[Debatte-Grundeinkommen] Pfarrer und Haushälterin

Matthias Dilthey info at psgd.info
So Sep 10 18:52:27 CEST 2006


Geehrter Ernst Ullrich Schultz, geehrte Liste,

Herr Schultz hat an einem Beispiel treffend die Widersprüche unserer heutigen 
Werte- und Arbeitsphilosophie geschildert.

Bisher konnten wir mit diesen Widersprüchen recht gut leben, fanden immer 
oberflächige Kaschierungsmöglichkeiten.


Spätestens mit dem verstärkten Auftreten des BGE-Gedankens und dem radikalen 
Umbruch in den Produktionstechnologien treten diese Widersprüche offener zu 
Tage. 
Genau diese Widersprüche machen sich BGE-Gegner zu eigen, werfen subjektive 
und objektive Begriffe nach Gefälligkeit durcheinander.

In seinem Beispiel führt Schultz die Diskrepanzen auf eine "fehlerhafte 
Abbildung der Wirklichkeit durch Statistiken" zurück.

Das ist m.E. zu kurz gedacht. Der Fehler liegt an einer mangelnden 
philosophisch und wirtschaftstheoretisch sauberen Definition der Begriffe 
"Wert" und "Arbeit".
Dies bestätigt auch Schultz, denn er mahnt zum Schluß seines Schreibens eine 
begriffliche Trennung zwischen "Arbeit und Einkommen" an.


Möchten wir das BGE nachhaltig etablieren, müssen wir es auf eine 
wirtschaftstheoretisch und philosophisch saubere Grundlage stellen.

Nur das kann Prof. Götz Werner meinen, wenn er von "Paradigmenwechsel" 
spricht.


Man möge mir verzeihen, wenn ich abschließend (entfernte) Verwandschaft 
zitiere:

"Die Weltanschauungen sind nicht Erzeugnisse des Denkens. (...) Aus dem 
Lebensverhalten, der Lebenserfahrung, der Struktur unserer psychischen 
Totalität gehen sie hervor." (Wilhelm Dilthey, Philosoph 1833-1911)


Matthias Dilthey






Am Sonntag, 10. September 2006 00:01 schrieb Ernst Ullrich Schultz:
> Liebe MitstreiterInnen,
>
> in den Streit, ob Arbeit als solches schon einen volkswirtschaftlichen
> Wert darstellt, wie er zwischen Klaus Jäger und Mathias Dilthey
> entbrannt ist, will ich mich nicht weiter einmischen. Die Frage ist für
> mich in sofern interessant, weil sie mir aufzeigt, was Wirklichkeit und
> was Statistik ist. Es gibt da ein schönes Beispiel, nämlich das
> Verhältnis zwischen einem Pfarrer und seiner Haushälterin. Solange sie
> bei ihm als Angestellte arbeitet, ist ihr "Verhältnis" für das
> Bruttosozialprodukt positiv, sie hat ein Einkommen, versteuert es
> u.s.w. Kommen nun beide auf die Idee ihr "Verhältnis"  durch Heirat zu
> legalisieren, verändert sich die Statistik, das BSP sinkt ein wenig,
> des weiteren hat dieser Vorgang auch negative Auswirkungen auf das
> Steuer- und Sozialsystem, die Renten- und Krankenkassenbeiträge und die
> Steuereinnahmen sinken. Nach dem Begriff der klassischen VWL ist also
> das Zölibat eine feine Sache!
> Aber im Ernst, was passiert da eigentlich in der Wirklichkeit? Die gute
> Frau wird möglicherweise absolut die gleiche Arbeit verrichten, der
> Pfarrer weiter Predigten vortragen (möglicherweise noch freundlicher)
> und sein Einkommen wird er erhalten wie bisher. Das bedeutet doch,
> Arbeit und Erwerbsarbeit können genau gleich sein, und trotzdem findet
> eine völlig unterschiedliche volkswirtschaftliche Bewertung statt. Und
> da ist der Punkt, wo neu gedacht werden muss, nämlich in Richtung
> Grundeinkommen, weil immer mehr Arbeitsplätze wegfallen.
> Und das immer noch so falsch gedacht wird, ersieht man aus den neuesten
> Vorschlägen des Sachverständigenrates, der neben der 30%tigen Absenkung
> von HartzIV, Zuverdienstmöglichkeiten als "Arbeitsanreize", sowie
> Kombilohnmodelle vorsehen. Also, um in meinem Beispiel zu bleiben, der
> Pfarrer soll sich noch eine Mamsell zulegen, für die er dann Zuschüsse
> bekommt.
> Man muss sich immer wieder klar werden, dass Arbeit und Einkommen zwei
> verschiedene Dinge sind, schon die krassen Einkommensunterschiede
> machen uns das deutlich. Leistet ein Vorstandsvorsitzender einer Bank
> etwa 1000x mehr Arbeit als eine Reinigungskraft?
>
> Freundliche Grüße,
> Ernst Ullrich Schultz
>
> _______________________________________________
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