[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 8, Eintrag 16; wie recht Herr Schumacher hat!!
Werner Schumacher
schumacher.marburg at freenet.de
Do Nov 24 12:34:58 CET 2005
Lieber Herr Hoffmann,
>Ich habe jahrelang beobachtet, wie sozialdemokratische Politik der 70-er
>Jahre den Staat mit Sozialeinrichtungen aufgebläht hat und damit dem
>Bruttosozialprodukt wunderbare Wachstumsraten beschert wurden. Gleichzeitig
>wurden systematisch familiäre Bindungen zerrissen und bisher kostenlose
>Leistungen abgeschafft.
>
>Das Ergebnis war symptomatisch - und ist es auch für die heutige Zeit:
>Das Bruttosozialprodukt stieg - und die Not auch!
>
Ich kann gut verstehen, wie Sie zu Ihrer Einschätzung kommen, möchte
aber, was Ihren letzten Satz angeht, einen Einwand vorbringen. Sie
schreiben: "Die Not stieg auch!" - Nein, das tat sie nicht, und sie
steigt bis heute nicht.
Ich selber stehe der ganzen sozial- wie christdemokratischen Politik
sehr skeptisch gegenüber, stelle aber mit aller notwendigen Nüchternheit
fest, dass die gegenwärtige Schuldenkrise auch verursacht wurde durch
die Kosten, die es macht, wenn man Demokratie machen möchte. Wie in
allen anderen westeuropäischen Ländern auch war die Demokratie keine
Sache der Wahl, sondern nach den traumatischen Erfahrungen von zwei
Weltkriegen einfach unausweichlich. Aber diese Unausweichlichkeit musste
erkauft werden, sie brauchte Akzeptanz, und kein signifikanter Teil der
Bevölkerung wurde schlecht bedient. Im Gegenteil. Nur wenigen sind die
Schulen, die Lehrmittel, die Krankenhäuser und Altenheime, die ganze
sozialpädagogische Fürsorglichkeit der Jugendämter, die Förderung der
Kultur, die Ausbildungsförderung, das Kindergeld und dergleichen
wirklich schlecht bekommen.
Unser gegenwärtiges Problem ist, scheint mir, dass wir uns immer noch
gut bedienen lassen möchten. Es ist nicht unsere Not, die steigt,
sondern die Einrichtung eines bequemen Lebens, das zunehmend Symptome
der Wohlstandsverwahrlosung zeitigt, steigert die Erwartung, es möge
sich doch jemand vernünftig um uns kümmern.
Mit einem Grundeinkommen wird all das obsolet werden. Niemand wird sich
mehr um dich kümmern. Du wirst jeden Monat, Tag für Tag, ein Leben lang
satt und sauber sein können. Um alles andere muss man sich dann selbst
kümmern.
Die sozial- wie christdemokratische Politik der Vergangenheit war
begrenzt durch einen vulgären Sozialmaterialismus, der meinte, mit Geld
ließen sich alle Probleme lösen. Aber erst wenn es ein Grundeinkommen
geben wird, wird man begreifen, dass die wichtigsten Probleme der
Gesellschaft mit Geld nicht zu lösen sind.
Das schwierige an unserer gegenwärtigen Situation ist, dass wir soziale
Probleme zu lösen haben und dies nicht, weil es uns schlecht geht,
sondern, obwohl es uns sehr gut geht. Und schlimmsten Fall geht es uns
viel zu gut.
An dieser Paradoxie scheitert die Gesellschaft zur Zeit, was die
Verbreitung eines Grundeinkommens in der Bevölkerung sehr, sehr schwer
macht.
Im Prinzip aber haben Sie mit Ihrer Einschätzung des Zustandekommens
eines höchst verzerrten BIP natürlich völlig recht. Richtig wäre es dann
aber auch, dass unser reales BIP zig mal höher ist als es gegenwärtig
berechnet werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schumacher
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