[Debatte-Grundeinkommen] Kombilöhne aus Frauensicht

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Sa Okt 14 23:27:43 CEST 2006


Hallo, Tobias!

Vorab: Mich nervt dieser Zeitgeist des mutwilligen Missverstehens!

> Als zumindest bislang des Feminismus Unverdächtiger wüsste ich trotzdem
> gerne, was daran falsch sein soll, sich nach neuen Betätigungsfeldern
> umzusehen, wenn (falls!) die bisherigen reduziert werden?

Hab ich das vielleicht gesagt??? Ich habe kritisiert, dass man die
Umwälzung nicht als Chance begreift, wenn bisherige Betätigungsfelder
wegfallen, und stattdessen nach UNVERÄNDERTEN AUSBEUTUNGSANFÄLLIGEN
alternativen Betätigungsfeldern sucht!

> Muß ich dazu "das Eva-Prinzip" lesen? Von welcher Kapazität ist das
> überhaupt, dass man es verstanden haben muß?

In der Tat ist "Das Eva-Prinzip" gerade für Leute, die sich das
mutwillige Missverständnis zum Hobby gemacht haben, ein gefundenes
Fressen, was man ja derzeit in der Presse allenthalben feststellen
kann. Gerade heute Morgen kam ein O-Ton auf SWR1, in dem eine Mutter
(von drei gemeinschaftlich existenzgründenden Müttern) als
"Gegenposition" zu Eva Herman meinte, die Frau solle entscheiden
können, ob sie daheim bei den Kindern bleiben oder ihre Karriere
weiter verfolgen wolle - was nichts anderes ist, als das, was Eva
Herman (allerdings weitaus differenzierter) fordert. Der Reporter hat
sie nicht etwa unterbrochen, korrigiert oder auf einen so unsinnigen
O-Ton verzichtet. Im Gegenteil: Der Moderator der Sendung griff das
offenbar noch auf auf und machte etwas wie "nach Eva Herman sollen die
Frauen zurück an den Herd" daraus. Blödsinn hoch zehn. Na ja, was soll
man in diesen Zeiten von unseren kapitalistisch ausgebeinten Medien
und hoffnungslos überforderten Medienvertretern verlangen?

> Thema "falls!": Ich kann auch nicht erkennen, dass Arbeitsplätze in
> sozialen Bereichen abgebaut werden (können). Es wird eher der
> eine oder andere Arbeitsplatz zusätzlich benötigt werden, für den heute
> kein Geld da sein soll. Auch im Hinblick Höherqualifizierung von
> Arbeitnehmern in sozialen Berufen liegt noch viel Brachland vor uns.

Wenn man bedenkt, dass die Leute vom MSHD (z.B. bei unseren
Caritas-Sozialstationen) darüber klagen, dass sie kaum mehr Zeit für
ihre Pflegepersonen aufbringen können, weil alles nach einem
kostenoptimierten Schema F abzulaufen hat, dann, mein lieber Tobias,
sollte man eigentlich erkennen, dass der Arbeitsplatzabbau in den
sozialen Bereichen SCHON LÄNGST MASSIV STATTGEFUNDEN HAT! Und dieser
auf permanente Rationalisierung ausgerichtete Arbeitsplatzabbau geht
weiter und nimmt auf Menschen schon lange keine Rücksicht mehr! Oder
glaubst Du, alles, was im Buch "Abgezockt und totgepflegt" steht, sei
erfunden??

> Was das mit dem BGE zu tun hat, bleibt dabei offen. Ein BGE ist
> schließlich ein soziales Sicherungskonzept und kein
> Erwerbstätigkeitsverhinderungsmodell. Zumindest sollte es dies nicht
> sein.

Dies ist ein Irrtum! Das BGE ist keineswegs nur ein soziales
Sicherungskonzept, sondern auch ein
Erwerbstätigkeitsverhinderungsmodell, auch wenn Du das offenbar noch
nicht mitbekommen hast. Das BGE verhindert ausgesprochen effektiv
Erwerbstätigkeit um der Erwerbstätigkeit willen! Das ist sogar der
Hauptgrund, warum ich das BGE so zukunftsweisend finde, denn soziale
Sicherung ließe sich auch anders erreichen, z.B. mit Kombilohn und Alg
II in Höhe von rund 1000 Euro. Nur sind solche Konzepte höchstens
kurzfristig wirksam.
Wer allerdings glaubt, dass das BGE eine langfristige Lösung
darstelle, der sollte besser auch noch mal drüber nachdenken....

> De facto  wird es gelegentlich auf einen solchen Effekt hinauslaufen,
> weil man z.B. manche selbstständige Tätigkeitstypen nur mit hohem
> bürokratischen Aufwand zu einer Erwerbstätigkeit umgestalten kann, aber
> das ist nicht primäre Zielsetzung des BGE.

Nachdem wir den Charakter des BGE als Mittel zur
Erwerbstätigkeitsverhinderung geklärt hätten, wüsste ich nur gerne,
wie Du darauf gekommen bist. Das riecht wieder streng nach
absichtlichem Missverständnis. Meine Aussage zum BGE lautete: Mit
einem BGE könnten Pflegende leichter in eine tragfähige
Selbstständigkeit gelangen. Das gilt sowohl für Angehörige als auch
für professionelle Kräfte. Sie könnten ihre Leistung nämlich viel eher
nach den tatsächlichen Gegebenheiten ausrichten und nicht nach ihren
eigenen Lebenshaltungskostenverhältnissen.

> > Die "Verdrängung" der Aufgaben und Ziele der öffentlichen
> > Daseinsvorsorge in die kostenlose Arbeit ist zwar sicherlich genau zu
> > beobachten und kreativ mitzugestalten, aber frauen-, familien-,
>
> "genau zu beobachten" klingt nebulös.

Das ist es auch :-) Viel mehr ist im gegenwärtigen Faschismus
allerdings kaum mehr möglich... Aber klingt "kreativ mitgestalten"
nicht schon ganz gut?

> > bildungs-, pflege- UND gesellschaftspolitisch ist dies mehr als nur
> > erwünscht! Diese Entwicklung ist sowohl für die Gepflegten, als auch
> > für die Pflegenden der menschlichere Weg!
>
> Lass mich mal raten: Diese Meinung ist von wenig Fachkenntnis im
> Bereich MSHD getrübt!?

Nicht dass ich Experte wäre, aber als Caritas-Mitarbeiter habe ich
einiges von den Sozialstationen mitbekommen. Siehe oben. Reicht das
vielleicht?

> Richtig ist, dass die persönliche Zuwendung von Gepflegten häufig
> (!) sinnvoller durch Angehörige oder Freunde erfolgen kann. Das bezieht
> sich allerdings nicht auf die Pflege an und für sich. Hier kann ich nur
> jedem Patienten dringendst empfehlen auf mobile Pflegedienste mit
> qualifizierten Pflegern zurückzugreifen, die dies erstens
> professioneller und zweitens unter geringerer psychischer Belastung tun
> können.

Natürlich! Auch hier muss ich fragen: Habe ich das jemals gesagt? Nö!

> Tatsächlich ist in vielen Fällen, in denen "natürlich" die Frau des
> Hauses die Pflege übernimmt, ein ständig schwelender Konflikt zwischen
> Patient und Pflegerin zu beobachten. Der/die Patient/in traut sich
> nicht, Wünsche und Forderungen zu äußern, aus Angst, die Pflegerin noch
> starker zu belasten und wird somit zusätzlich in seinen/ihren
> Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die verwandte Pflegerin ist
> dagegen ständig auf dem Sprung als Hilfspflegekraft mit billiger
> 24h/7d-Rufbereitschaft und wird ebenfalls in ihren
> Entfaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das Resultat: s.o.
>
> Pflege durch Angehörige ist vor allem eines: billig! In jeder Hinsicht.
> Daran kann keiner ein Interesse haben. Am wenigsten der zu Pflegende.
>
> Die häusliche Pflege ist als Beispiel für eine nicht-erwerbstätige
> Arbeit denkbar schlecht geeignet. Zumal es mittlerweile ein gut
> entwickeltes Netz von MSHD gibt. Einen solchen Rückschritt will
> wirklich niemand und man erweist dem Gedanken des BGE als soziales
> Sicherungsinstrument einen Bärendienst mit solchen "Ideen".

Mag sein, aber auch solch absolutistische Gedankenausrichtungen habe
ich nie von mir gegeben.

Bedauerlich anachronistisch ist das ewige Festmachen am Preis! Wenn
Pflegende kein Interesse daran haben sollten, dass Pflege billig ist,
und Gepflegte kein Interesse daran haben sollten, dass Pflege (zu)
billig ist, dann frage ich Dich: Wer sollte eigentlich ein Interesse
daran haben, dass die Pflege teuer ist?? Ist es nicht vielmehr so,
dass Kosten auf Einzelpreise zurückgehen und Preise durch Angebot und
Nachfrage am Markt gebildet werden und wir diesen Markt aus der
menschlichen Daseinsvorsorge herausdrängen wollen?? Warum wird über
Kosten diskutiert??

Gruß
Manfred

-- 
Manfred Bartl
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