[Debatte-Grundeinkommen] FR 5.4.06: Straubhaar Interview

Wolfgang Strengmann-Kuhn strengmann at t-online.de
Do Mai 4 15:06:22 CEST 2006


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Wirtschaftsforscher im Interview
"Ich will Mindestsicherung"

Professor Thomas Straubhaar (48) leitet das privat finanzierte Hamburgische Welt-Wirtschafts-Institut (HWWI). Gesellschafter 
sind die Universität Hamburg und die Handelskammer.

Frankfurter Rundschau: Sie fordern ein Grundeinkommen von 7 525 Euro im Jahr für jeden - vom Baby bis zum Greis. Warum 
gerade diese Summe?

Thomas Straubhaar: Die Höhe des Grundeinkommens ist für mich überhaupt keine vorgegebene Größe. Diese Größe muss 
sich im politischen Prozess ergeben. Als Faustformel gilt: Je höher das Grundeinkommen, desto höher die Steuersätze. Die 
7 525 Euro ergeben sich, wenn sie die direkten Leistungen des deutschen Sozialbudgets von rund 620 Milliarden Euro durch 
die Zahl der Einwohner teilen, und es entspricht in etwa dem Existenzminimum.

Unterm Strich hätten Arbeitslose und Arme - berücksichtigen wir Wohngeld und Krankenkasse - weniger als heute.

Für Einzelne mag dies zutreffen, aber eine vierköpfige Familie würde in meinem Modell rund 30 000 Euro bekommen. 
Ansonsten bin ich - wie gesagt - sehr offen bei der Höhe des Grundeinkommens. Außerdem würde mehr Netto vom Brutto 
bleiben, weil alle Sozialabgaben wegfallen, und die Lebenshaltungskosten würden niedriger sein, weil die Bruttolöhne sinken 
werden. Jeder Arbeitnehmer, aber auch jeder Arbeitslose - also alle von der Wiege bis zur Bahre erhalten das 
Grundeinkommen ohne jede Bedingung, ohne jede Gegenleistung. Darin besteht der Unterschied zum Bürgergeld der FDP. 
Aber zugegeben, mein Modell kann nicht jede denkbare Gerechtigkeitsfrage beantworten.

Attraktiv erscheint das Grundeinkommen für die Unternehmen. Sie würden in der Praxis nur noch die Differenz zwischen 
Grundeinkommen und Gehalt an ihre Beschäftigten bezahlen. Zudem entfallen Lohnnebenkosten.

Die Löhne werden ins Rutschen kommen. Ich will Mindestsicherung statt Mindestlohn. Aber durch die Lohnflexibilisierung nach 
unten wird ein attraktiver Niedriglohnsektor entstehen und Hunderttausende neuer Jobs. Gewinne, wenn sie das Unternehmen 
verlassen, werden an der Quelle mit etwa 35 Prozent besteuert, vom ersten Euro an, wie jedes andere Einkommen auch.

Sie wollen mit Ihrem Vorschlag zum Grundeinkommen vor allem Jobs schaffen. Aber Beschäftigte kosten Unternehmen schon 
heute in vielen Branchen nur vier, fünf Euro. Trotz üppiger Gewinne und Export-Rekorde gibt es nicht mehr Beschäftigung, aber 
neue Armut.

Ein ermüdendes Standard-Argument. Wenn Sie heute in einem schlechten System an einem Schräubchen drehen und fest 
stellen, es passiert ja überhaupt nichts, dann darf man doch nicht verwundert sein. Man muss statt dessen einen radikalen 
Systemwechsel vollziehen.

Die Resonanz in Gewerkschaften und Politik auf die Idee des Grundeinkommens ist verhalten. Wo sehen Sie Chancen, Ihr 
Konzept politisch durchzusetzen?

Kurzfristig hat mein Modell sicher keine Chance, realisiert zu werden. Einige Bausteine sind jedoch schon heute konsensfähig, 
etwa dass die Sozialsysteme nicht aus Löhnen, sondern aus Steuern finanziert werden sollten. Dieser Punkt steht für das neue 
Grundsatzprogramm der SPD ganz oben auf der Agenda. Das wäre ein riesiger Schritt. Arbeitslosengeld und Renten sind 
schon heute nicht weit entfernt vom Grundeinkommen. Wozu also der riesige Kontrollapparat und das Herumstochern in dem 
Privatleben von Menschen?

Interview: Hermannus Pfeiffer


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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 03.05.2006 um 17:32:39 Uhr
Erscheinungsdatum 04.05.2006






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