[SAV-newsletter] Zur Frage der gemeinsamen Kandidatur von WASG und PDS

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Do Jun 2 14:50:53 CEST 2005


Widerstand gegen Sozialkahlschlag in den Bundestag!

Zur Frage der gemeinsamen Kandidatur von WASG und PDS

Stellungnahme der SAV-Bundesleitung vom 2. Juni 2005

Wahldesaster für die SPD in NRW, Ankündigung von Neuwahlen für den 
Herbst diesen Jahres durch Kanzler Schröder, Austritt Lafontaines aus 
der SPD und seine Ankündigung auf einer gemeinsamen Liste von WASG und 
PDS für die Bundestagswahlen kandidieren zu wollen - innerhalb von 48 
Stunden haben sich die politischen Verhältnisse in diesem Land 
dramatisch verändert. Eine seit vielen Jahren unbekannte Politisierung 
hat die Gesellschaft erfasst: „Letzte Woche sprachen meine Kollegen in 
der Pause noch über Fußball, diese Woche sprechen sie über Politik“, so 
die Aussage eines Berliner Gebäudereinigers.

Millionen haben nach den NRW-Wahlen die neugegründete Partei „Arbeit und 
soziale Gerechtigkeit - die Wahlalternative (WASG)“ wahrgenommen. Diese 
hatte 181.000 Stimmen (2,2 Prozent) und damit einen Achtungserfolg 
erzielt und ist zu einem politischen Faktor geworden. Viele schauen nun 
gespannt auf die Verhandlungen zwischen WASG- und PDS-Führung. Der 
Gedanke einer einheitlichen linken Kandidatur gegen die Parteien des 
Neoliberalismus übt eine große Anziehungskraft auf viele ArbeiterInnen 
und Jugendliche, vor allem aber auf eine Schicht von AktivistInnen in 
sozialen Bewegungen und Gewerkschaften aus. Die Zersplitterung der 
Linken galt vielen als ein Haupthindernis für einen effektiven 
Widerstand gegen die Angriffe von Regierung und Kapital. Es kann nicht 
verwundern, dass diverse Aufrufe von linken Intellektuellen, 
GewerkschafterInnen und anderen im Umlauf sind, die WASG und PDS 
auffordern, eine gemeinsame Kandidatur für die Bundestagswahlen 
durchzuführen.

Auf der anderen Seite gibt es auch Skepsis gegenüber der PDS, die ihre 
stalinistische Vergangenheit niemals wirklich kritisch aufgearbeitet hat 
und in zwei ostdeutschen Landesregierungen Sozialabbau und 
Privatisierungen mitbetreibt. Es gibt auch Skepsis gegenüber Oskar 
Lafontaine, der als ehemaliger SPD-Vorsitzender den Weg zur Schröder-SPD 
mitgeebnet hat und als saarländischer Ministerpräsident zum Beispiel 
1988 für Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverlust, flexiblere Arbeitszeiten 
und längere Maschinenlaufzeiten eingetreten ist. Und es gibt Skepsis 
gegenüber politischen Parteien im allgemeinen, vor allem wenn sie den 
Eindruck erwecken, es gehe ihnen nur um Parlamentsposten.

Bei aller Skepsis in Teilen der arbeitenden Bevölkerung und vor allem 
der Jugend, überwiegt aber sicherlich die Hoffnung auf eine einheitliche 
und geschlossene Alternative zu SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP. Oskar 
Lafontaines Bekanntheitsgrad führt dazu, dass die Debatte in einer 
breiten Öffentlichkeit geführt wird und dass breitere Schichten der 
Bevölkerung die Zuversicht gewinnen, dass eine ernsthafte Kraft bei den 
Bundestagswahlen antreten könnte. Die Meinungsumfragen, nach denen bis 
zu 22 Prozent sich vorstellen können, eine von Lafontaine in den 
Wahlkampf geführte Linkspartei zu wählen, unterstreichen dies. Mit 
seiner deutlichen Ablehnung der Agenda 2010 und von Hartz IV, der 
Opposition zur EU-Verfassung und zu der Beteiligung der Bundeswehr an 
den Kriegen gegen Jugoslawien und Afghanistan und mit Aussagen wie „die 
Kapitalisten bestimmen die Politik“, gibt er der Unzufriedenheit und Wut 
breiter Massen einen Ausdruck. Es gibt keine zweite Person mit einem 
vergleichbaren Bekanntheitsgrad, die der bundesdeutschen Linken 
zugerechnet wird, die eine ähnliche Rolle spielen könnte. Dabei sind 
Lafontaines politische Konzepte - staatliche Eingriffe in die Ökonomie 
zur Nachfragesteigerung ohne die Profitlogik des Kapitalismus in Frage 
zu stellen - sicher nicht geeignet, einen Ausweg aus der 
kapitalistischen Krise aufzuzeigen.

Trotzdem wäre es ein Fehler, dem Aufruf von Lafontaine zu folgen und 
eine gemeinsame Kandidatur oder gar eine gemeinsame „neue Linkspartei“ 
mit der PDS zu bilden. Selbst wenn die Überlegung, dass eine solche 
gemeinsame Kandidatur bessere Chancen für einen Einzug in den Bundestag 
hat, richtig sein sollte, wäre es ein Fehler. Warum?
Eine einheitliche Kandidatur oder Partei wäre nur dann ein Fortschritt, 
wenn sie den Widerstand der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und 
Jugendlichen gegen die Angriffe von Regierung und Kapital stärken würde, 
wenn sie also die Einheit der Arbeiterklasse voran bringen würde. Eine 
starke Fraktion im Bundestag darf nicht das Endziel der WASG sein, 
sondern nur Mittel zur Unterstützung von sozialen Bewegungen, 
Arbeitskämpfe und Protesten.
Im Newsletter vom 31.5.2005 wurde, sieben Tage nach Beginn der 
öffentlichen Debatte, endlich auch die WASG-Mitgliedschaft durch den 
Bundesvorstand über den Stand der Dinge informiert. Darin heißt es: „Die 
WASG schlägt vor, eine gemeinsame Wahlpartei zu gründen, deren Statut 
eine doppelte Mitgliedschaft - zeitlich begrenzt - gestattet. Es geht 
darum, einen Antritt zur Bundestagswahl zu bekommen, damit die 
Wählerinnen und Wähler auf ihrem Wahlzettel eine Formation finden, die 
ohne wenn und aber Nein sagt, zum Sozialabbau und der Zerstörung 
sozialer Rechte.“
Die in diesem Satz aufgestellte Bedingung ist richtig: die WASG darf nur 
mit solchen Kräften bei Wahlen zusammen arbeiten, die sich ohne Wenn und 
Aber gegen Sozialkürzungen, Lohnkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung und 
Privatisierungen aussprechen. Genau dies tut die PDS nicht.
Als Teil der Regierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt 
sie sich an der Umsetzung neoliberaler Politik - durch 
Arbeitsplatzvernichtung und Lohnabbau im öffentlichen Dienst, die 
Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, Fahrpreiserhöhungen im 
öffentlichen Personennahverkehr, Kürzung des Blindengeldes etc. Sie 
betreibt keine Politik der Unterstützung und Stärkung der 
Gewerkschaften, sondern gerade der Berliner SPD-/PDS-Senat spielte eine 
Vorreiterrolle bei der Unterhöhlung des Flächentarifvertrags. Folglich 
müssen die ArbeitnehmerInnen Berlins gegen die PDS-Führung kämpfen. Zum 
Beispiel die 13.000 MitarbeiterInnen der Berliner Verkehrsbetriebe , die 
am 24. Mai 2005 gestreikt haben, um eine Privatisierung ihres Betriebes 
zu verhindern. Die Mindestvoraussetzung für eine gemeinsame Kandidatur 
mit der PDS müsste ein Politikwechsel derselben sein, der sich in einem 
Austritt aus den kapitalistischen Koalitionsregierungen mit der SPD in 
Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dokumentieren müsste.

Es ist notwendig über den Tag der Bundestagswahl hinaus zu denken. 
Unabhängig davon, ob die WASG, die PDS oder eine neue Linkspartei im 
Bundestag vertreten sein werden: die nächste - wahrscheinlich 
CDU/CSU-geführte - Bundesregierung wird sehr schnell weitere „Reformen“ 
angehen: Kopfpauschale im Gesundheitswesen, Abschaffung des 
Kündigungsschutzes, Mehrwertsteuererhöhung, Einschränkung der 
Mitbestimmung und des Streikrechts, Rentenkürzungen und vieles mehr 
stehen auf der Wunschliste der Kapitalisten. Dagegen muss der Widerstand 
organisiert werden. Nach Möglichkeit auch im Bundestag, aber vor allem 
außerhalb des Parlaments in den Betrieben und auf den Straßen. Eine neue 
Arbeiterpartei kann eine wichtige Rolle dabei spielen, diesen Widerstand 
zu stärken - indem sie verschiedene Kämpfe verbindet und ihnen eine 
politische Perspektive gibt. Zum Beispiel Kämpfe von Automobilarbeitern 
gegen Entlassungen mit Kämpfen von Erwerbslosen gegen Hartz IV und 
Kämpfen von Berliner Landesbeschäftigten gegen die Politik des 
SPD/PDS-Senats. Dies wird mit einer Bundestagsfraktion, die zum (großen) 
Teil aus PDS-Abgeordneten besteht kaum möglich sein. Eine Partei, die 
sich aber nur auf die parlamentarische Tätigkeit beschränkt (wie es die 
PDS macht) und zudem noch bei Sozialkürzungen mitmacht, ist als 
Interessenvertreterin für die Arbeiterklasse nicht zu gebrauchen. Man 
stelle sich nur vor: nach den Bundestagswahlen reicht es nicht für eine 
CDU/CSU-FDP-Mehrheit und eine Große Koalition droht. Wer garantiert uns, 
dass die PDS-Abgeordneten dann nicht auf das vermeintlich „kleinere 
Übel“ setzen und SPD und Grünen eine Koalition oder Tolerierung einer 
Minderheitsregierung anbieten? Es garantiert uns zwar auch niemand, dass 
die WASG-Führungskräfte dazu nicht bereit wären, aber bei der WASG wäre 
dies ein klarer Bruch mit den Beschlüssen der Partei, bei der PDS wäre 
es nur konsequente Fortsetzung ihrer Politik der letzten Jahre.

Der Gedanke, eine gemeinsame Kandidatur sei nötig, um die Faschisten von 
NPD und DVU zu stoppen ist nachvollziehbar, aber sehr kurzsichtig. 
Erstens haben die erfolgreichen Demonstrationen gegen verschiedene 
Nazi-Aufmärsche in Leipzig, Berlin und anderswo die Faschisten in eine 
Krise gestürzt, die sich auch im schlechten Wahlergebnis in NRW 
ausdrückte. Zweitens werden die Faschisten massiv davon profitieren, 
wenn eine neue linke Partei aufgrund der pro-kapitalistischen Politik 
der PDS scheitert und sich, wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern 
schon geschehen, als verlogen und arbeiterfeindlich entpuppt.

Die WASG kann selbstbewusst und offensiv in den Bundestagswahlkampf 
ziehen. Unter widrigen Bedingungen hat sie in NRW mit 181.000 Stimmen 
einen hervorragenden Achtungserfolg erzielt. Ihr Bekanntheitsgrad hat 
sich innerhalb einer Woche vervielfacht. Millionen überlegen im 
September WASG zu wählen. Der Wahlkampf sollte dazu genutzt werden, die 
WASG als kämpferische Partei für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, 
RentnerInnen und Jugendliche aufzubauen. Dies ist möglich durch einen 
engagierten Wahlkampf, in dem die Mitglieder und UnterstützerInnen die 
programmatischen Alternativen verbreiten. Vor allem aber ist es wichtig, 
dass die WASG beweist, dass sie praktisch an der Seite der von 
Entlassungen und Sozialabbau betroffenen Menschen steht - durch 
praktische Solidaritätsarbeit für kämpfende Belegschaften wie bei 
Bosch-Siemens-Hausgeräte in Berlin oder Alstom Power in Mannheim und 
durch Teilnahme an den sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel den 
Protesten der Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren.
Auf dieser Grundlage kann die Einheit mit den AktivistInnen aus 
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen geschaffen werden und es kann an 
SPD- und PDS-Mitglieder und -WählerInnen appelliert werden, gemeinsam 
eine wirkliche Alternative aufzubauen.
Wenn Lafontaine für die WASG kandidiert, ist ein Einzug in den Bundestag 
sehr wahrscheinlich. Tut er dies nicht, ist ein Einzug in den Bundestag 
trotzdem möglich. Aber auch Lafontaine sollte von der WASG-Basis 
kritisch betrachtet werden und einer Kandidatur Lafontaines sollte nur 
zugestimmt werden, wenn er sich verpflichtet, ebenfalls ohne Wenn und 
Aber jegliche Form von Sozialkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung, 
Lohnkürzungen und Privatisierungen abzulehnen und eine Koalition mit 
bzw. Tolerierung von SPD und Grünen ausschließt.

Wir rufen die Mitglieder der WASG auf, ein Wahlbündnis bzw. die Bildung 
einer neuen Partei mit der PDS abzulehnen. Vor allem aber muss es in der 
WASG eine breite und demokratische Debatte auf allen Ebenen und eine 
demokratische Entscheidung der Mitglieder geben. Der Bundesvorstand hat 
angekündigt, eine Urabstimmung der Mitglieder vorzubereiten und "falls 
erforderlich" einen Parteitag einzuberufen. Es kann wohl kaum eine 
Situation geben, die einen Parteitag erforderlicher macht als diese 
Situation. Eine Urabstimmung, die eine komplexe politische Situation auf 
eine mit "Ja" oder "Nein" zu beantwortende Frage (die auch noch alleine 
vom Bundesvorstand formuliert würde) beschränkt, wäre wahrscheinlich nur 
pseudo-demokratisch. Breite Debatte und Beschlussfassung auf einem 
schnellstmöglich einzuberufenden Sonderparteitag und - wenn dieser das 
für sinnvoll erachtet - eine Urabstimmung nach dem Parteitag sollten die 
Vorgehensweise sein. Dafür müssen sich die WASG-Aktiven an der Basis 
einsetzen.



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