[Debatte-Grundeinkommen] FR 12.1. : Grundvermoegen

Wolfgang Strengmann-Kuhn strengmann at t-online.de
Mi Jan 11 22:58:44 CET 2006


URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=785337

60.000 Euro für jeden 18-Jährigen
Eine "Sozialerbschaft" kann Bildungshunger wecken und die Selbständigkeit fördern / Von 
Gerd Grözinger, Michael Maschke und Claus Offe
Jeder Bürger soll zum Start ins Erwachsenenleben mit einem Kapital von 60.000 Euro vom 
Staat ausgestattet werden. Damit können junge Leute ihre Ausbildung finanzieren, ein 
Unternehmen oder eine Familie gründen. Mit dieser Idee stellen drei Wissenschaftler die 
bisherige Konstruktion des Wohlfahrtsstaats auf den Kopf.

Gute Chancen auf dem Jobmarkt (dpa)
+ Gute Chancen auf dem Jobmarkt (dpa)
Von dem Startkapital, das alle Bürger ab dem 18. Lebensjahr erhalten, könnten z. B. 
Ausbildungen finanziert, freiberufliche Tätigkeiten begonnen oder Wohneigentum erworben 
werden; es dient aber auch als vorrangige Absicherung gegen Einkommensarmut. Damit 
sind zahlreiche implizite Anknüpfungspunkte an gegenwärtig in Deutschland geführte 
Diskussionen, an die aktuellen Debatten über den Umbau des Sozialstaats, die 
Generationengerechtigkeit, die staatliche Fiskalsouveränität unter den Bedingungen der 
Globalisierung, die unzulängliche Kapitalversorgung mittelständischer Unternehmen, die 
Hochschul- und Studienfinanzierung sowie die viel geforderte Reform der Besteuerung von 
Erbschaften und Vermögen gegeben. (. . .)

Wir sehen eine Sozialerbschaft sicher nicht als das Allheilmittel für alle Schwierigkeiten des 
Sozialstaats an. So wird es weiter eine Kranken-, Pflege-, Alters- und auch 
Arbeitslosenversicherung geben müssen. Aber um den Elan der jüngeren Generation 
anzuspornen, um mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen und vor allem 
auch, um Staatsbürger zu am Gemeinwesen interessierte Teilhaber zu machen gibt es 
unserer Meinung nach nicht Besseres.

Die Stakeholder-Gesellschaft
	Bruce Ackerman und Anne Alstott, beide Professoren an der Yale-Universität, 
schlagen vor, allen Bürgern mit der Volljährigkeit ein Startkapital in Höhe von 80.000 US-
Dollar zu geben, zur weitgehend freien Verfügung.

Das Kapital soll ab 18 Jahren zinsträchtig angelegt und spätestens ab dem 21. Lebensjahr 
in vier Jahrestranchen den Anspruchsberechtigten ausgezahlt werden. Wer ein Studium 
oder eine Berufsausbildung davon finanziert, kann bereits früher darüber verfügen.

Diese Sozialerbschaft wird zuerst durch eine Vermögenssteuer finanziert, später, wenn die 
ersten Nutznießergenerationen selbst Erblasser geworden sind, durch eine prioritäre 
Erbschaftssteuer. ber
Natürlich ist der Vorschlag, allen jungen Erwachsenen ein nicht unerhebliches Vermögen 
zur Verfügung zu stellen, eine Zumutung für lang gehegte Überzeugungen. Darf man 
verdienten Älteren wirklich erhebliche Lasten auferlegen, um deren Erträge an Newcomer 
zum gesellschaftlichen Leistungssystem umzuverteilen? Wer bekommt das überhaupt? 
Stellen die damit auch keinen Unsinn an, so dass es nur zu einer gigantischen 
Verschwendung kommen würde?

Wir halten dagegen, dass eine solche Chance zu zahlreichen Aktivierungen gerade bei 
denen führt, die sich zurzeit als eher chancenlos empfinden. Dazu bedarf es aber einiger 
Voraussetzungen. Die erste ist, dass zwar alle ein Anrecht auf die Erträge "ihres" 
Vermögens haben, aber die Auszahlung des Kapitals selbst an einige Bedingungen 
geknüpft sein sollte. Die erste ist, dass - zumindest über eine längere Lebensphase zu 
Beginn - ein bestimmter Bildungsabschluss erreicht wurde (Abitur oder Lehre). Das stärkt 
zum einen die Rolle der Schule, die auf diesen Erbschaftsfall im Unterricht intensiv 
vorbereiten muss, zum anderen führt es zu einer Nachfrage nach solchen Abschlüssen 
seitens der Jugendlichen und deren Eltern. Das dürfte ganz nebenbei der Politik die stärkste 
Pro-Bildungs-Lobby bescheren, die man in Deutschland je gesehen hat.

Zweitens sind mehrere ausführliche Pflichtberatungen vorgesehen. Drittens gibt es eine 
Gewöhnungs- und Verzögerungsphase, wo zunächst zwar die Zinsen ausgezahlt werden, 
aber das Kapital in der Regel unantastbar bleibt, und auch danach wird nicht alles sofort, 
sondern nur in mehreren Jahren auf das individuelle Konto transferiert. Das trainiert das 
Umgehen mit dem eigenen Vermögen.

Gründer schaffen Arbeitsplätze

Viertens schließlich ist nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit, sondern auch eine 
längere Phase des Schulbesuchs in Deutschland nachzuweisen. Der Schule muss die 
tatsächliche Gelegenheit gegeben werden, früh und lange einzuwirken. Sowohl die 
aufgewertete Bedeutung eines formellen Bildungs- oder Ausbildungsabschlusses wie diese 
Bestimmung hätten wieder einen starken positiven Nebeneffekt. Denn vor allem die 
Integration der Migrantenkinder würde gestärkt. (...)

Die Autoren
	Gerd Grözinger leitet das Zentrum für Bildungsforschung an der Universität 
Flensburg.

Claus Offe gehört seiner Emeritierung im Frühjahr 2005 zum Professorium der Hertie School 
of Governance Berlin. Von 1975 bis 1988 war er Professor für Politikwissenschaft und 
Soziologie an der Universität Bielefeld, von 1988 bis 1995 Professor für Politikwissenschaft 
und Soziologie an der Universität Bremen. In Bremen war er Leiter der Abteilung "Theorie 
und Verfassung des Wohlfahrtstaates" am Zentrum für Sozialpolitik. Ab 1995 war er 
Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin.

Michael Maschke ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften, 
Lehrbereich politische Soziologie und Sozialpolitik an der Humboldt- Universität zu Berlin. 
Die Autoren haben im Auftrag der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie erarbeitet. 
Sie wird Ende des Jahres im Campus-Verlag erscheinen. Die hier in Auszügen 
dokumentierte Kurzfassung der Studie wurde jetzt in Berlin vorgestellt. Die komplette 
Kurzfassung ist im Internet zu finden unter: www.boell.de/arbeit ber
Nehmen wir als anderes Beispiel für die zahlreichen positiven Wirkungen einer 
Sozialerbschaft die Firmengründungen heraus. Eines der stärksten ökonomischen 
Argumente für ein breit gestreutes Anfangskapital für alle ist die Möglichkeit, sich damit 
schon in sehr jungen Jahren wirtschaftlich unabhängig machen zu können. Natürlich ist ein 
Schritt in die Selbstständigkeit immer auch mit allerhand Risiken verbunden. Aber 
Selbstständige scheinen im Durchschnitt trotz aller damit oft auch verbundenen Probleme 
ihre größeren Freiheiten, ihre stärkere Selbstbestimmung doch in der Summe sehr 
wertzuschätzen. So ist bei Untersuchungen ein eindeutig positiver Einfluss der 
wirtschaftlichen Selbstständigkeit auf das individuelle Wohlbefinden beobachtbar. Kein 
Wunder also, dass fast jeder zweite Deutsche am liebsten so arbeiten würde.

Eine höhere Selbstständigenquote hätte aber noch manche andere Vorteile, die auch Dritte 
betreffen. Das gilt vor allem für die Beschäftigungswirkung. Im Schnitt geht eine Gründung in 
Deutschland rechnerisch mit der Schaffung von drei Arbeitsplätzen einher. Und gerade in 
der neueren Zeit haben kleine Firmen eine bessere Arbeitsmarktbilanz als die große 
Konkurrenz. Während Großbetriebe ihre Beschäftigten abbauten, nahm dagegen der Anteil 
der Erwerbstätigen vor allem in der untersten Zählklasse der Unternehmen mit weniger als 
zehn Beschäftigten zu. Der Mittelstand in Deutschland insgesamt erzeugt zwar nur weniger 
als die Hälfte aller Umsätze. Aber er beschäftigt ungefähr zwei Drittel aller Arbeitnehmer und 
bildet mehr als vier Fünftel aller Lehrlinge aus.

Trotz mancher hilfreicher Aktivitäten der öffentlichen Hände bei einer geplanten Gründung 
war der Erfolg bisher aber noch nicht durchschlagend. Weder in der Landwirtschaft, noch in 
der Industrie, noch in den Dienstleistungen erreicht Deutschland die Selbstständigenquote 
der Europäischen Union bzw. ihrer langjährigen fünfzehn Mitglieder. Das sollte eine breit 
angelegte Sozialerbschaft ändern können.


Denn eine Geschäftsgründung ist weniger eine Frage des Charakters denn der Gelegenheit. 
Ökonomen sind der Frage, ob Selbstständigkeit eher ein Persönlichkeitsmerkmal darstellt 
oder eher günstigen Bedingungen geschuldet ist, einmal nachgegangen. Sie haben konkret 
untersucht, ob eine plötzliche Erbschaft eigentlich zu einem veränderten 
Gründungsverhalten führt. Das Ergebnis war sehr eindeutig: selbst nicht allzu hohe Beträge 
führten gleich zu einer erheblich größeren Wahrscheinlichkeit für den Schritt in die 
Selbstständigkeit. Das galt besonders für die Jüngeren, die sonst häufig am Mangel von 
Kapital oder Sicherheiten scheiterten. Es ist also sehr produktiv, für genau diese 
Altersgruppe die Chance für einen eigenen Start gesellschaftlich zu organisieren.

Mit einem Startkapital für alle lässt sich viel anzufangen. Eine eigene Geschäftsidee zu 
verfolgen und damit auch beizutragen, die Gründungsschwäche in Deutschland 
umzukehren, ist sicher eine davon. Sich früh auf Wohneigentum zu freuen, eine andere. 
Schon in jüngeren Jahren an Kinder zu denken, auch wenn das Einkommen in dieser Phase 
altersmäßig noch eher gering ist, eine dritte. Oder viertens auch, sich eine ordentliche 
Hochschul-Ausbildung leisten zu können, die der an amerikanischen Einrichtungen 
ebenbürtig wäre.

Dieses letzte Beispiel zeigt zugleich, wie die Gesellschaft insgesamt davon profitierte, indem 
ein häufig überfordert scheinender Staat dadurch entlastet werden könnte (ähnlich sicher 
auch in der Familienpolitik). Zwar ist sein langem klar, dass unsere Hochschulen 
unterfinanziert und unterdimensioniert sind. Deutschland fällt ökonomisch auch deshalb 
zurück, weil wir seit Jahrzehnten zu wenig hier investieren. Aber die Politik scheint nach wie 
vor nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen. Wenn jedoch in Zukunft eine höhere Ausbildung 
aus der Sozialerbschaft zu finanzieren ist, können die Hochschulen in eine finanzielle und 
organisatorische weitgehende Autonomie entlassen werden. Der Staat müsste nur noch 
Qualitätssicherung betreiben und sich um die (weiter gesamtgesellschaftlich zu 
verantwortende) Forschung kümmern. Ansonsten kann er getrost darauf setzen, dass sich 
die zahlungskräftige Nachfrage von Studierenden, die sich bessere Einkommenschancen, 
intellektuelle Anregung und ein interessanteres Tätigkeitsfeld später im Berufsleben 
erhoffen, ausreichende und finanziell ausreichend ausgestattete Studienplätze schafft.

Und die anderen? Eine sehr große (wenn auch mit den Jahren immer kleiner werdende) 
Gruppe ist von der Teilhabe ganz ausgeschlossen. Nämlich alle, die das "Pech" hatten, vor 
dem Stichtag der Einführung (z. B. dem 1. 1. 2007) schon Erwachsene gewesen zu sein. 
Ein solches Programm lässt sich nur finanzieren, wenn es einen recht harten Schnitt 
vorsieht und ältere Jahrgänge davon ausgeschlossen bleiben. Das erscheint auf den ersten 
Blick so ungerecht, dass man das ganze Vorhaben sofort verwerfen möchte. Aber schon ein 
zweiter Blick zeigt, dass sich ganz so dramatisch der Unterschied nicht darstellt, verlieren 
die mit Startkapital doch zugleich das Anrecht auf ein kostenloses Studium, auf Bafög-
Leistungen und eine Reihe weiterer jetzt gegebener staatlicher Transfers.

Das wichtigste Argument ist aber, dass von den Empfängern verlangt wird, dass sie ihren 
Anteil an die Gesellschaft wieder zurückzahlen, wenn sie selbst einmal etwas zu vererben 
haben. Dann wird von ihnen die (durch Zinsen bzw. Produktivitätsgewinne im Umfang 
angewachsene) Sozialerbschaft zurückgefordert, bevor sie anderen etwas vererben dürfen. 
Kumulativ werden so aus den 60 000 Euro über eine statistische Lebenserwartung von ca. 
weiteren sechzig Jahren schnell eine höhere sechsstellige Summe, die z.B. das damit 
einmal jung erworbene Haus wieder an die Gesellschaft zurückfallen lässt.

Ein neuer Generationenvertrag

Nun sind jedoch Rückzahlungsverpflichtungen beim (durchschnittlich erst im hohen Alter zu 
erwartenden) Ableben für junge Menschen etwas wenig Konkretes und dürften das Gefühl 
der Ungleichbehandlung für die vor dem Stichtag 18 gewordenen nur wenig mildern. Wir 
wollen deshalb alternativ noch eine andere Vorschlagsvariante vorstellen, wie dieser 
Ungleichbehandlung Rechnung getragen werden kann, ohne das Hauptziel - ein 
ausreichend dimensioniertes Startkapital bereitzustellen - wieder zu zerstören. Dazu könnte 
man für die Gruppe mit Startkapital lebenslang etwas höhere Steuersätze auf das 
Einkommen vorsehen. Dieser "Nachteil" der ansonsten so begünstigt Erscheinenden wird 
für die anderen sofort sichtbar, und der Ertrag daraus trägt auch rascher zur Refinanzierung 
bei. Nimmt man etwa an, dass auf die üblichen Einkommensteuersätze immer noch ein 
Aufschlag von z. B. zwei Prozent für die "Stakeholder" kommt, sehen alle, dass dadurch 
schon heute der Besserstellung beim Vermögen einer Schlechterstellung beim 
Nettoeinkommen entspricht. (...)

Eine Sozialerbschaft, die den Namen verdient, ist nicht billig zu haben. Wir haben einen 
Bedarf von 60 000 Euro berechnet, der somit in etwa auch den langfristigen 
Wechselkursdifferenzen entspricht.

Der Idee nach ist die Teilhabegesellschaft umlagefinanziert. Die neu auszuzahlenden 
Anteile werden durch die Rückzahlung der verzinsten Anteile nach dem Ableben früherer 
Teilhaber refinanziert. Diese Rückzahlung der Anteile an den Fonds hat Vorrang vor 
Erbschaften an Familienmitglieder. So wird ein Teil des volkswirtschaftlichen Vermögens 
zwischen den Generationen kollektiv und kohortenbezogen weitergegeben, statt bisher 
ausschließlich individuell und familienbezogen.

Leider hat diese langfristige Refinanzierung der Teilhabegesellschaft durch die Rückzahlung 
der früheren Teilhaber an ihrem Lebensende die Schwierigkeit, dass zwischen den ersten 
Auszahlungen und den ersten Rückzahlungen eine zeitliche Lücke von rund 50 Jahren liegt. 
Auf Grund dieser zeitlichen Verzögerung werden allerdings in den ersten Jahrzehnten 
andere Finanzierungsquellen notwendig sein, die nahezu das gesamte 
Finanzierungsvolumen der Teilhabegesellschaft abdecken müssen. Aber schon nach 
wenigen Jahren wird auf Grund der Einsparungen bei anderen sozialen Maßnahmen und 
durch die demografische Entwicklung die Finanzierung einfacher werden. Allein letztere wird 
den Finanzierungsbedarf im Laufe der nächsten 15 Jahre um ein Viertel senken. Die 
schwierigste Finanzierungssituation wird daher am Anfang des Projektes stehen. Die beiden 
zu klärenden Fragen lauten folglich, wie hoch wird der finanzielle Bedarf der 
Teilhabegesellschaft bei ihrer Einführung sein und wie lässt sich der schwierige Start 
finanzieren? (. . .)



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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 11.01.2006 um 16:16:07 Uhr
Erscheinungsdatum 12.01.2006






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