[Debatte-Grundeinkommen] WG: [Fwd: Grundeinkommen - Finanzierung] - Kritik an der Ignoranz gegenüber dem Modell einer "Grundeinkommensversicherung"

Michael Opielka michael.opielka at isoe.org
Fr Sep 23 20:33:57 CEST 2005


Liebe Freunde, 

 

das ist wirklich ein interessantes Papier, das doch über einige Mythen in der Grundeinkommens-Debatte erhellende Aufklärung verspricht.

 

Allerdings bleibt bei Ingmar Kumpmann, wie fast immer bei Ökonomen (Achtung: hier spricht der Soziologe), alles Nicht-metrisierbare, scheinbar oder wirklich nicht quantitativ Messbare zugleich im Dunkel der Willkür. Im Abschnitt (2.) über die Höhe des Grundeinkommens wird behauptet, als ob jede „Warenkorb“-Festsetzung mit „Willkür“ behaftet sei, was dann allerdings auch für relative Armutsgrenzen zugestanden wird. Demgegenüber habe die von Philippe van Parijs entlehnte Formulierung eines „möglichst hohen“ Grundeinkommens den Vorzug, dass damit „eine Bezugnahme auf den schwer definierbaren Begriff der ‚gesellschaftlichen Teilhabe’ entbehrlich wird.“ (S. 4). Dieses Argument ist welt- oder zumindest politikfern. Denn selbstverständlich müssen öffentliche Diskurse um das „Möglichst Hoch“ stets unter Bezug auf irgendetwas, praktisch auf politisch-kulturelle Elemente geführt werden. Sowohl der qualitative Zugang eines Warenkorbes wie der quantitative Zugang relativer Einkommenshöhen wird nötig sein. 

 

Als Ökonom möchte man (in seltenen Fällen: frau) die Welt kontrollieren und also auch die Grundeinkommensdiskussion, indem die Finanzierung eines Grundeinkommens zur „zentralen Frage“ (S. 4) erklärt. Aber vielleicht sind vor der Finanzierung eben erst einmal politische und kulturelle (normative, ethische) Fragen zu klären? (Diese zweite Spitze gegen „die“ Ökonomen hat natürlich eine Funktion: nämlich to extend the perspectives beyond the economy). Das darf einen nicht von ökonomischen Klärungen abhalten. Während der Text überwiegend glänzend formuliert und gedankenreich da steht, wundert man sich doch über einige Unsauberkeiten: so wird auf S. 7 behauptet, dass das Sozialdividenden-Konzept der BAG-SHI mit einer Anhebung der Abgabenbelastung von heute durchschnittlich 34 auf dann 67 Prozent verbunden sei. Das ist aber insoweit schlicht falsch, als in der heutigen Abgabenbelastung bereits ein Großteil der Netto-Zahlbeträge enthalten ist, die auch künftig als Grundeinkommen ausgeschüttet würden. Die „Kosten“ selbst des BAG-SHI-Modells wären also geringer - wenngleich immer noch unrealistisch und das Modell bleibt, darin hat Kumpmann recht, ignorant gegenüber den Allokationseffekten des Arbeitsmarktes.

 

Der dann im Weiteren entfaltete Gedanke, dass ein Grundeinkommen - im Sinne auch des „Netzwerk Grundeinkommen“ - zugleich ein möglichst hohes Niveau haben und die - von Liberalen stets in den Mittelpunkt gerückte (so im Bürgergeld-Modell der FDP) - Arbeitsanreizwirkung für untere Einkommensgruppen ökonomisch (aber wohl auch politisch-kulturell) keineswegs so wichtig erscheint, ist vollkommen richtig. Vollkommen falsch und ignorant wird jedoch das Modell der „Grundeinkommensversicherung“ vorgestellt. (Immerhin wird es vorgestellt. Im soeben erschienen Buch „Ein Grundeinkommen für alle?“ von Yannick Vanderborght und Philippe van Parijs wird es nicht einmal erwähnt.) Für Kumpmann spricht Folgendes gegen eine Grundeinkommensversicherung und das darin enthaltene Element einer „Grundsicherung“ als „Bafög für alle“:

 

1.       Entscheidend sei dann, „in welcher Lebensphase eine Person Nettoempfänger eines Grundeinkommens ist (...) Wer dagegen nach seinem Erwerbsleben Grundeinkommensbezieher wird, der nimmt die Schulden mit ins Grab.“ Das ist in dieser Form falsch. Weder das Kindergeld (unter 18) noch die Grundrente (ab 67) enthält Darlehenselemente. Was in Kumpmanns Kritik vor allem übersehen wird, ist die Integration der „Grundsicherung“ in eine umfassende „Grundeinkommensversicherung“, die sämtliche bisherigen Einkommenssicherungen auf eine Pauschalzahlung umstellt, ohne Einkommensanrechnung, mit zwei Ausnahmen: das bisherige Bafög und eben die „Grundsicherung“ für diejenigen, die sich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen wollen, obwohl sie keine Gesundheits-, Kleinkind- oder sonstige Gründe haben. Das ist ein Kompromiss, ein „Abholen“ der Bevölkerung im moralischen Status Quo! Der Begriff „Arbeitsunwillige“ führt dabei in die Irre, da alle Bürger den Grundeinkommensanspruch erwerben.

2.       Die Behauptung, mit einer solchen Lösung würde die „Idee“ des Grundeinkommens als „möglichst einfache und umfassende“ Existenzsicherung zunichte, halte ich für beliebig. Im Übergangsbereich von Netto-Grundeinkommensbezug zu Netto-Steuer-/Abgabenbelastung ist jedes (!) Modell komplex. Das gilt auch für die vermeintlich eleganten Negativsteuermodelle, wie man gut am FDP-Bürgergeld-Modell erkennen kann. 

3.       Das letzte Argument gegen die Grundeinkommensversicherung - „völlig kontraproduktiv“ - ist bei Kumpmann, dass bei einer Teil-Darlehenslösung der „Arbeitsunwillige“ bei Rückkehr ins Erwerbsleben „als erstes“ seine Grundeinkommensschulden zurückzahlen müsse: „Er wird für seine Arbeitsunwilligkeit genau in dem Moment bestraft, wenn er wieder arbeiten will.“ Das ist eine ganz abstrakte Modell-Betrachtung der Welt. Wie beim heutigen Bafög würde es bei dieser Lösung natürlich Darlehensrückzahlungen geben, die langfristig gestreckt sind und „als erstes“ das frisch erworbene Erwerbseinkommen verzehren.

 

Insgesamt verwundert an dieser Kritik die merkwürdig unökonomische Denkweise dort, wo klassisches mikroökonomisches Kalkül erwartet werden dürfte: Auch in einer Grundeinkommenswelt müssen die Menschen - als Wirtschaftssubjekte - rational und durchaus egoistisch handeln und - als politische Subjekte - möglichst universalistisch, also mit einer transegoistischen Rationalität. Es mag ja sein, dass die Idee einer Teil-Darlehenslösung Schwächen hat, welche Idee hat das nicht. Aber man sollte sie schon komplett zur Kenntnis nehmen. 

 

Im Übrigen wirkt das Modell der Grundeinkommensversicherung (GEV) faktisch recht ähnlich wie die Modelle, die Kumpmann vorzuschweben scheinen. Das kann man ganz gut an einer Tabelle erkennen, die die Grundsicherung der GEV im Verhältnis zu Erwerbseinkommen darstellt:

 

Tabelle 2:                    Kombination von Grundsicherung und Erwerbseinkommen


Erwerbseinkommen (inkl. bisheriger AG-Anteil)

0 €

100 €

200 €

400 €

640 €

800 €

1.000 €

1.200 €


GE-Zuschuss

340 €

290 €

240 €

155 €

66 €

0 €

0 €

0 €


GE-Darlehen

340 €

290 €

240 €

155 €

66 €

0 €

0 €

0 €


GEV-Beitrag (17,5% bzw. Mindestbeitrag 40 Euro)

40 €

40 €

40 €

70 €

112 €

140 €

175 €

210 €


verfügbares Einkommen

640 €

640 €

640 €

640 €

660 €

660 €

825 €

990 €


Beitrag Sozialversicherung bisher (27,5%, ohne GKV, ohne Berücksichtigung Mini- und Midi-Jobs)

0 €

27 €

55 €

110 €

176 €

220 €

275 €

330 €


verfügbares Einkommen bisher 
(ohne EK-Steuer und GKV-Beitrag, ohne ALG II bzw. Sozialgeld)

0 €

72 €

145 €

290 €

464 €

580 €

725 €

870 €

Quelle: Michael Opielka, Die Idee einer Grundeinkommensversicherung. Analytische und politische Erträge eines erweiterten Konzepts der Bürgerversicherung, in: Strengmann-Kuhn, Wolfgang (Hrsg.), Das Prinzip Bürgerversicherung. Die Zukunft im Sozialstaat, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 127

 

 

Die Idee der Grundeinkommensversicherung kontextuiert jedoch die Diskussion um das Grundeinkommen, sie verhindert das, was stets geschieht: die liberale und linksradikale Ausblendung der sozialstaatlichen Absicherung aller BürgerInnen aus der Absicherung des Minimums - genauso wie die sozialdemokratisch-paternalistisch-konservative Perspektive aus dem Zentrum auf eine Grundeinkommensperipherie, bei der man „Aktivierung“ glorifiziert und das Problem sozialer Kontrolle schlicht wegwischt.

 

In diesem Sinne hat mich der Beitrag von Ingmar Kumpmann als Einstieg in eine Diskussion sehr gefreut, die zumindest beginnt, auch andere Denkansätze zur Kenntnis zu nehmen. Anbei noch ein kleiner Text zur GE-Finanzierung, der Ende 2004 im „Leviathan“ erschien.

 

Schöne Grüße

Michael

 

 

prof. dr. michael opielka

institut für sozialökologie (isö)

pützbungert 21

d - 53639 königswinter

tel +49(0)2244-871659

fax +49(0)2244-871664

michael.opielka at isoe.org

www.isoe.org

  _____  

Von: Katrin Mohr [mailto:kmohr at gwdg.de] 
Gesendet: Freitag, 23. September 2005 17:55
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de; Michael Opielka
Betreff: [Fwd: Grundeinkommen - Finanzierung]

 

Anbei ein sehr interessantes Papier von Ingmar Kumpmann, Volkswirt an der Uni Göttingen und Mitglied im Netzwerk Grundeinkommen, zur Finanzierung eines GE, das am Freitag, 30.09. beim nächsten Treffen der Berliner Initiative für ein Grundeinkommen (18h im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a) diskutiert wird.

Beste Grüße,
Katrin

-------- Original Message -------- 


 

 


 

 


 

 


 

 


 

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

 
nächste Woche (Freitag 30.09., 18 Uhr, im Mehringhof) möchte ich in der
Initiative Grundeinkommen ein einführendes Referat zur Finanzierung des
Grundeinkommens halten. Einen Text, den ich dazu geschrieben habe, schicke
ich als Anhang mit.
 
Ich möchte am Freitag auf die Finanzierungsmodelle der KAB Aachen, der
BAG-SHI und von Pelzer/Fischer eingehen. Für alle, die Lust haben, dazu
schonmal was zu lesen, hier Links zu Texten, in denen diese drei Modelle
vorgestellt
werden:
 
http://www.kirche-im-bistum-aachen.de/kiba/opencms/traeger/0/kab-dioezesan-verband-aachen/Kampagnen/index1.html
 
http://www.archiv-grundeinkommen.de/otto/otto.pdf
 
http://www.archiv-grundeinkommen.de/pelzer/pelzer.pdf
http://www.archiv-grundeinkommen.de/pelzer/pelzer-fischer-2004.pdf
 
 
Viele Grüße
Ingmar





-- 
Katrin Mohr (Dipl. Soz.)
Doktorandin am Graduiertenkolleg
„Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells“
Universität Göttingen
kmohr at gwdg.de
http://www.uni-goettingen.de/de/sh/3567.html
 
Adalbertstr. 20
10997 Berlin
Tel.: +49/(0)30/616 52 633 
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Dateiname   : Opielka, Was kostet ein Grundeinkommen, Leviathan 4-2004.pdf
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