[Debatte-Grundeinkommen] Die Zeit: "Opfer der Massenarbeitslosigkeit"

Matthias Dilthey info at psgd.info
So Jul 23 17:29:37 CEST 2006


Attac hat über "Genug für alle" den untenstehenden Beitrag aus "Die Zeit" 
veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund, berücksichtigt man zudem noch die 
Straubhaar/Althaus - Initiative, wird es zunehmend wichtiger, daß alle BGE
´ler gemeinsam an einem Strang ziehen.
Es wird Zeit, daß persönliche oder parteipolitische Befindlichkeiten in den 
Hintergrund treten: Wir brauchen ein BGE nach den Kriterien des Netzwerks, 
wollen wir den sozialen Frieden in Deutschland erhalten.

Liebe Grüße

Matthias Dilthey
http://www.grundeinkommenstag.org
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DIE ZEIT / 20. Juli 2006
http://zeus.zeit.de/text/2006/30/Argument_30

Opfer der Massenarbeitslosigkeit

Die Reichen sind in Deutschland reicher geworden, die Armen sind mehr geworden

Von Klaus-Peter Schmid

Dies ist eine schlechte Nachricht: Die Verteilung der Einkommen in der 
Bundesrepublik ist ungleichmäßiger geworden. Populärer ausgedrückt, die 
Reichen sind reicher geworden, die Armen sind mehr geworden. Auf der 
Grundlage regelmäßi-ger Befragungen von Privathaushalten kommen Forscher des 
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zu dem Schluss, 
dass die Ungleichheit heute größer ist als in den vergangenen 20 Jahren und 
dass der Anteil der armen Haushalte stark zunimmt.

Die schlechte Nachricht kommt nicht aus heiterem Himmel. Der Trend der 
vergangenen Jahre hat sich fortgesetzt. Etwa bis zum Jahr 2000 wurden die 
Reichen zwar reicher, aber die Zahl der Personen in den unteren 
Einkommensklassen nahm nicht zu. Seitdem strebt die Verteilung in beide 
Richtungen, die Kluft wird größer - und das, obwohl der Staat und das 
komplexe System der sozialen Sicherung ungeheure Summen umverteilen. Damit 
bestimmte Bevölkerungsschichten gerade nicht zur Armut verdammt sind. Damit 
der Wohlstand einer kleinen Schicht nicht zum gesellschaftlichen Sprengstoff 
wird.

Die entscheidende Erkenntnis der neuesten Zahlen setzt unten in der 
Gesellschaft an: Immer mehr deutsche Haushalte fallen unter die Armutsgrenze. 
1989 lag diese Quote noch bei 12,2 Prozent, inzwischen ist sie auf 17,3 
Prozent ange-wachsen. Vor allem Arbeitslose und Alleinerziehende leben mit 
einem hohen Armutsrisiko und schaffen es nur mit großer Mühe, wieder nach 
oben zu kommen, nachdem sie erst einmal abgerutscht sind.

So etwas landesweit zu berechnen birgt Probleme. Mit Hilfe komplizierter 
Verfahren ermitteln die Experten das durch-schnittliche Einkommen eines 
privaten Haushalts, erfassen dafür Einkünfte aller Art, addieren 
Sozialtransfers (wie Renten, Kindergeld, Arbeitslosengeld), reduzieren die 
Summe um die Steuerbelastung und berücksichtigen Zahl und Alter der 
Mitglieder des Haushalts. Die Einkommensangaben sind also konstruiert, aber 
sie sind über die Jahre vergleichbar. Und auf eine Zahl lassen sich die 
Fachleute auch gern festlegen: Der durchschnittliche deutsche 
Ein-Personen-Haushalt kann im Jahr rund 10000 Euro ausgeben. 

Die Grenze, bei der Armut in Deutschland anfängt, ist auf 60 Prozent des 
mittleren Einkommens aller Bewohner festgelegt. Wachsende Armut heißt nicht 
unbedingt, dass die Armen immer ärmer werden oder gar bis zum Niveau der 
Sozialhilfe absacken. Wohl aber, dass immer mehr Personen im Lande mit 
Einkommen unter der 60-Prozent-Linie auskommen müssen. Die liegt dem Betrag 
nach in einem wohlhabenden Land höher als in einem Land mit niedrigerem 
Wohlstand. Doch ist das Volkseinkommen der Deutschen in den vergangenen 
Jahren nur schwach gestiegen, sodass unter den neuen Armen auch viele sein 
dürften, die nicht bloß relativ verloren haben, sondern auch absolut. 
Gleichzeitig geht es den Deutschen im europäischen Vergleich noch relativ 
gut. Denn nur in Schweden und Dänemark ist der Anteil der Armen geringer. 

Die Folgerung, aus der Armut gebe es kein Entrinnen, ist zumindest voreilig. 
Hierzulande hat ein Drittel der Betroffenen nach zwei Jahren den Sprung über 
die Armutsgrenze wieder geschafft. »Kurzfristige Armutserfahrungen«, so eine 
noch unveröffentlichte DIW-Studie, »reichen bis weit in die mittleren 
Einkommenslagen hinein.« Allerdings ist auch hier der Trend unerfreulich. In 
der Sprache der DIW-Forscher: Der »Anteil mit dauerhaften Armutserfahrungen« 
an der gesamten Bevölkerung hat in den vergangenen Jahren zugenommen.

Die Erklärung für diese unerfreuliche Entwicklung ist schnell gefunden: die 
Massenarbeitslosigkeit. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist das entscheidende 
Moment für den Abstieg auf der Einkommensleiter. Je länger die 
Arbeitslosigkeit dauert, desto größer wird das Risiko des Abdriftens unter 
die Armutsgrenze. Dieser Zusammenhang wird überdeutlich, wenn man die 
Entwicklung der Armutsrate über Jahre hinweg vergleicht. In der 
Hochkonjunktur geht sie zurück, in der Flaute steigt sie an. Dass die Rate 
seit 2000 kontinuierlich auf den heutigen Höchststand angewachsen ist, ist 
eindeutig die Folge der schlechten Konjunktur und der steigenden 
Arbeitslosenquoten.

Ausgerechnet die Jahre der rot-grünen Koalition liefern dafür das 
Schulbeispiel. 1998, beim Amtsantritt der Regierung Schröder, wuchs die 
Wirtschaft kräftig, die Arbeitslosigkeit ging zurück und damit auch die 
Armutsquote. Doch nach zwei Jahren geriet die Wirtschaft in eine Phase der 
Stagnation mit schnell steigender Arbeitslosigkeit - und wachsender Armut. 

Mit Hans Eichels Steuerreform und der Senkung der Spitzensätze in der 
Einkommensteuer trug die Regierung sogar gezielt dazu bei, dass die 
Verteilung ungleicher und damit - gerade im Urteil der Regierungsparteien - 
auch ungerechter wurde. Frustriert musste die Regierung vergangenes Jahr in 
ihrem Armuts- und Reichtumsbericht einräumen, dass ihre sozialpolitischen 
Anstrengungen den negativen Effekt allenfalls dämpfen konnten.

Natürlich darf das heute kein Argument für die Große Koalition sein, ihre 
Bemühungen von vornherein einzustellen. Es gibt besonders gefährdete Gruppen 
der Bevölkerung, denen gezielt geholfen werden kann. Da sind zuerst die 
Langzeitarbeits-losen. Je länger sie ohne Job sind, desto mehr schrumpft ihre 
Chance, der Armut zu entkommen. Ein Riesenproblem sind alleinerziehende 
Mütter und ihre Kinder. Sie sind seit je unter den Sozialhilfeempfängern und 
damit in der Armutszone überrepräsentiert.

Dazu wird in absehbarer Zeit eine neue gefährdete Gruppe kommen: Rentner in 
Ostdeutschland. Wer nach der Wende und womöglich im besten Alter keine Arbeit 
mehr gefunden hat, dem fehlen bei der Verrentung die entscheidenden 
Beitragsjahre. Und anders als ihre Altersgenossen in Westdeutschland können 
sie in aller Regel nicht auf ein zusätzlich zur Altersversorgung angespartes 
Vermögen zurückgreifen. Die im Westen Deutschlands fast verschwundene 
Altersarmut droht somit im Osten wiederzukehren.

Doch die wirklich überzeugende Antwort auf das Armutsrisiko bleibt die 
Schaffung von Arbeitsplätzen. Nur wer Arbeit hat, ist gegen den Absturz 
gefeit. Da mag die Zahl der Einkommensmillionäre zunehmen, die Kluft zu den 
Durchschnittsver-dienern wächst - das ist das geringere Problem. Wichtiger 
ist, dass ein Abgleiten in die Armut nicht zum Massenrisiko wird.

DIE ZEIT, 20.07.2006



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