[Debatte-Grundeinkommen] FR 18.1.: Bedingungslos zugehoerig

Wolfgang Strengmann-Kuhn strengmann at t-online.de
Mi Jan 18 09:14:28 CET 2006


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Bedingungslos zugehörig
Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs erklären die Idee eines Grundeinkommens 
für alle Bürger(innen)
VON MARTIN HARTMANN

Als Bundespräsident Horst Köhler unlängst in einem Interview mit der Illustrierten Stern 
empfahl, Langzeitarbeitslosen "eine Art Grundeinkommen" zu gewähren, damit sich dieser 
Teil der Deutschen nicht "innerlich" vom Gemeinwesen verabschiede, ging ein erstauntes 
Raunen durch den hiesigen Blätterwald. Der Begriff "Grundeinkommen" schien nicht so 
recht zur sonst durchaus wirtschaftsfreundlichen Rhetorik Köhlers zu passen. Wollte der 
Bundespräsident etwa sagen, dass Arbeitslose ohne nennenswerte Gegenleistung in den 
Genuss finanzieller Transferleistungen kommen sollen, damit sie das Gefühl erhalten, 
"gebraucht" zu werden?

Der weitere Kontext seiner Rede vom Grundeinkommen schien eine solche Deutung 
durchaus zu stützen: "Wir erkennen", sagte Köhler, "dass es wohl eine Art 
Basisarbeitslosigkeit von vier bis fünf Prozent geben kann." Das Grundeinkommen wäre 
gleichsam das institutionalisierte Eingeständnis, dass die Gesellschaften der Gegenwart 
nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Jene, die leer ausgehen, verlieren 
durch Auszahlung eines Grundeinkommens nicht den Anspruch, "Teil der Gesellschaft" zu 
sein.

Angriff auf den Neoliberalismus

Der Bruch mit den vorherrschenden neoliberalen Prinzipien der Wirtschafts- und 
Sozialpolitik läge auf der Hand: Anders als das Arbeitslosengeld II etwa, das eine 
Überprüfung der Vermögens- und Einkommenslage des Betroffenen vorsieht und 
dementsprechend verweigert oder entzogen werden kann, ließe sich ein Grundeinkommen 
unabhängig von solchen Bedürftigkeitsprüfungen zahlen. Mehr noch, es könnte sogar einen 
Verzicht auf jene Zumutbarkeitskriterien nach sich ziehen, die darüber bestimmen, ob ein 
Arbeitsloser eine angebotene Stelle annehmen muss oder ohne nachteilige Konsequenzen 
ablehnen darf. Blickt man allerdings noch einmal genauer auf Köhlers Aussagen, zeigen 
sich schnell einige eklatante Unschärfen und Widersprüche. Denn Köhler verzichtet 
naturgemäß nicht auf die neoliberale Formel, nach der zum Fördern auch das Fordern 
gehört. Was aber soll von den Langzeitarbeitslosen gefordert werden, wenn doch 
eingeräumt wird, dass es eine vorerst unvermeidbare "Basisarbeitslosigkeit" gibt? Damit ist 
unmissverständlich gesagt, dass es keine "zumutbare" Arbeit für alle gibt.

Im Vagen bleibt auch, in welcher Form die durch ein Grundeinkommen versüßte 
Arbeitslosigkeit Zugehörigkeitsgefühle wecken soll. Die wirtschaftliche Sicherung des 
Existenzminimums ist eines, ein anderes aber die Schaffung von Bedingungen eines 
würdevollen Lebens. Wenn mit dem von Köhler anvisierten Grundeinkommen überhaupt 
eine Botschaft verbunden ist, dann doch wohl diese: Zwar werde ich auf dem regulären 
Arbeitsmarkt nicht gebraucht, aber man gewährt mir immerhin - und ohne Gegenleistungen? 
- die Mittel zum Überleben. Zumindest in Arbeitsgesellschaften sieht Würde anders aus.

Ein radikaler Vorschlag

Was sich aus Köhlers Vorschlägen gleichwohl lernen lässt, ist dies: Die Idee des 
Grundeinkommens scheint in ihren normativen und praktischen Implikationen den Rahmen 
neoliberaler Begrifflichkeiten zu sprengen, in den Köhler sie pressen will. Wie sie das tut, 
kann man nun dem von Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs verfassten Band Ein 
Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags entnehmen. 
Denn Vanderborght und Van Parijs lassen gar keinen Zweifel, worin genau die Radikalität 
ihres Vorschlags besteht.

Beim Grundeinkommen handelt es sich, so die Autoren, "um ein Einkommen, das von einem 
politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder individuell, ohne Bedürftigkeitsprüfung 
und ohne Gegenleistung ausgezahlt wird". Fast alle Elemente dieser Definition sind 
angesichts gegenwärtiger Diskurslagen radikal: So soll das Grundeinkommen an alle 
Mitglieder eines Gemeinwesens ausgezahlt werden, nicht nur an Arbeitslose oder gar 
"leistungsbereite" Arbeitslose.

Das Grundeinkommen soll ferner "individuell" ausgezahlt werden, was beispielsweise mit 
dem gegenwärtig in Geltung stehenden Prinzip der "Bedarfsgemeinschaft" bricht, das 
entgegen aller Rede von Eigenverantwortung Arbeitslose zwingt, die Einkommens- und 
Vermögenslage ihrer Partner und eventuell sogar ihrer Eltern offen zu legen, um die 
Berechtigung zum Erhalt des Arbeitslosengeldes II zu ermitteln.

Schließlich soll das Grundeinkommen nach Vanderborght und Van Parijs "ohne 
Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung" ausgezahlt werden und bricht damit mit tief 
sitzenden arbeitsethischen oder leistungsorientieren Prinzipien, wonach nur der Lohn 
verdient, der etwas "leistet", sowie mit dem gegenwärtig einflussreichen Mantra des 
Forderns, das den Empfang staatlicher Leistungen an die individuelle Bereitschaft der 
Leistungserbringung knüpft.

Keine Pflicht zur Rechtfertigung

Vanderborght und Van Parijs wissen, wie sehr ihr Vorschlag eines bedingungslosen 
Grundeinkommens provozieren muss, und unternehmen deswegen alles, um ihre Botschaft 
so nüchtern wie nur möglich zu verpacken. So werden etwa die starken und kontroversen 
gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen, mit denen insbesondere Van Parijs in anderen 
Büchern die Idee des Grundeinkommens begründet hat, zugunsten eines überblicksartigen 
Verfahrens zurückgedrängt, in dessen Rahmen die Befürworter und Gegner des 
Grundeinkommens gleichermaßen zu Wort kommen.


Man will, so heißt es gleich zu Anfang, "dem Leser eine solide Wissensbasis bieten, mit der 
er sich seine eigene Meinung bilden kann". Also erfährt man, in welcher Weise sich die Idee 
des Grundeinkommens von anderen sozialpolitischen Programmen unterscheidet 
(Bürgergeld, Mindesteinkommen, Negative Einkommensteuer). Man wird über die 
verschiedenen Finanzierungsmodalitäten informiert, man erhält einen Abriss der Geschichte 
der Idee und einen Ausblick auf die Umsetzungschancen in verschiedenen westlichen 
Demokratien.

Das alles ist tatsächlich hilfreich, um den Begriff des Grundeinkommens zu präzisieren und 
zeigt, dass der Begriff keinesfalls erst ins Spiel kommen muss, wenn man über den 
vermeintlichen Mangel an Arbeitsplätzen nachdenkt. Ein Grundeinkommen für alle? ist zwar 
normativ zurückhaltend, aber es wird deutlich, dass das Grundeinkommen letztlich das 
Recht auf einen "effektiven Zugang zu Gütern und Handlungschancen" eröffnen soll. Auch 
dieses Recht wird, falls umgesetzt, noch nicht aus sich heraus in der Lage sein, die 
Bedingungen eines würdevollen Lebens in allen Nuancen zu gewährleisten. Aber es könnte 
einige Voraussetzungen für ein solches Leben schaffen. So könnte es durchaus die Würde 
den Menschen stärken, eine unzumutbare Arbeit in dem Bewusstsein abzulehnen, danach 
nicht durch alle sozialen Netze zu fallen.

Yannick Vanderborght/ Philippe, Van Parijs:
Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. 
Übersetzt von Michael Tillmann. Campus, Frankfurt 2005, 167 Seiten, 14,90 Euro.



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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 17.01.2006 um 17:20:15 Uhr
Erscheinungsdatum 18.01.2006






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