[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 20, Eintrag 2

Florian Hoffmann florian at hoffmannlaw.de
Do Nov 2 21:54:04 CET 2006



Liebe Listis,
lieber Rüdiger,

uns' Charly war ein ehrenwerter Mann und sicherlich ein ernstzunehmender
Wissenschaftler, aber das, was Du uns da vorsetzt, hat nun wirklich nichts
mehr mit unserer Arbeitswelt hier zu tun, ist doch wahrlich keine
Beschreibung der Realität von heute in Europa mehr, es sei denn, man meint
die Fabrikarbeit in China, Bolivien oder Bangladesh und die Kinderarbeit in
Indien, Slums im Kongo oder die Verhältnis auf Zuckerplantagen in Brasilien
(völlig unvollständige Aufzählung).

Ich habe als Begründung ein paar Anmerkungen zwischen die Zitate gefügt:

>
> "Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das
> durch Not und äussere Zweckmässigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt
> also in der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen
> materiellen Produktion."
>
> Aus : Das Kapital Bd. III


FH: Die Zeiten haben sich gewandelt: Der Natur der Sache nach existiert
heute die Freiheit millionenfach in der Sphäre der eigentlichen Produktion,
wenn ich nur an (was nicht immer der Fall ist:) glückliche Lehrer,
glückliche Ärzte, glückliche Vertriebsleute, glückliche Kellner, glückliche
Beamte, glückliche Zeitungsmacher, Redakteure und auch Leute in der
Produktion von Lebensmitteln (auch: Bauern) denke, die ich selbst kenne oder
erlebt habe. Das Reich der Freiheit steckt auch in der Arbeit. Arbeit ist
auch Selbstverwirklichung. Das BGE soll von Frohnarbeit befreien, und/oder
dafür sorgen, dass diese Arbeiten angemessen entlohnt werden.


>
> "Man hat eingewendet, mit der Aufhebung des Privateigentums werde alle
> Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreissen. Hiernach
> müsste die bürgerliche Gesellschaft längst an der Trägheit zugrunde
> gegangen sein; denn die in ihr arbeiten, erwerben nicht, und die in ihr
> erwerben, arbeiten nicht."
>
> Aus: Marx/Engels: Mainifest der kommunistischen Partei


FH: Letzteres ist heute bei uns so nicht mehr der Fall, sonst hätten sich
nicht Millionen abhängig Beschäftigter ihren - wenn auch manchmal nur -
bescheidenen Wohlstand mit eigenem Auto und Häuschen aufbauen können.
Deshalb sollte die Aufhebung des Privateigentums heute kein Thema mehr sein.
Privateigentum ist Ausdruck und wesentlicher Bestandteil der
Selbstverwirklichung. Was das Privateigentum an Produktionsmitteln angeht,
so gibt es auch dort - bei aller Tendenz zur Konzentration bei großen
Produktionseinheiten - die Tendenz zur breiten Streuung des Vermögens in
Form selbständiger kleiner Einheiten. Wir nennen diese Leute heute
Mittelstand. Sie sind die tragende Säule unserer Wirtschaft. Und gerade dort
kann ich nicht sehen, dass die, die dort erwerben, nicht auch selbst
arbeiten. Kein Scherz: Wer selbständig ist, arbeitet selbet und arbeitet
ständig. Das ist jedenfalls der Normalfall.


>
> "Es ist eins der grössten Missverständnisse, von freier,
> gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum
> zu sprechen. Die "Arbeit"  ist ihrem Wesen nach die unfreie,
> unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das
> Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums
> wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit
> gefasst wird."
>
> Aus: Über Friedrich List
>


FH: Die Aufhebung von Arbeit und Privateigentum ist das Ende der
Verantwortlichkeit für irgendetwas, das Ende des Bemühens, des Einsatzes für
eine Sache, das Ende der Lebensform, die wir für erstrebenswert erachten -
auch mit Hilfe eines BGE.





> "Die Betätigung der Arbeitskraft, die Arbeit, ist aber die eigene
> Lebenstätigkeit des Arbeiters, seine eigne Lebensäusserung. Und diese
> Lebenstätigkeit verkauft er an einen Dritten, um sich die nötigen
> Lebensmittel zu sichern. Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein
> Mittel, um existieren zu können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet
> die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer
> seines Lebens. Sie ist eine Ware, die er an einen Dritten zugeschlagen
> hat. Das Produkt seiner Tätigkeit ist daher auch nicht der Zweck seiner
> Tätigkeit. Was er für sich selbst produziert, ist nicht Seide, die er
> webt, nicht das Gold, das er aus dem Bergschacht zieht, nicht der
> Palast, den er baut. Was er für sich selbst produziert, ist der
> Arbeitslohn, und Seide, Gold, Palast lösen sich für ihn aus in ein
> bestimmtes Quantum von Lebensmitteln, vielleicht in eine Baumwolljacke,
> in Kupfermünze und in eine Kellerwohnung. Und der Arbeiter, der zwölf
> Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut, schaufelt, Steine klopft,
> trägt usw. ? gilt ihm dies zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen,
> Bauen, Schaufeln, Steinklopfen als Äusserung seines Lebens, als Leben?
> Umgekehrt. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört am
> Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett. Die zwölfstündige Arbeit dagegen
> hat ihm keinen Sinn als Weben, Spinnen, Bohren usw., sondern als
> Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die Wirtshausbank, ins Bett bringt.
> Wenn der Seidenwurm spänne, um seine Existenz als Raupe zu fristen, so
> wäre er ein vollständiger Lohnarbeiter."
>
> Aus: Lohnarbeit und Kapital
>


FH: Was ein Künstler, ein Musiker, ein Dirigent, ein Arzt, ein Rechtsanwalt,
ein Zeitungsverkäufer, ein Bauer, ein Bundeskanzler, an Leistung produziert,
behält er auch nicht für sich, denn davon hat er nichts. Er bekommt Geld als
Gegenleistung, er bekommt einen Arbeitslohn, den er dann frei gegen das
eintauschen kann, was er zum Leben braucht und das, was er sich darüber
hinaus noch davon an Luxus leisten kann. Die Arbeitsteilung, so wie Marx sie
hier beschreibt, hat eben bei uns in keiner Weise zur Folge, dass die die
Menschen nur an den Tisch, die Wirtshausbank und ins Bett bringt. Sie hat
die Leute heute, z. B. hier in Deutschland, in einen Zustand gebracht, dass
die Ruhestandsperiode im Leben eines Menschen im Schnitt schon länger ist
als Periode des Arbeitens.


Deshalb, lieber Rüdiger Heerscher, meine Bitte: Marx als große historische
Figur im Regal stehen lassen und selbst beobachten (nicht selten hilft einem
dabei sogar das Fernsehen).

Schöne Grüße
Florian Hoffmann





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