[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen - ein gefährlicher Traum

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
So Apr 22 15:09:39 CEST 2007


Sehr geehrter Herr Schneider,

hiermit nehme ich in dieser offenen Mail zu Ihrem Gastkommentar bei SPIEGEL
ONLINE (http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,478416,00.html) wie
folgt Stellung:

natürlich haben Sie mit Ihren Äußerungen recht, wenn Sie das Grundeinkommen
als "Sozialhilfeersatz" sehen. Vor allem suggeriert das Althaus-Modell
gerade, ein solches "Sozialhilfeersatz-Modell" zu sein. Aus diesem
Blickwinkel kann ich Ihren Argumenten zustimmen und gleichzeitig zur
Vorsicht mahnen - und das, obwohl ich ein Befürworter des Grundeinkommens
bin. Meine Befürwortung sieht allerdings keine "Sozialhilfe" im
Grundeinkommen, sondern vielmehr eine Art "Staatsdividende", welche an alle
Bürger eines Staates ausbezahlt wird. Diese Betrachtung führt zu ganz
anderen Ergebnissen, wenn es um die Bewertung eines Grundeinkommens geht.

Als Bankkaufmann dürften Sie die wirtschaftlichen Grundlagen verstehen -
noch besser sogar, weil Sie im "sozialistischen Teil" Deutschlands
aufgewachsen sind. Diese wirtschaftlichen Grundlagen sind:
* alle Menschen müssen konsumieren, um Leben zu können (Nahrungsmittel,
Trinken, Kleidung, Wohnraum, soziokulturelle Teilhabe...)
* ein Teil der Menschen verfügt über wenig bis gar kein Einkommen, um diesen
Konsum zu realisieren
* ein anderer Teil der Menschen verfügt über ausreichendes bis
überdimensioniertes Einkommen (aus Produktionsmitteln, Rohstoffen,
Produktionsanlagen, Arbeit, Geld, Grundstücken, Maschinen etc.)

Meine (und nicht alleinig meine) Sichtweise des Grundeinkommens besagt, daß
jeder Mensch ein Auskommen haben soll (Grundeinkommen), das sich
emanzipatorisch auf den jeweiligen Menschen auswirkt und ihn von
Arbeitszwang (zum Auskommen) befreit. Die Idee des Grundeinkommens - oftmals
falsch verstanden - bedeutet nicht, daß Arbeit überflüssig wird; im
Gegenteil, Arbeit bleibt weiterhin wichtig und notwendig, um den Menschen
Konsumgüter zur Verfügung zu stellen. Allerdings sollen auch alle Menschen
die Möglichkeit bekommen - und nicht das alleinige Recht - diese Güter
konsumieren zu können.

Ihr zweiter Mahnpunkt in Ihrem Beitrag stellt die Finanzierung in Frage.
Natürlich ist dies zuläßig und muß in jedem Fall bedacht werden. Nur sollten
Sie bedenken, daß es genügend Produkte gibt, die zum Konsum bereit stehen,
aber Menschen nicht über genügend "Finanzmittel" verfügen, um sich diese
Produkte leisten zu können. Deshalb geht es eher um eine gerechte
Umverteilung dieser "Finanzmittel", als um eine Frage der Finanzierbarkeit.
Und wenn Sie meinen, daß dafür "Vollbeschäftigung" notwendig ist, möchte ich
fragen, ob das Angebot der konsumierbaren Produkte/Dienstleistungen nicht
schon ausreicht - brauchen wir wirklich noch mehr?

Ich stimme Ihnen in dem Punkt zu, daß es genügend Arbeit gibt. Das Problem
ist allerdings, daß oftmals Geld fehlt, um diese Arbeiten auszuführen. Und
hier komme ich wieder auf den emanzipatorischen Effekt des Grundeinkommens
zu sprechen: Leistung (Arbeit) nur für Gegenleistung (Geld) bedingt, daß
Gegenleistung (Geld) vorhanden sein muß. Wenn ich mir allerdings (als
Beispiel) manche Innenstädte anschaue, die renovierungsbedürftig sind, so
ist dies durchaus Arbeit - aber der Nutzen dieser Arbeit ist nicht mehr in
Geld rückwandelbar - Arbeit ist im Überfluß vorhanden; nur keine Mittel,
diese Arbeit zu "entlohnen".

Vielleicht sollten Sie innerhalb Ihrer Partei einmal überdenken, ob Ihre
Sichtweise des Grundeinkommens nicht vielleicht auf "ungesunden Beinen"
steht. Im Fall der CDU mit dem Althaus-Vorschlag scheint es nämlich so zu
sein. Möglicherweise sind Sie (als Partei) in der Lage, ein sinnvolleres und
besseres Konzept auf die Beine zu stellen. Ich hoffe zumindest, daß Ihnen
nach meinem Schreiben klar geworden ist, daß die Betrachtung des
Grundeinkommens ein wesentlicher Aspekt ist, dafür oder dagegen zu sein.

Mit freundlichen Grüßen aus Kiew,

Jörg Drescher





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