[Debatte-Grundeinkommen] Wg: [freiwirte] Arbeit für Alle?
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Di Dez 6 12:30:56 CET 2005
Hallo Listis,
hier eine interessante Weiterleitung aus einer anderen Mailingliste!
Ciao Peter Scharl
| ----- Ursprüngliche Nachricht -----
| Von: musil at onlinehome.de
| Gesendet am: Dienstag, 06. Dezember 2005 08:55
| An: freiwirte at kbx7.de (Geldreform im Sinne Silvio Gesells)
| Betreff: [freiwirte] Arbeit für Alle?
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| "Langfristig wird die Arbeit verschwinden"
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| US-Ökonom Jeremy Rifkin: Deutschland führt Scheindiskussion
|
| Stuttgart - Es gibt kein größeres Problem in Deutschland und Europa als die
| Massenarbeitslosigkeit. Politiker aller Parteien versprechen Abhilfe, doch
| die Zahl der Menschen ohne Beschäftigung nimmt seit Jahren immer nur zu. Wo
| soll das enden? Der US-Professor Jeremy Rifkin befasst sich seit Jahrzehnten
| mit dieser Frage und ist gesuchter Ratgeber von Regierungen und Konzernen.
| Sönke Iwersen fragte ihn nach der Zukunft der Arbeit.
|
| Herr Rifkin, eines Ihrer Bücher heißt: "Das Ende der Arbeit". Das meinen Sie
| doch nicht wörtlich, oder?
|
| Allerdings meinte ich das wörtlich. Als ich dieses Buch
| 1995 schrieb, waren weltweit 800 Millionen Menschen arbeitslos oder
| unterbeschäftigt. 2001 waren es schon mehr als eine Milliarde. Die
| Entwicklung ist eindeutig.
|
| Aber es gibt doch Gewinner. In Europa gilt England als Vorbild. China wächst
| in irrem Tempo. Und in Ihrem Land läuft es auch gut. Die amerikanische
| Arbeitslosenquote ist doch traumhaft niedrig.
|
| Das können Sie alles vergessen. Unsere Quote ist niedriger als Ihre, das
| stimmt. Aber zu welchem Preis? Das schmutzige Geheimnis hinter dem
| US-Wirtschaftsboom in den 90er Jahren ist die wahnsinnige Verschuldung der
| privaten Haushalte. Die Verbraucherkredite haben jedes Jahr um neun Prozent
| zugenommen. Die Mehrzahl der Amerikaner hat heute nicht mal 1000 Dollar an
| Rücklagen. 2005 wird die Zahl der Privatinsolvenzen die Zahl der
| Ehescheidungen übertreffen.
|
| Wenn die USA nicht als Vorbild taugen, dann aber England? Dort gibt es so
| wenig Arbeitslose wie seit 30 Jahren nicht mehr.
|
| England ist dasselbe in grün. Der durchschnittliche Engländer gibt heute 120
| bis 130 Prozent seines Jahreseinkommens aus. Das ist Wirtschaftswachstum per
| Kreditkarte.
|
| Bleibt China. Keine Wirtschaft wächst so stark wie die der Chinesen.
|
| China ist faszinierend, ja. Aber schauen Sie mal genau hin. In den letzten
| sieben Jahren sind 15 Prozent aller chinesischen Jobs verschwunden. Auch der
| chinesische Boom kann an der Wahrheit nichts ändern.
|
| Welche Wahrheit meinen Sie?
|
| Die Wahrheit über die Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung. Langfristig wird
| die Arbeit verschwinden.
|
| Warum?
|
| Schauen Sie in die Vergangenheit. Zehntausend Jahre haben sich Menschen
| andere Menschen als Sklaven gehalten. Nun reden wir uns gern ein, dass die
| Sklaverei abgeschafft wurde, weil wir so human geworden sind. Aber die
| Wahrheit ist: Durch die industrielle Revolution ist die Sklaverei
| überflüssig geworden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt war es billiger, den
| Ofen eines Kohleofens zu füllen, als den Mund eines Sklaven.
|
| Und da sehen Sie Parallelen zu heute?
|
| Wir sind mitten in einer Umwälzung, die die industrielle Revolution noch
| übertrifft. Durch die ersten Mechanisierungsschübe verloren Millionen von
| Menschen ihre Jobs und wanderten vom Land in die Städte, um dort mit den
| Maschinen zusammen zu arbeiten. Aber die Computer und Informationstechnik
| von heute machen immer mehr Menschen ganz überflüssig. Selbst die billigste
| menschliche Arbeitskraft ist teurer als die Maschine.
|
| Aber entstehen durch die neue Technik nicht auch neue Arbeitsplätze?
|
| Das ist die Hoffnung, an die wir uns seit Jahrzehnten geklammert haben. Die
| kapitalistische Logik sagt, dass technologischer Fortschritt und gesteigerte
| Produktivität alte Jobs vernichtet, dafür aber mindestens genauso viele
| schaffen. Aber die Zeiten sind vorbei.
|
| Sind Sie da sicher?
|
| Ganz sicher. Sehen Sie, ich verdiene einen Teil meines Einkommens damit, die
| Chefs großer Konzerne zu beraten. Wenn ich die frage, ob sie in Zukunft noch
| Zehntausende von Mitarbeiter haben werden, dann lachen die laut los. Die
| Wirtschaftsführer wissen längst, wo die Reise hingeht.
|
| Wohin geht sie denn?
|
| Wir vollziehen gerade einen Wandel hin zu einem Markt, der zum allergrößten
| Teil ohne menschliche Arbeitskraft funktioniert.
| Bis 2010 werden nur noch zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung in
| Fabriken gebraucht. Bis 2020 werden es weltweit nur noch zwei Prozent sein.
|
| Das klingt unglaublich.
|
| Nicht unglaublicher, als was wir schon erlebt haben.
| Von 1982 bis 2002 stieg die amerikanische Stahlproduktion von 75 auf 102
| Millionen Tonnen. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der Stahlarbeiter von
| 289.000 auf 74.000 ab. In den 20 größten Volkswirtschaften der Erde sind
| zwischen 1995 und 2002 mehr als 30 Millionen Arbeitsplätze abgebaut worden.
| Wohin sie schauen, dasselbe Bild: Die Produktion steigt, die Produktivität
| steigt, aber die Arbeitsplätze nehmen ab.
|
| Aber was ist mit Service, mit Dienstleistungen, mit hochqualifizierten Jobs?
|
| Die haben längst dasselbe Problem. Die amerikanische Telefongesellschaft
| Sprint ist seit Jahren dabei, menschliche Vermittler durch
| Spracherkennungsprogramme zu ersetzen. 2002 sprang die Produktivitätsrate
| bei Sprint um 15 Prozent nach oben, der Gewinn stieg um 4,3 Prozent, und
| 11.500 Jobs wurden abgebaut. Die Net-Bank in Australien hat 2,4 Milliarden
| Dollar Einlagen. Eine herkömmliche Bank dieser Größe hätte um die 2000
| Angestellte. Aber die Net-Bank benötigt nur 180 Mitarbeiter.
|
| Wie kann so etwas funktionieren?
| Dank Internet, Satellitentechnik und Breitbandleitungen kann die Information
| heute praktisch mit Lichtgeschwindigkeit um den Globus rasen. Es gibt da
| eine nette Formulierung von Paul Saffo vom Institute für die Zukunft in
| Kalifornien. Er sagt, dass sich das Geschäft in den 80ern darum drehte, dass
| Menschen mit Menschen reden.
|
| Jetzt geht es um Maschinen, die mit Maschinen reden. Der Mensch wird
| überflüssig.
|
| Sie beraten doch Regierungen. Was sagen Politiker eigentlich, wenn Sie denen
| von Ihren Thesen erzählen?
|
| Mit den Politikern ist das so eine Sache. Im Jahr 2000 haben sie die
| Europäischen Regierungschef getroffen und beschlossen, Europa bis 2010 zum
| leistungsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Und was ist
| geschehen? Nicht viel.
|
| Und das liegt daran, dass die Politiker ihnen nicht zugehört haben?
|
| Es liegt daran, dass viele Politiker Europa lieber als Sündenbock
| missbrauchen, anstatt sich dem Grundproblem zu stellen: Die Arbeit
| verschwindet. Das will kein Politiker seinen Wählern erzählen.
| Statt dessen betet man immer wieder dieselben drei Pseudotheorien herunter.
|
| Drei Pseudotheorien?
|
| Immer dieselben drei, ja. Erstens: Wir verlieren in unserem Land Jobs, weil
| die bösen Unternehmer Stellen ins Ausland verlagern. Zweitens: Wir haben
| genug Jobs, die Leute sind nur nicht richtig ausgebildet. Und drittens: Wir
| haben zu wenig Jobs, weil die Sozialabgaben zu teuer sind. Alle drei
| Argumente sind absurd.
|
| Wissen Sie, dass genau diese Argumente gerade in Deutschland diskutiert
| werden?
|
| Natürlich weiß ich das. Ihre Regierung hat mich ja gerade erst wieder zu
| einem Vortrag eingeladen. Aber der Reihe nach.
| Erstens: Die Zahl der Jobs die in Deutschland verschwinden weil sie zum
| Beispiel nach Osteuropa oder China verlagert wird, ist verschwindend gering.
| Sie macht gerade mal ein Prozent der abgebauten Stellen aus. Der wirkliche
| Jobkiller ist der technologische Fortschritt. Aber davon hören Sie von den
| Politikern kein Wort. Maschinen machen sich als Buhmann eben schlechter als
| Chinesen oder Polen.
|
| Was ist das zweite Pseudoargument?
|
| Das ist auch so eins für die Wahlreden: Wir müssen die Leute nur richtig
| ausbilden oder weiterbilden und schon ist das Beschäftigungsproblem gelöst.
| Nehmen wir mal an, man könnte tatsächlich alle fünf Millionen Arbeitslosen
| in Deutschland so fortbilden, wie sich die Politiker das vorstellen. Was
| wäre denn dann? Es gebe immer noch nicht genug Jobs. Die Zeiten der
| Massenarbeit ist vorbei. Wir werden nie wieder Tausende von Leuten sehen,
| die aus den Fabriktoren strömen. In Zukunft wird Arbeit etwas für die Eliten
| sein. Für besondere Aufgaben wird man immer noch die Top-Ärzte, Top-Anwälte
| oder Top-Designer brauchen. Aber Durchschnittsqualität kann ein Computer
| oder ein Roboter billiger liefern.
|
| Wo liegt der dritte Fehler?
|
| Ah, die sozialen Systeme. Darüber sprechen Sie hier schon seit Jahren, nicht
| wahr? Nun, ich will nicht sagen, dass es in Deutschland keinen Reformbedarf
| gibt. Aber wenn jemand daran denkt, den Weg der USA einzuschlagen, dann kann
| ich davor nur warnen. Je härter sie die Sozialsysteme beschneiden, desto
| eher tauchen die Probleme an anderer Stelle wieder auf. Schlechtere
| Gesundheit, größere Armut, weniger Sicherheit, mehr Kriminalität. Natürlich
| ist die US-Arbeitslosenquote niedriger als die deutsche. Aber bei uns sitzen
| allein zwei Millionen Leute in den Gefängnissen. Meinen Sie, das ist keine
| versteckte Arbeitslosigkeit? Glauben Sie mir, sie sind hier immer noch
| besser dran.
|
| An den Problemen ändert das aber nichts - und Sie sagen, dass alles noch
| schlimmer wird. Sehen Sie sich eigentlich als Apokalyptiker?
|
| Weil ich das Ende der Arbeit vorhersage? Nein. Erstens: Ich ziehe nur
| logische Schlüsse aus Dingen, die ich in der Wirtschaft jeden Tag beobachten
| kann. Und zweitens: Ich halte das Ende der Arbeit durchaus für eine positive
| Sache.
|
| Aber was sollen all die Leute denn machen, wenn sie keine Arbeit mehr haben?
|
| Sehen Sie, so verbogen sind wir heute. Ich sage, die Menschen werden für den
| Produktionsprozess nicht mehr gebracht und Sie fragen, was sie dann bloß
| machen sollen. Als ob es die Erfüllung des Menschen wäre, Tag für Tag
| dieselbe stupide Tätigkeit auszuführen.
| Dasselbe Blech zu formen oder dieselben Fragen am Telefon zu beantworten. So
| eng definieren wir uns. Ich sage: Lasst die Maschinen das übernehmen. Aber
| viele Leute können sich einfach nicht vorstellen, was sie ohne Arbeit
| anfangen sollen. Das ist traurig.
|
| Entschuldigen Sie, aber die Frage ist doch nicht, was die Menschen mit ihrer
| freien Zeit anfangen, sondern mit welchem Geld Sie ihre Miete und ihr Essen
| bezahlen, wenn alle Jobs verschwinden.
|
| Sie haben ja Recht. Also, es gibt verschiedene Ansätze. Besonders wichtig
| ist der so genannte Nonprofitsektor. Gemeint sind hier Aktivitäten von der
| Sozialarbeit über die Wissenschaft, Kunst, Religion bis hin zum Sport. In
| den Niederlanden sind heute bereits 12,6 Prozent aller Vollzeitstellen im
| Nonprofitsektor angesiedelt. In Deutschland sind es erst 4,9 Prozent. ier
| gibt es ein Potenzial für Millionen von Arbeitsplätzen.
|
| Aber wie soll dieser Nonprofitsektor finanziert werden?
|
| Durch Steuerumschichtung. 90 Prozent der Regierungseinnahmen weltweit
| stammen aus der Besteuerung von Arbeit und Kapital. Wir müssen viel stärker
| zur Besteuerung von natürlichen Ressourcen kommen. Warum sollen sich die
| Unternehmen einfach frei bedienen? Eine Besteuerung von Ressourcen würde
| sowohl zur Schonung der Umwelt führen wie zur Senkung von
| Unternehmensgewinnen. Die Steuereinnahmen könnten dann in den
| Nonprofitsektor fließen und dort Mehrbeschäftigung stimulieren. Man könnte
| auch über etwas anderes nachdenken. Wenn Maschinen immer mehr Menschen
| ersetzen, warum sollte es in Zukunft nicht genau so eine Maschinensteuer
| geben, wie es heute eine Einkommenssteuer gibt?
|
| Haben Sie noch mehr Anregungen?
|
| In meinem Land gibt es 250 Zeitdollar-Projekte. Es handelt sich dabei um
| eine Parallelwährung, die ganz auf der Zeit basiert. Für jede Stunde Arbeit
| erhält man einen Zeitdollar, für den man wiederum Waren oder
| Dienstleistungen kaufen kann. Die Idee dahinter ist, das in einer sozialen
| Gemeinschaft jenseits von Gewinnmaximierung die Zeit eines jeden von uns
| gleich wertvoll ist - sei er nun Arzt, Müllmann oder Taxifahrer.
|
| Und das soll im großen Stil klappen? Das klingt sehr utopisch.
|
| Wir brauchen ja gerade Utopien. Generationen von Ökonomen haben sich damit
| beschäftigt, die Marktwirtschaft zu analysieren und Vorschläge zu machen,
| wie sie besser funktionieren könnte. Dabei ist der Mensch aus dem Blickpunkt
| geraten. Es ist doch so: Die Globalisierung hat versagt.
|
| Warum hat sie versagt?
|
| Weil sie zu viel Geld von unten nach oben verteilt hat. Die 356 reichsten
| Familien besitzen heute 40 Prozent des Reichtums der Menschheit. Diese
| Entwicklung führt uns in den Abgrund. Wenn die Unternehmen die Löhne immer
| weiter drücken, wird irgendwann niemand mehr ihre Produkte kaufen. Das ist
| so logisch, dass es eigentlich jeder verstehen müsste. Was wir brauchen, ist
| eine Reglobalisierung, bei der die Bedürfnisse der Mehrheit im Vordergrund
| stehen, nicht die Gewinnspannen einer kleinen Minderheit. Der technische
| Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Ich sehe zwei Alternativen für
| unsere Zukunft. Die eine ist eine Welt mit Massenarmut und Chaos. Die andere
| ist eine Gesellschaft, in der sich die von der Arbeit befreiten Menschen
| individuell entfalten können.
|
| Das Ende der Arbeit kann für die Menschheit einen großen Sprung nach vorn
| bedeuten. Wir müssen ihn aber auch wagen.
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