[Debatte-Grundeinkommen] Berufspolitiker und die repräsentative Demokratie (war: Kipping und das BGE)

Guido Casper nurleute at googlemail.com
Fr Apr 13 11:11:31 CEST 2007


Hallo Ingo,

On 4/10/07, Ingo Groepler-Roeser <ingo.groepler.roeser at googlemail.com> wrote:
> Wenn dann noch
> die Berufspolitiker schwinden, wird es nicht lange dauern, bis die
> "Hobby"politiker, die "Sprach"wissenschaftler und zuletzt die 'falschen'
> BGE-Verfechter gehen müßten. Es bliebe ein Idee übrig und der Letzte macht
> das Licht aus?

Man kann politisch interessierte/aktive Menschen sicher in die
Kategorien "Berufspolitiker" und "Hobbypolitiker" unterteilen. Was mir
aber wesentlich wichtiger erscheint, ist die Mentalität der Personen.
Welche Charaktereigenschaften muss ein Mensch besitzen, um es bis in
die Spitze der deutschen Politik zu schaffen? Ich kann mir nicht
helfen, aber es sind Charaktereingenschaften, die ich verabscheue und
die unsere politische Kultur vergiften.

Entschuldigt, ich möchte mich hier nicht damit begnügen,
Politikerschelte zu betreiben. Aber wenn man erklären will, wie das
BGE unsere Demokratei stärkt (m.E. DER zentrale Vorteil eines BGE),
dann muss man auch erläutern, was mit unserer Demokratie nicht stimmt.
Das Argument "das war immer so" kann ich nicht gelten lassen. Wir
haben heute völlig andere Möglichkeiten, als vor 20 Jahren. Wir sind
an einem Punkt, an dem evolutionäre Ansätze keine bedeutende
Verbesserung mehr bringen. Diesen Punkt erreicht man früher oder
später in nahezu jeder Organisation.

> Um es ganz plastisch zu übertreiben: Ich halte Sprecher für
> Sprecherpositionen ungeeignet, weil sie Sprecher sind?

Und du glaubst tatsächlich, dass alle Bevölkerungsteile im Parlament
angemessen vertreten werden? Wer soll dann bitte mein Sprecher sein?
Politik besteht bei uns nicht aus Information (aus diesem vermurksten
System lassen sich die echten Informationen auch gar nicht mehr
extrahieren), sondern aus Meinungsmanipulation. Ich gehöre zu denen,
die mehr direkte Demokratie einfordern (auch wenn ich
Volksabstimmungen in den meisten Fällen für eher ungeeignet halte).

Man kann sicher auch die repräsentativen Demokratie bevorzugen. Aber
auch diese Idee wird bei uns mit Füßen getreten [1]. Es hat sich eine
politische Kultur etabliert, in der geheime "Absprachen" in den
obersten Gremien von Regierung und Parteien zur Normalität gehören.
Genauso normal wird dann offen eine "Fraktionsdisziplin" eingefordert.
Der "normale" Parlamentarier (mein hypothetischer Sprecher) hat nichts
mehr zu sagen. Er soll nur noch fertige Konzepte mit hunderten von
Seiten absegnen. Tut er das nicht (weil er vielleicht einer der
wenigen ist, die diese Gesetzesvorlagen überhaupt noch komplett lesen
und verstehen wollen), ist er ein Querulant. Gesetze werden nicht im
Parlament gemacht, sondern in Ausschüssen. Die öffentliche Teilhabe
geht verloren.

Dieses Verhalten schlägt sogar schon auf das Demokratieverständnis der
Bevölkerung durch. Kontroverse, offen geführte Diskussionen werden für
etwas Negatives gehalten (z.T. auch deshalb, weil bei diesen
Diskussionen allzuoft das Machtgeplänkel im Vordergrund steht). Die
Massenmedien tun ihren Teil dazu bei. Immer wieder ertönt der Ruf nach
der einen starken Hand, die auf den Tisch haut, sich durchsetzt und
für Disziplin und eine klare Linie sorgt. Dabei ist genau das der Weg
zum Ausschluss neuer Perspektiven und zur Verdummung.

1991 erschien ein Buch von Hildegard Hamm-Brücher: "Der freie
Volksvertreter - eine Legende?". Manch einer wird sich vielleicht noch
erinnern: Hildegard Hamm-Brücher war 1994 Kandidatin für das Amt des
Bundespräsidenten.

Eine wirklich offen geführte Diskussion müsste zwangsläufig aufdecken,
wie kompliziert, ineffizient und unbeherrschbar unsere Steuer-,
Rechts- und Sozialsysteme geworden sind. Der normale Bürger kann sie
nicht mehr verstehen. Niemand versteht sie. Schlimmer noch, der Bürger
muss sich mit Politikern rumschlagen, die behaupten, sie würden sie
verstehen. Bei Bedarf stellen sie sich dann aber auch gerne als kleine
Rädchen im großen Räderwerk der äußeren Zwänge (Verfassung, EU, etc.)
dar. Was wir brauchen, sind weniger Regeln, einfache Regeln. Das
Grundeinkommen beweist, dass es geht. Das unseelige Machtgezerre wird
uns aber weiterhin das Gegenteil bescheren.

Ich schließe niemanden von der Diskussion aus. Aber ich kann und werde
mich nicht mit den Berufspolitikern zu deren Bedingungen
auseinandersetzen. Sie werden das Grundeinkommen mit ihren perversen
Systemen verflechten und diskreditieren. Man muss kein Prophet sein,
um das vorauszusehen.

Entweder, ich mache Politik oder ich möchte informieren. Vielleicht
geht auch beides gemeinsam, aber das politische Tagesgeschäft verdirbt
die Moral. Zwischen Politik und Information klafft heute eine
gewaltige Lücke. Der Weg zur Demokratie ist Information.

Der nächste Schritt der demokratischen Entwicklung besteht für mich
darin, dass sich jeder informieren kann, wie er es verdient und dass
jeder soviel beitragen kann, wie er es wünscht. Diese harmlos wirkende
Vision ist vom Standpunkt unseres jetzigen Systems ein Quantensprung.
In hundert Jahren wird der jetzige Politikstil so antiquiert wirken,
wie die Monarchie.

Guido


[1] Eine wohltuende Ausnahme und Licht im Dunkel scheinen in diesem
Zusammenhang manchmal die Grünen zu sein, insbesondere die Basis der
Partei. Einige Mitglieder der Parteispitze sind aber ähnlich
gefährdet, wie andere. Es ist äußerst kompliziert, hier Ursache und
Wirkung auseinanderzuhalten.



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