[Debatte-Grundeinkommen] Zehn Thesen / Erwiderung zu Beitrag Klaus Jäger

Florian Hoffmann florian.hoffmann at intereasy.de
Mi Aug 30 10:37:40 CEST 2006


Lieber Klaus Jäger,

das mit der Variabilität hast Du falsch verstanden. Das BGE würde in dem
Maße variabel, wie die Steuereinnahmen des Staates schwanken, also im
Prinzip immer nach oben, aber manchmal auch gebremst oder mal 1 % minus.
Damit wären schon alle Extreme erfaßt. Die von Dir geforderte
Planungsicherheit wäre also gegeben.

Was Deiner Forderung nach Orientierung der BGE-Höhe am Finanzbedarf angeht,
muß ich Dir leider widersprechen. Das ist ja die Diskussion, die die ganze
Zeit schon geführt wird und die zu keinem Ende führen kann. Dazu zwei
Argumente:

1. Jedermann hat einen Haushalt, d. h. einen Finanzhaushalt und muß
Einnahmen mit Ausgaben zur Deckung bringen. Ganz vielen Leuten gelingt das
ganz gut. Manchen weniger gut. Meine Bedüfnisse sind auch immer 120 % von
meinem Einkommen, d. h. jeder muß sich nach seiner Decke strecken.
Haushalten ist jedermanns Sache und Bestandteil einer Marktwirtschaft. Die
in den Finanzhaushalten der Bürger (und des Staates für den Staatshaushalt)
geforderte Intelligenz ist eine maßgebliche Ursache für die Effizienz der
Marktwirtschaft; es ist die Intelligenz des Verbrauchers. 160 Millionen
Augen sehen mehr!

Welchen Finanzbedarf willst Du bei dieser Vielfalt zugrunde legen? Ist es
nicht vielmehr so, dass ich erst Geld einnehme und dann anfange zu rechnen,
was ich mir davon leisten kann?

2. Welchen Haushalt willst Du als Haushalt für die Menschenrechte zugrunde
legen? Den in Berlin oder den im Thüringer Wald, den in Moskau oder den in
Sibirien, den in Afghanistan oder den in Dubai, den des 4-Kinder-Haushalts,
oder den Single-Haushalt, ..... Ich meine, das Scheitern der Beantwortung
dieser Fragen ist unausweichlich. Finanzbedarfsrechnungen für andere gehen
nicht. Man kann nur den eigenen Haushalt berechnen. Und das fordert schon
Intelligenz genug.

Deshalb: Laß uns einen Anteil an den staatlichen Steuereinnahmen nehmen und
als BGE auschütten. Erst wenig, dann sukzessive mehr - je nach politischer
Verträglichkeit. Mit dem Geld müssen wir dann eben zurecht kommen.

Und: Es wird doch erst mal gar nichts weggenommen, das BGE kommt doch oben
drauf!!!

Was den sozialen Kontext angeht, so wäre ich für eine langesame Einführung
mit wissenschaftlicher Begleitung: d. h. feststellen, wie die Leute
reagieren und mit dieser Erkenntnis im politischen Raum operieren. Ex ante
bringt nicht viel. Wir Menschen werden nur aus Erfahrung klug. Oder?

Tschüss zurück!
Florian Hoffmann



  -----Ursprüngliche Nachricht-----
  Von: Klaus Jaeger [mailto:jaeger.moers at t-online.de]
  Gesendet: Dienstag, 29. August 2006 18:50
  An: Florian Hoffmann
  Cc: Debatte Grundeinkommen
  Betreff: Debatte-grundeinkommen / Zehn Thesen / Vorschlag zur Höhe des BGE
gemessen an den Menschenrechten


  Lieber Florian Hoffmann,



  es ist erfreulich, einen neuen Ansatz in der Debatte zu finden.



  Sie schreiben unter Punkt 5:

  > 5. Eine Definition als Sozial-Dividende würde deren Höhe variabel
  > werden lassen, und zwar nach der gesamtwirtschaftlichen Leistung, bzw.
  > nach den Steuereinnahmen. Hohe Steuereinnahmen führen zu einer hohen
  > Ausschüttung, bei sinkenden Einnahmen gehen die Ausschüttungen zurück.



  Ich frage: wie sieht es denn dann mit der Planungssicherheit der Empfänger
des BGE aus? Wenn die Höhe des Einkommens variabel ist - und auch abhängig
von Faktoren, auf die Individuen oder Familien keinen Einfluß haben - dann
haben die Empfänger gegebenenfalls - in einem "worst case" Szenario - NULL
Einkommen als BGE.

  Wie können sie, die Empfänger, dann Planungen hinsichtlich ihrer
Lebensführung vornehmen? Zumal nicht wenige erwerbslos sein werden.



  Ich schlage vor, die HÖHE des BGE an einem Finanzbedarf auszurichten, der
sich an der Realisierung aller Menschenrechte, die für eine finanzielle
Erfassung in Frage kommen, zu orientieren.



  Das ist selbstverständlich eine ziemlich diffizile Arbeit. Man muss sich
nicht nur die Mietpreise, die Kosten für Strom, Telefon, Müll und so weiter
anschauen, sondern auch:  was kosten Busfahrscheine?
Vereinsmitgliedschaften, Bibliotheksausweise, oder Fortbildungen?  usw. usf.
Diese Liste ist sicher unvollständig.



  Ich bitte also um Beantwortung meiner Fragen und ggf. eine
Meinungsäußerung zu dem von mir vorgeschlagenen Prozedere der Berechnung der
erforderlichen Höhe des BGE.



  Mit einem freundlichen Tschüss! Klaus Jäger








  Ich möchte anregen, die Diskussion ganzheitlich zu führen, also unter
Berücksichtigung aller Aspekte sozialen Lebens, die ein Grundeinkommen, -
bedingungslos oder nicht -  berührt:

  Finanzierung, Höhe, Verteilung, Bedingungen oder nicht, usw.

  Die Frage des Grundeinkommens - aus philosophischer und
sozialwissenschaftlicher Sicht - berührt sowohl individuelle Leben als auch
das Leben der Gesellschaft als ganzer. Deshalb ist es richtig, die
Diskussion ganzheitlich zu führen.

  Das bedeutet, das BGE nicht isoliert, als Spezialfall zu behandeln,
sondern das Problem der Teilhabemöglichkeiten am Leben in der Gesellschaft
im sozialen Kontext zu behandeln. Es stellt sich doch bei der Frage der
Finanzierbarkeit sofort die (nicht gerade neue, aber trotzdem aktuelle)
Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit.





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