sowohl im kleinen
> Kreis
> > (Familie, Geliebte, Freunde, Bekannte), als auch gesellschaftlich.
> Sartres
> > Philosophie bestreitet auch keineswegs, daß es so etwas wie sinnvolle
> > gesellschaftliche Normen gibt, oder vorgegebene Sinn-Inhalte, auch
> > Religionen. Er weist nur mit großem Nachdruck darauf hin, dass diese
> Normen
> > nicht von alleine gelten, sondern dass jeder Mensch, jedes Individuum
> dafür
> > verantwortlich ist, ob es diese Normen anerkennt oder nicht.
> >
> >
> >
> > Meine Argumentation demgegenüber war, daß ich eben diese
> Eigenverantwortung
> > als Ursache sehe, jedwede Sinnvorgabe und Norm zu sprengen. Jeder muß
> sich
> > seinen eigenen Sinn suchen und soll keine Vorgaben unreflektiert
> > übernehmen - diese Forderung besteht schon in der Aufklärung. Dabei
> setze
> > ich "Sinn" und Identität gleich, für die man Verantwortung übernehmen
> muß.
> >
> >
> >
> > Nun bietet der "Weltanschauungsmarkt" tausende Möglichkeiten, sich
> seinen
> > Sinn (und seine Identität) zusammenzubasteln - angefangen von
> Religionen,
> > Parteien und sonstigen Vereinigungen. Diese Identifizierung mit einer
> Gruppe
> > ist durchaus gut, solange sie Andersdenkende nicht ausschließt und dem
> > Humanismus folgt. Andernfalls führten solche "kollektiven Identitäten"
> > (Gruppenidentität) immer wieder zu Kriegen und gewalttätigen
> > Auseinandersetzungen. Es ist einfach schwer, sich mit der größten
> > Gemeinsamkeit abzufinden, daß alles einfach nur Menschen sind.
> >
> >
> >
> > Die heutige Zeit hat ein Problem, eine solche "kollektive Identität"
> > vorzugeben. Vor allem scheinen die Deutschen in einer Art "Neurose" zu
> > leben, weil die nationale Identität durch die Zeit des
> Nationalsozialismus
> > in Ungnade gefallen ist. Die "psychotische" Suche (ein anderer Begriff
> aus
> > der Psychologie: Kompensation) nach einer neuen Identität brachte
> meiner
> > Meinung nach die Europäische Union hervor und förderte die
> Globalisierung.
> > Diese Sinnkompensation will ich nicht negativ bewerten, denn es
> entspricht
> > eigentlich den Gedanken der Aufklärung und der Idee Satres.
> >
> >
> >
> > Allerdings führte die "Neuropsychose", wie ich es nenne, zur
> Identifizierung
> > mit neuen Werten - allem voran: Arbeit. Der Kapitalismus, der alles
> > irgendwie in Geld verwertbar zu machen versucht, zerstörte anderweitige
> > Identifikationsvorgaben, wie Religionen und damit verbundene Moral- und
> > Ethikvorgaben. Schon Hegel warnte davor und später kann man bei
> Nietzsche
> > lesen: "Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!".
> Karl
> > Marx verstärkte diesen "Tod", indem er "Religion als Opium für's Volk"
> > deklarierte. Doch die neuen Identifikationswerte (Kommunismus,
> > (National-)Sozialismus, Solidarität ua.) wurden von ihren Führern
> nicht in
> > der Art vorgelebt, wie sie ihn "predigten". Somit wurden auch jene
> Vorgaben
> > fahl und leer.
> >
> >
> >
> > Im Abschiedsbrief des Amokläufers von Emsdetten, Sebastian B., kommt
> diese
> > Sinnsuche auch zum Ausdruck, weil er nicht mit der Vorgabe "S.A.A.R.T."
> > (Schule, Ausbildung, Arbeit, Rente, Tod) einverstanden war. Mir scheint,
> daß
> > solche Identitätskrisen massenhaft in unserer Gesellschaft vorhanden
> sind.
> > Vor allem bei jenen, die ihre Arbeit verlieren und sich nicht
> anderweitig
> > identifizieren können. Sinn und Identität sind deshalb sehr eng
> miteinander
> > verbunden. Man sucht sich Gruppen, wenn man keinen anderen Halt hat (der
> > Mensch ist ein Gemeinschaftswesen).
> >
> >
> >
> > Um nun auf das BGE zu sprechen zu kommen, wird klar, daß vielen ihre
> > Identifikation durch ihre Arbeit genommen wird. Vor allem dann, wenn sie
> das
> > BGE als "Arbeitsersatz" verstehen. Nicht umsonst versuchen einige
> > BGE-Modelle diese Identifikationsmöglichkeit über Arbeit aufrecht zu
> halten
> > (z.B. die TG-M-Derivate).
> >
> >
> >
> > Dabei basiert das BGE auf der existenziellphilosophischen Tatsache, zur
> > Freiheit verdammt zu sein. Wie Robert es ausdrückte: Das Grundeinkommen
> > bewirkt mehr an individueller Freiheit (die eigene Freiheit ebenso wie
> die
> > Freiheit der anderen), was den Leuten mehr oder weniger Angst macht -
> warum?
> > Weil dann die "Freiheit zu der wir verurteilt sind" (Sartre) immer
> weniger
> > gut verdrängt werden kann. Die Grundeinkommensgesellschaft als
> "Gesellschaft
> > ohne Ausrede"; Ausreden vom Typus: "eigentlich würde ich in meinem
> Leben ja
> > gern ..., aber mein Beruf, meine finanziellen Verpflichtungen hindern
> mich
> > daran" solche Ausreden würden in einer Gesellschaft mit BGE nicht mehr
> so
> > ziehen.
> >
> >
> >
> > Ein emanzipatorisches BGE meint das "Erwachsenwerden der Menschheit",
> mit
> > dem Ziel, mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung zu
> > erlangen. Sieht man die Kritiken (wie jüngst von Carsten Schneider oder
> > Norbert Blüm), wird deutlich, daß die BGE-Idee nicht richtig
> verstanden
> > wird, weil an "alten" Identifikationsmustern (über Arbeit) festgehalten
> > wird - dies wird durch BGE-Modelle verstärkt, welche eben diese
> > Identifikationsmuster aufrecht halten wollen. Götz Werner spricht von
> > Paradigmenwechsel, ich nannte es Dekonditionierung, und gemeint ist das
> > Verständnis der existenzphilosophischen Freiheit, wie sie schon in den
> 60ern
> > gefordert wurde. Das kommunistische Ziel einer klassenlosen Gesellschaft
> > schlägt in die gleiche Kerbe; die Gedanken der Aufklärung, ja sogar
> die
> > "schöngeistige Gegenbewegung" der Romantik (weil eben nicht alles auf
> > Vernunft basiert) werden durch ein emanzipatorisches BGE gefördert.
> >
> >
> >
> > So schön sich das alles auch anhören mag, so bitter schmeckt diese
> Freiheit.
> > Freiheit muß in meinen Augen erlernt werden und hängt eng mit der
> Identität
> > zusammen. Identität ist sehr vielschichtig und eine Forderung nach
> einer
> > "globalen Identität" wäre falsch. So wäre zum Beispiel eine
> Gleichschaltung
> > der Kulturen deshalb abzulehnen, weil die Individualität der Kulturen
> > verloren ginge. Vielmehr meine ich, daß jede Kultur zu respektieren
> ist.
> > Kultur als Identität würde bedeuten, daß alle Kulturen allen Menschen
> > gehören.
> >
> >
> >
> > Ein emanzipatorisches BGE nimmt keinen direkten Einfluß auf die
> Traditionen
> > einer Gesellschaft (=Kultur), vielmehr ermöglicht es das Ausleben
> dieser
> > Traditionen, da die Existenzangst der Gesellschaftsmitglieder in den
> > Hintergrund rückt. Die Abgrenzung der einzelnen Kulturen (und damit der
> > Identität) nimmt damit einen anderen Charakter an, weil in der jeweils
> > anderen Kultur kein Gegner gesehen wird, der die Existenz (das
> Überleben)
> > der eigenen Kultur gefährdet.
> >
> >
> >
> > Ein emanzipatorisches BGE macht Menschen auf einer existenziellen (der
> > biologischen) Ebene gleich, nicht aber die individuellen Eigenschaften
> und
> > Fähigkeiten. Besondere Leistungen können immer noch durch
> Geldleistungen
> > belohnt werden - was im Kommunismus nicht möglich und gewünscht war.
> Das BGE
> > soll in der Gemeinschaft die Selbstverwirklichung fördern und
> unterstützen,
> > um die individuelle Identität zu finden - frei von äußeren,
> kollektiven
> > Identitäten. Diese werden damit nicht abgeschafft, sondern bleiben
> weiterhin
> > vorhanden - es wird immer Gemeinsamkeiten bei Eigenschaften und
> Fähigkeiten
> > einzelner Individuen geben. Aber der "Zwang", sich über diese Gruppen
> zu
> > identifizieren, soll an Bedeutung verlieren. Damit ist gemeint: Ich bin
> > vorrangig Mensch (ich selbst) und in zweiter Linie Arzt, Musiker,
> Ingenieur
> > oder sonst etwas.
> >
> >
> >
> > Der Jovialismus versteht sich deshalb als "BGE-Philosophie", bei der die
> > Gemeinschaft den Einzelnen im Individualisierungsprozeß unterstützt,
> damit
> > der Einzelne seine eigene Identität findet, um sich selbst zu
> verwirklichen.
> > Der Einzelne leistet gegenüber der Gemeinschaft den Beitrag, seine
> > Eigenschaften und Fähigkeiten für deren Fortbestand einzusetzen. Frei
> nach
> > dem Prinzip: "Alle für einen, einer für alle".
> >
> >
> >
> > Diese Philosophie bietet keine Identität und will dies auch nicht. Der
> > Projekt-Charakter (deshalb "Projekt Jovialismus") soll eben diesen
> > Individualisierungsprozeß fördern - und dabei vorhandenes Wissen
> > (Philosophien) nutzen, um den Ansprüchen der Aufklärung, bzw. des
> > Existenzialismus gerecht zu werden. Es geht um die Schaffung von
> > Möglichkeiten, seine Identität zu finden und nicht um die Vorgabe
> eines
> > konkreten Ziels oder einer Identität. Trotzdem ist der Jovialismus eine
> > Philosophie, aus der sich diese Methoden begründen.
> >
> >
> >
> > Im emanzipatorischen BGE spiegeln sich die Gedanken des Jovialismus
> wider:
> > Es will kein Geld (BGE) geben, damit Menschen Arbeiten (Subventionierung
> von
> > Arbeit, bei der Vorgabe, daß Arbeit Identität sei), sondern damit die
> > Menschen die Freiheit haben, sich ihre Arbeit nach ihren Eigenschaften
> und
> > Fähigkeiten auszusuchen (Identitätsfindung gekoppelt mit Arbeit - nach
> Karl
> > Marx: "jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen
> Bedürfnissen!").
> >
> >
> >
> > Das emanzipatorische BGE ist ein Weg aus der Identitätskrise, hin zu
> > Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.
> >
> >
> >
> > Kiew, 25. Apr. 2007
> >
> >
> >
> > Jörg Drescher
> >
> >
> >
> >
> >
> > Lesenswerte Links in diesem Zusammenhang:
> >
> > http://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4t und weiterführende Verweise
> >
> > http://de.wikipedia.org/wiki/Emanzipation
> >
> > http://de.wikipedia.org/wiki/Existenzialismus
> >
> > http://de.wikipedia.org/wiki/Nietzsche#.E2.80.9EGott_ist_tot.E2.80.9C
> >
> > http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx#Religion_und_Religionskritik
> >
> >
> >
> > Allgemein zum grundlegenden Philosophieverständnis:
> >
> > Sofies Welt, Jostein Gaarder, ISBN: 978-3423620000
> >
> > -----
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