[Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines Arbeitszwangs

Bernd Kowarsch bernd at abnuto.de
Do Dez 1 15:54:01 CET 2005


----- Original Message -----
From: "Ralf Westphal" <ralfw at ralfw.de>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Thursday, December 01, 2005 10:03 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines
Arbeitszwangs

Hallo, Ralf

[>>>..Aber für das irdische Leben scheinen mir Leistung und Gegenleis-
>>>tung untrennbar verbunden.]
>>>Wer nicht auf das BGE verzichten will oder kann, muss sie erbringen.
>>>Wer darauf verzichtet, wird von ihr befreit.

>>Die Achtung vor dem Eigentum anderer fällt nicht vom Himmel. Obdach-
>>losigkeit ist ein Problem der inneren Sicherheit.

>Das ist wahr. Und die Achtung vor Eigentum entsteht nicht einfach durch
>Bezug von BGE. Und Obdachlosigkeit verschwindet nicht einfach mit BGE.
>Zu beidem gehört Bildung im weitesten Sinn (dazu zählt auch moralische
>Bildung und die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Umgang mit Schick-
>salsschlägen). Diese Bildung fehlt in unserer Gesellschaft an vielen
>Stellen. Und das wird umso offensichtlicher, je weniger Struktur
>Menschen von außen gegeben ist.

Bildung lässt sich nicht (ein)fordern. Was ich sagte ist; Die Achtung
vor dem Eigentum ist eine Leistung. (Schon) hieraus entsteht ein gewis-
ser Anspruch des einzelnen auf Teilhabe, eine "Garantenpflicht aus
vorangegangenem Tun" des Staates. Also: das beG führt nicht zur Ach-
tung vor Eigentum, sondern ist eine Folge des Gebotes/Gesetzes, daß
zur Achtung des Eigentum verpflichtet/zwingt.
Eine wirksamere Maßnahme gegen Obdachlosigkeit als ein beG kann ich
mir grad wahrlich nicht vorstellen. Wer hier ohne PKW lebt, der hat einen
erhöhten Organsiationsbedarf. Oder meinst Du, wer die Sekretärin zum
Kaffee kochen hat, könne besser organisieren? "Wer kann sich auch er-
lauben, seine Herren nicht zu loben - in Krisenzeiten sitzt der liebe
Gott noch immer oben".
Es mangelt doch mit HatzIV nicht an Struktur. 'ein bissl Struktur in
den Alltag bringen' ist hier total daneben. Was wollen an der Macht
jene, die glauben, nur durch Zwang dem Fortschritt zu dienen?
Du sagst, man könne Menschen erfolgreich Strukturen von aussen 'ge-
ben' - ich sag, wenn sie sie sich nicht selber suchen, nehmen,
wird der Erfolg so blaß, wie der Druck krass.
__

>>Das Fehlen von Wasseruhren führt zu vermehrtem Verbrauch. Damit nicht
>>vergleichbar ist ein zwar bedingungsloses aber eben bloß die Existenz
>>sicherndes Grundeinkommen. Vergleichbar ist dies einem für alle gleich
>>großen Kontingent an Wasser, welches jedeR für sich verbrauchen kann.

>Die versteckte Fehlannahme ist, dass das große Kontingent an Wasser
>einfach so quasi "gottgegeben" da ist. Das ist es aber nicht. Das
>große Kontingent ist eine Errungenschaft, die aktiven Einsatz für
>ihren Erhalt erfordert. Dafür ist Bewusstsein nötig. Ich plädiere
>dafür, dieses Bewusstsein durch eine "Rückkopplungsschleife" zu
>schaffen.

Das Kontingent reicht im Durchschnitt 28/61 Tage. Es wäre Menschen-
gegeben. Über den aufrechten Gang denkt auch kaum noch einer nach.
Auch ne Tradition. Bewußtsein lässt sich nicht aufzwingen/androhen.
Denke eher, es entsteht gerade aus Zwanglosigkeit. Ich bin im
allgemeinen gegen (jeden!) Zwang. Wie wär es mit nem Feiertag?
__

>>>...was ist denn auch mein Anteil am Ganzen?

>>Verfall, Entfremdung, Gleichgültigkeit erleben wir in der heutigen
>>Gesellschaft unübersehbar. Es ist dies die Welt ohne den bedingungs-
>>losen Anspruch auf die Existenzmittel, die Welt in der jedeR einzeln
>>für sich und gegen die anderen kämpft, Besitztümer anhäuft und sich
>>irgendwie durchwurschtelt, 'zur Sicherheit',

>Das sehe ich anders. Natürlich passiert dies alles auch aus Sicher-
>heitsstreben. Aber das ist nicht der einzige Grund. Verfall ist ein
>Resultat von Gleichgültigkeit. Warum sollte ich denn aber gleichgül-
>tig werden, wenn ich für meinen Lebensunterhalt arbeiten muss?

Bewußtsein wofür? Wenn und solange Du meinst, für deine Bedürfnisse
zu arbeiten, also egoistischen Motiven folgst, wie soll da Bewußtsein ent-
stehen für die Bedürfnisse der Gemeinschaft, auf die Du, wie alle aber
angewiesen bist.
Arbeitsteilung führt zu Solidarität. Das den Bedarf übersteigende Ein-
kommen entbindet von ihr. beG übersteigt keinen Bedarf und vermag also
auch, anders als privates Vermögen, nicht von der Solidarität zu ent-
binden, sehr wohl aber durch die Möglichkeit der Selbstbestimmmung zu
ihrer Entwicklung beizutragen. Auch Solidarität lässt sich m.e. nicht
erzwingen.

>Gleichgültigkeit ist ein Resultat von Entfremdung und Unbewusstheit.
>Warum sollte ich mich denn aber z.B. vom Wasserverbrauch oder anderen
>Menschen entfremden, nur weil ich für meinen Lebensunterhalt arbeiten
>muss?

Mußt du? Ist selten. Die (zB. per HatzIV) müssen, wissen um die Bedürf-
nisse der Menschen meist mehr, als die NormErwerbstätigen. Nicht wegen
des Zwanges zur Arbeit, sondern wegen der Höhe des Lohnes, mit welchem
sie auskommen.
__

>>Genau, im Gegensatz zum Superreichen, von dem sicher niemand auch
>>nur irgendwas verlangen wird, haben die Unterschichtler schon
>>Zwangsarbeit zu leisten. Weiter so!

>Seufz...das empfinde ich als Parola aus dem 19. Jhd. "Die Unterschicht-
>ler"... die Geknechteten, die ewig unterdrückten, denen zum Leben zu
>wenig bleibt, ... ich sehe trübe Kinderaugen und Hungerbäuche vor
>mir... Trotz aller Armut in Deutschland sind wir - das sollte fest-
>gehalten werden - von diesem Bild weit entfernt. Krummrückige Prole-
>tariermassen in lichtlosen Hinterhöfen gehören der Vergangenheit an.

Warum nur? Wären wir doch damals stehengeblieben. Noch vor ein Paar
Jahren hörte man von Arbeitgebern; "Samstag säuft Pappi Bier". Und
jetzt sollen wir gefälligst mal stehenbleiben. Im Sozialen. Abgese-
hen davon hab ichs nicht so mit der national verengten Sicht. Hunger
gibts. Aber unser aufgeklärtes Bewußtsein schafft schon manchen Sport-
vergaser. Entschuldigung. Der Glaube, es müsse uns materiell immer
besser gehen, damit auch einmal die wo unten profitieren, den halte
ich für einen gefährlichen Irrglauben. Mit beG gehts ja den meisten
nicht wirtschaftlich besser. Alle aber profitieren auf der rein
menschlichen Seite. Die ist (mir) wichtiger.
Der Welt gehts dreckig. Uns mangelts an Feedback. Wir, die Bürgerge-
sellschaft sind zu 'reich'. Drum sollten wir auf die Überwindung des
BonzenGhettoSchutz hinwirken. Das beG geht in diese Richtung.
__

>Im BGE gibt es kein "arm" mehr, denn jeder hat ja das Recht auf
>eine existenssicherndes Einkommen, von dem ich annehme, dass es
>oberhalb der Armutsgrenze liegt.

Mein Vorschlag: 750 E - incl. Miete zzgl. K/Pf-V, 'Netto' 400,-.

>Wenn es denn also mit BGE kein "arm" mehr gibt (aber sehr wohl
>noch "reich"), dann verschwindet der Aspekt der Bestrafung durch
>eine Gegenleistung.

Ein Aspekt Bestrafung verschwindet per beG? Ja - und? Wer in unser-
er Gesellschaft ohne PKW, ohne Flugticket lebt, ist nachdenklicher.
Lernen ist, wenn nicht nur, so sicher auch, durch ein positives
Feedback möglich. Und das beG ist ja kein Garant, daß negatives
Feedback und solches auslösendes Verhalten unmöglich würde.

>Und dass der Bezug von BGE freiwillig ist, nehme ich doch mal an.
>Wenn ich also - aus welchen Gründen auch immer - darauf verzichte,
>warum soll ich dann keinen Vorteil haben.

Oben sagtest Du: "Wer nicht auf das BGE verzichten will oder kann,
muss sie erbringen. Wer darauf verzichtet, wird von ihr befreit."
Vernunft ist, sich an die Stelle des/der anderen zu versetzen. Und
Konsequenzen zu ziehen. Meinst Du, der heute Obdach-/Arbeitslose
könne es sich ja aussuchen. Ob er verhungern will, oder das beG
beziehen. Freiwillig mag es erscheinen, bei denen, die sich per
Besitz die Entwicklung des Verantwortungsbewußtseins sparten.
Und denen soll ich jetzt weitere Vorteile gewähren? Weitere
materielle Vorteile? Neinnein. Da halt ich schon ein wenig
gedämpfter Intensivierung des Erleben der Oberschicht
(:gIEdO) für erkenntnisförderlich.
__

>Es wird und muss immer "reiche" Menschen geben. So ist die mensch-
>liche Natur - und der Kommunismus, der das nicht wahr haben wollte,
>ist daran gescheitert.

Es darf in Zukunft keinen Privatbesitz mehr geben. Ein Erfordernis
menschlicher Entwicklung. Und der Kapitalismus wird daran scheitern.
Es gibt Wissens- und Machtunterschiede. Das Macht, anstatt zu Ver-
antwortungsbewußtsein, zu Herrschaft führte ist das Problem. Macht
ist zu verteilen. Besitz ist Macht. Mit 'menschliche Natur' kann
ich immer recht wenig anfangen. Mensch ist Kultur. Da ist bestimmt
Natur im Menschen, Triebe, tierisches, pflanzliches, aber das ist
gerade nicht menschlich.
Menschen vermögen die Gattung, sogar das Leben als solches zu stören,
haben also die Ebene der Natur längst verlassen und es wird Zeit, daß
sie sich sowohl (nämlich in ihrer Dingbefriedigung) die Natur (wieder
bzw. erstmals bewußt) zum Vorbild nehmen, als auch sich ihres geisti-
gen 'Auftrages' annehmen.

MfG
b

Gesellschaft ohne beG ist
wie Post ohne Briefmarke




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