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<html>
<head>
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<h3>
<p> Nach dem Amoklauf in Winnenden </p>
</h3>
<p><br>
<small></small><b> Ursachen bekämpfen statt Ablenkung auf
„Killerspiele“ </b></p>
<b> </b>
<p> Winnenden am 11. März 2009: Die schwäbische Kleinstadt wird
Schauplatz eines Amoklaufes, dem 15 Menschen zum Opfer fallen. Der
Täter ist ein 17-jähriger ehemaliger Schüler der
Albertville-Realschule, in der die Mordserie ihren Auftakt fand. </p>
<p> </p>
<h4> <i>von Lucy Redler, Mitglied Linksjugend["solid] Berlin und
SAV-Sprecherin</i> </h4>
<p> </p>
<p> Neun SchülerInnen und drei Lehrerinnen werden im Schulgebäude
erschossen. Drei weitere Menschen werden auf der Flucht getötet.
Angehörige, LehrerInnen und Freunde stehen unter Schock. Am frühen
Nachmittag, kurz nach Schulschluss, setzten sich Jugendliche im ganzen
Bundesgebiet an ihre Computer und tippten Beileidsbekundungen und
tröstende Worte in Blogs und Internetplattformen wie SchülerVZ. In den
Beiträgen ist die meistgestellte Frage: „Wie konnte das nur passieren?“
</p>
<h4> Deutschland auf Platz zwei der Amokläufe </h4>
<p> </p>
<p> Die Tat ruft Erinnerungen an vorangegangene Amokläufe wach: Im März
2000 schoss ein 16jähriger Schüler eines Realschulinternats in
Brannenburg (Bayern) auf den Leiter der Einrichtung, nachdem er tags
zuvor von der Schule verwiesen wurde. Im April 2002 erschoss ein
Erfurter Schüler 16 Menschen an seiner ehemaligen Schule. Im November
2006 eröffnete ein 18-jähriger in Emsdetten das Feuer in seiner Schule,
verletzte mehrere Menschen und erschoss sich selbst. Deutschland hat
nach den USA in den letzten 10 Jahren die meisten Amokläufe junger
Menschen zu verzeichnen. </p>
<p> Wie in den vorangegangenen Fällen wird auch jetzt über den Tag
hinweg eilig ein Täterprofil zusammengeflickt. Schwarze Kleidung, wenig
Freunde, in sich gekehrt und vor allem eine Neigung zu „Killerspielen“
und Horrorvideos lautet die Beschreibung bis zum Abend des 11. März.
Focus-Online titelt am 12. März: „Amokläufer spielte Gewaltspiele“. Den
Kommentatoren der Medien zufolge stehe ein klares Motiv nicht fest. Der
Junge komme aus wohl behüteten Verhältnissen. </p>
<p> </p>
<h4> Killerspiele als willkommenes Alibi für jugendfeindliche Politik </h4>
<p> In Nachlese des Amoklaufs in Erfurt veröffentlichte die
„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ unter dem Titel „Software fürs
Massaker" einen Artikel, der das PC-Spiel „Counter Strike“ als eine Art
Trainingscamp für Amokläufer beschreibt. In gleicher Manier haben
zahlreiche Politiker und „Experten“ in den so genannten „Killerspielen“
den Hauptgrund für Amokläufe ausgemacht. Die Spiele würden die
Hemmschwelle zum Töten herabsetzen, Jugendliche abstumpfen und
schließlich zum Töten trainieren. Edmund Stoiber und andere Politiker
machten es zur Chefsache den Spielen den Garaus zumachen. </p>
<p> Abgesehen davon, dass es schwierig ist, überhaupt einen
Jugendlichen zu finden, der nicht auch mal ein „Killerspiel“ spielt,
kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen „Killerspielen“ und
Amokläufen nicht belegt werden. Dieselben Jugendlichen, die
Beileidsbekundungen und ehrliche Bestürzung anlässlich des Amoklaufs
über das SchülerVZ posten, sind zugleich Mitglied in Gruppen wie:
„Ja,ich spiele Counterstrike. NEIN, ich plane KEINEN Amoklauf!“ </p>
<p> Natürlich kann der exzessive Gebrauch von „Killerspielen“,
insbesondere bei Kindern und sehr jungen Jugendlichen, das
Problembewusstsein zum Thema Gewalt negativ beeinflussen. </p>
<p> Es ist aber auch offensichtlich, dass sich die Amokläufe nicht auf
eine Neigung zu solchen PC-Spielen reduzieren lassen. Für Politiker ist
dies jedoch eine willkommene Erklärung. Diese Debatte verhindert
nämlich, dass die Ursachenforschung auf ihr eigenes Handwerk, nämlich
eine jugendfeindliche Politik, fällt. </p>
<p> </p>
<h4> Tatort Schule </h4>
<p> Sämtliche Amokläufe der jüngsten Zeit fanden in den Schulen ihren
Ausgangspunkt. Ginge es einzig um das Ausleben von Gewaltphantasien,
hätte auch jeder andere Ort für die Tat gewählt werden können. Für
zahlreiche SchülerInnen ist die Schule ein Ort der Peinigung, des
Stresses, der Verzweiflung und letztlich auch der Perspektivlosigkeit
und Ohnmacht. In Ankündigungen von Amokläufern ist oft von
Rachefeldzügen die Rede. Der Amokläufer von Erfurt wurde kurz vor der
Planung seiner Tat darüber benachrichtigt, dass er seinen
Gymnasialabschluss nicht erhalten würde. Für einen Jugendlichen in
Thüringen bedeutete das völlig ohne Schulabschluss dazustehen in einem
Bundesland mit 17 Prozent Arbeitslosigkeit und einer allgegenwärtigen
Perspektivlosigkeit. Obwohl der Schüler in Winnenden aus einer
gutbetuchten Unternehmerfamilie kam, hat auch er von der fünften Klasse
an starke schulische Probleme gehabt. Obwohl er nicht mehr Schüler war,
wählte er die Schule als Tatort. Das kann kein Zufall sein. </p>
<p> </p>
<h4> Amokläufe sind die Ausnahme – Kranker Leistungsdruck ist die Regel
</h4>
<p> LehrerInnen sind mit Klassengrößen von über 30 SchülerInnen
überfordert. Schulsozialarbeit findet kaum statt. Auf die Belange und
Probleme einzelner Jugendlicher kann unter diesen Bedingungen kaum
Rücksicht genommen werden. Auf Seiten der SchülerInnen ist
Leistungsdruck allgegenwärtig. Der Wechsel von einem höheren Schulzweig
auf einen niedrigen wird als Versagen wahrgenommen. Gute Zensuren
werden als notwendig angesehen, um später Chancen auf dem Arbeitsmarkt
zu haben. Freizeit wird vor dem Hintergrund von Schulzeitverkürzungen
wie „G8“ immer enger. Der Druck von Klausuren und Abschlusstests
bestimmt das Leben vieler junger Menschen. Eine Schülerin machte in
Erfurt während einer Trauerveranstaltung im Jahr 2002 deutlich: „Ihr
alle wisst ja unter welchem Leistungsdruck wir stehen. Ausreichend
Gelder für die Bildung aber fehlen. Wir haben in den Schulen
eingeschränkte Gedankenfreiheit. Wir müssen aufpassen, was wir sagen,
um uns nicht schlechtere Zensuren einzufangen“ (Berliner Zeitung,
30.04.2002). </p>
<p> Die Reaktionen von SchülerInnen auf den schulisch bedingten Druck
sind unterschiedlich. Die einen meistern ihn ohne große Probleme. An
einer immer größeren Anzahl geht der Schulstress allerdings nicht
spurlos vorbei. Mittlerweile leiden 20 Prozent der Jugendlichen und
Kinder unter psychischen Erkrankungen. Sie äußern sich meistens in
starker Angst, Aggressivität, Essstörungen oder depressiven Symptomen,
die bis hin zu Selbstmordgefährdung oder noch schlimmeren Absichten
reichen. Während grausame Amokläufe hierbei die Ausnahme darstellen,
ist Verzweiflung ein Massenphänomen unter SchülerInnen. Der Druck im
aktuellen Schulsystem macht krank </p>
<p> </p>
<h4> Jugendfeindliches Umfeld </h4>
<p> Außerhalb der Schule wachsen Jugendliche in einem familiären Umfeld
auf, indem die Eltern eine Erziehung unter extremen Bedingungen
meistern sollen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise drohen
Kündigungen und der Arbeitsdruck steigt. In vielen Bereichen ist die
Arbeitszeit seit Jahren enorm flexibilisiert. Überstunden und
Wochenendarbeit stehen auf der Tagesordnung. Die Verantwortung für die
Erziehung der Kinder wird dabei allein auf die Familien und vor allem
die Frauen geschoben. Hortbetreuung oder Ganztagsangebote an Schulen
sind selten und müssen oft aus privater Tasche bezahlt werden. Für
viele Familien ist das unbezahlbar. Kostenlose Freizeitangebote
jenseits der Schule, z.B. in Jugendzentren, in denen Sozialarbeiter im
Krisenfall als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, sind seit Jahren
von enormen Kürzungen betroffen. </p>
<p> </p>
<h4> Eine weitere Tragödie muss verhindert werden </h4>
<p> </p>
<p> Nach jedem Amoklauf werden Maßnahmen in Angriff genommen, die an
den ursächlichen Problemen nichts ändern. Weder ein weiteres Verbot von
Killerspielen, noch Sicherheitsdienst und Metalldetektoren am
Schuleingang werden die Perspektiven von Jugendlichen verbessern. Auch
nach diesem Amoklauf ist zu befürchten, dass bürgerliche Politiker in
erster Linie die Repression auf Schulhöfen verstärken wollen. </p>
<p> Der österreichische Standard kommentiert die Folgen des Massakers
von Erfurt wie folgt: „Es ist ja nicht so, dass nach dem Massaker von
Erfurt nichts passiert ist. Die Waffengesetze wurden verschärft, der
Kauf von Computerspielen wurde erschwert. Vieles aber wurde nicht
gemacht, Einen Psychologen wollte der damalige Innenminister Otto
Schily in jede Schule schicken. Der Vorsatz blieb ein Vorsatz.“ </p>
<p> Auch heute kommen noch 12.000 SchülerInnen auf einen
Schulpsychologen. Seit Erfurt hat sich an diesen Verhältnissen nichts
geändert. Die Logik ist klar: Mehr Schulpsychologen kosten Geld.
Verbote von irgendwelchen Killerspielen kosten nichts und wälzen die
Verantwortung für gesellschaftliche Missstände auf die Jugendlichen ab.
</p>
<p> </p>
<p> Statt einer Debatte über „sichere Schulen“ brauchen wir ein
sicheres Schulsystem, was SchülerInnen und LehrerInnen den Druck nimmt.
Dazu sind als erstes eine drastische Verkleinerung der Klassen und eine
massive Erhöhung der LehrerInnenstellen nötig. </p>
<p> Nach dem Erfurter Amoklauf gründete sich ein Bündnis aus
SchülerInnen, die einen Trauermarsch von mehreren Tausend SchülerInnen
organisierten. Eine Forderung von ihnen war die Verkleinerung der
Klassengrößen. </p>
<p> </p>
<p> Statt zahlreicher Tests und Hetze von einer Benotung zu der
nächsten, brauchen wir ein Schulsystem das sich an die individuellen
Lernschnelligkeiten der SchülerInnen anpasst. Noten sind keine
objektive Feststellung der Leistung von SchülerInnen, mit Noten wird
die Konkurrenz untereinander gefördert. Notenvergabe heißt „Lernen
durch Angst“. Deshalb müssen Noten abgeschafft werden und Fähigkeiten
und Interessen individuell mit den SchülerInnen diskutiert werden. </p>
<p> </p>
<p> Dazu muss die Selektion in Haupt-, Realschule und Gymnasium
aufgehoben werden. Stattdessen brauchen wir eine Schule für alle, die
Lerngruppen mit SchülerInnen verschiedenster Stärken, Interessen und
Fähigkeiten zusammenbringt. </p>
<p> </p>
<p> Besonders groß ist oftmals der Druck für SchülerInnen aus ärmeren
Familien. Sie können es sich aus Kostengründen oft nicht leisten, dass
die Kinder ein Gymnasium oder gar eine Universität besuchen. Hohe
Gebühren für Bücher, fehlendes Geld für Schulmaterialien oder für
Klassenfahrten machen es schwierig für ärmere Jugendliche am
Bildungssystem teilzunehmen. So gehen heute nur zehn Prozent der
Jugendlichen aus einfachen Arbeiterfamilien auf ein Gymnasium. Noch
geringer ist diese Prozentzahl unter MigrantInnen. Bildung darf nicht
abhängig sein vom Geldbeutel. Deshalb muss es vollkommen kostenlose
Bildung für alle geben. </p>
<p> </p>
<p> Damit SchülerInnen ihre Kritik, Probleme und Sorgen frei äußern
können, bedarf es demokratisch gewählter Gremien in den Schulen, an
denen SchülerInnen. LehrerInnen und Gewerkschaften gemeinsam bestimmen
was und wie gelehrt wird. </p>
<p> Um dieses zu verwirklichen, muss es eine vollkommen öffentliche und
ausreichend finanzierte Bildung geben. </p>
<p> </p>
<h4> Verschärfung durch kapitalistische Krise </h4>
<p> Der Druck an Schulen, soziale Auslese, Jugendarbeitslosigkeit und
Perspektivlosigkeit war schon in den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs
enorm. Das wird sich in der gerade begonnen kapitalistischen Krise noch
massiv steigern. Immer mehr Jugendliche laufen Gefahr, in diesem System
zu verzweifeln. Um Ohnmacht, Isolierung und Verzweiflung in Widerstand
zu verwandeln ist eine antikapitalistische Antwort nötig, die die
Interessen hinter dem dreigliedrigem Schulsystem und seiner Funktion in
der kapitalistischen Wirtschaft aufdeckt und Alternativen formuliert.
Warum werden Milliarden in die Banken gepumpt und nicht in die Schulen?
Warum werden nur marode Banken und nicht alle im Interesse der
Allgemeinheit verstaatlicht, um die bisherigen Überschüsse in Bildung
und andere Bereiche einzusetzen? In was für einer Gesellschaft leben
wir eigentlich, in der immer mehr Menschen von Hartz IV leben und
einige wenige Milliarden einstecken? </p>
<p> Eine wirkliche Alternative zu diesen Zuständen ist eine
sozialistische Gesellschaft, in der die Bedürfnisse aller Menschen im
Mittelpunkt stehen. Damit dies möglich wird, müssen die großen Konzerne
und Banken in öffentliches Eigentum überführt und unter die
demokratische Kontrolle und Verwaltung der Belegschaften und Vertretern
der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden. In einer Gesellschaft, die
nicht der Profitlogik und dem Konkurrenzdenken unterliegt, könnten
soziale Fortschritte dauerhaft gesichert werden. </p>
<p> </p>
<h4> Bundesweite Demos am 28.3. und Bildungsstreik </h4>
<p> Ein wichtiger Ansatzpunkt, um sich gegen den Zustand an Schulen und
Unis unmittelbar zu wehren ist der Bildungsstreik, der am 17. Juni
bundesweit stattfindet. Linksjugend["solid] beteiligt sich aktiv an den
Vorbereitungen. Nicht nur SchülerInnen, Azubis und Studierende leiden
unter den heutigen Zuständen. Auch Lehrkräfte sind betroffen. Wir
sollten uns deshalb für den größtmöglichen Schulterschluss zwischen
SchülerInnen, Studierenden und LehrerInnen und dem Personal an Schulen
und Unis am 17. Juni einsetzen. </p>
<p> Die Großdemos gegen die Folgen der kapitalistischen Krise am 28.
März sind ein Auftakt, uns gemeinsam mit vielen anderen Menschen
dagegen zur Wehr zu setzen dafür, dass Jugendliche, Erwerblose und
abhängig Beschäftigte für die kapitalistische Krise zahlen sollen. </p>
<p> Das kann der Beginn sein, in Deutschland endlich zu französischen
Verhältnissen zu kommen. </p>
<p> Am 29. Januar streikten in Frankreich zwei Millionen Menschen gegen
die Folgen der Krise und die Situation an den Schulen. Zehntausende
SchülerInnen besetzten im Vorfeld des Streiks ihre Schulen. Der nächste
Generalstreik ist für den 19 März geplant. Sprechen wir auch in
Deutschland mit den Herrschenden endlich französisch: „Tous ensemble“-
alle gemeinsam. </p>
<p> </p>
<h4> Forderungen: </h4>
<p> Kostenlose Bildung für alle </p>
<p> Verkleinerung der Klassen auf maximal 15 SchülerInnen </p>
<p> Rücknahme des Turboabiturs (G8) </p>
<p> Sofortige Einstellung von 100.000 LehrerInnen </p>
<p> Einstellung von genügend SchulsozialarbeiterInnen und
PsychologInnen an allen Schulen </p>
<p> Schluss mit Leistungsdruck, Auslese und Elitebildung im Interesse
der Banken und Konzerne: Abschaffung aller Noten, Ausbau der
Wahlmöglichkeiten nach Fähigkeiten und Interessen zur individuellen
Förderung </p>
<p> Eine Schule für alle mit kostenlosen Ganztagsangeboten </p>
<p> Demokratische Verwaltung von Schulen, inklusive Festlegung der
Lehrinhalte und –methoden, durch demokratisch gewählte Gremien von
SchülerInnen, LehrerInnen und Gewerkschaften </p>
<p> Statt Rettungspakete für Banken und Konzerne: Sofortige Rücknahme
aller Kürzungen in den Bereichen Jugend, Bildung, Soziales, Gesundheit,
Kultur und Schaffung von ausreichend selbstverwalteten Jugend- und
Freizeit-einrichtungen </p>
<p> Abschaffung von Hartz IV </p>
<p> Jugendarbeitslosigkeit stoppen: Für eine drastische
Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn und
Personalausgleich </p>
<p> </p>
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</html>