[SAV-newsletter] Stellungnahme der SAV zur Debatte über eine Linkspartei

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Mi Mär 24 09:21:51 CET 2004


Für eine neue Partei im Interesse von ArbeitnehmerInnen, Jugendlichen 
und sozial Benachteiligten

Anfang März wurden in der Öffentlichkeit zwei überregionale Initiativen 
für linke Wahlalternativen bekannt: Die wahlpolitische Alternative von 
führenden ver.di-Mitgliedern und der Vorstoß „Arbeit und soziale 
Gerechtigkeit“, der von bayrischen IG Metall-Funktionären ausgeht. Eine 
neue linke Wahlalternative auf bundesweiter Ebene? Die SAV ist der 
Ansicht: Das ist verdammt nötig!
Die politische und soziale Lage in Deutschland schreit nach einer neuen 
Interessenvertretung für ArbeiterInnen und Jugendliche. Es ist jetzt 
genau ein Jahr her, dass Kanzler Schröder seine Agenda 2010 verkündet 
hat. Diese Agenda 2010 bedeutet für Lohnabhängige, Erwerbslose, 
RentnerInnen und Jugendliche einen gnadenlosen Ausverkauf sozialer 
Rechte. In seiner ersten Amtszeit knüpfte der „Genosse der Bosse“ nach 
„Anlaufschwierigkeiten“ nahtlos an die Politik der Kohl-Regierung an. 
Zum Beginn der zweiten  Legislaturperiode folgt auf die Demontage der 
sozialen Sicherungssysteme unter Rot-Grün jetzt ein Konfrontationskurs, 
mit dem die vollständige Zerschlagung des so genannten Sozialstaats und 
die Abschaffung von erkämpften Rechten ins Visier genommen werden.
Schröder wurde von den Konzernchefs auf Linie getrimmt. Als willfähriger 
Diener des deutschen Kapitals, das im verschärften kapitalistischen 
Konkurrenzkampf die Nase vorn haben will, gibt der Kanzler wieder, was 
die Hundts und Rogowskis hören möchten: Europa (natürlich mit 
Deutschland an der Spitze) soll bis 2010 „zum dynamischsten 
Wirtschaftsraum“ werden. Wirtschaftliche und militärische Aufrüstung 
sind angesagt. Frühkapitalistische Verhältnisse drohen.
Diese neoliberale Offensive muss gestoppt werden. Dafür ist eine 
Auseinandersetzung in den Gewerkschaften für einen grundlegenden 
Kurswechsel nötig.  Dafür braucht es aber auch eine eigenständige 
politische Kraft, die konsequent für die Interessen der arbeitenden und 
erwerbslosen Bevölkerung kämpft – eine neue Arbeiterpartei.

Zwei Initiativen: „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und Wahlpolitische 
Alternative 2006

Für den Ersten Bevollmächtigten der IG Metall in Schweinfurt, Klaus 
Ernst, hat sich die SPD mittlerweile „in eine Partei der sozialen Kälte 
verwandelt.“ Vor einem Jahr organisierte Ernst einen Streik von SKF, 
Kugelfischer und anderen Metallbetrieben gegen die Agenda 2010. Auf dem 
außerordentlichen IGM-Gewerkschaftstag im letzten Sommer forderte er, 
den Schmusekurs der DGB-Spitze gegenüber der SPD aufzugeben. Im März 
diesen Jahres gehörte Klaus Ernst nun zu den Initiatoren eines Aufrufs 
„Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Darin heißt es, dass die SPD „sich 
zur Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach 
oben entwickelt“ habe und zu einem „Kanzlerwahlverein“ mutiert sei. 
Neben Klaus Ernst sind die Ersten Bevollmächtigten Peter Vetter 
(Kempten) und Thomas Händel (Fürth), zwei IGM-Vorstandsmitglieder, Gerd 
Lobboda und Günther Schachner, sowie Herbert Schui von der Hochschule 
für Wirtschaft und Politik an dieser Initiative beteiligt. Bis auf eine 
Ausnahme sollen alle Initiatoren SPD-Mitglieder sein und der Partei 
zwischen 30 und 43 Jahren angehören. Nach eigenen Angaben treten sie für 
ein Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für 
die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaats und für ein sozial gerecht 
finanziertes Gemeinwesen stark machen. Im Aufruf heißt es weiter: „Aus 
diesem Bündnis könnte eine bei der nächsten Bundestagswahl wählbare 
soziale Alternative entstehen. Diese mögliche Entwicklung schließen wir 
ausdrücklich ein.“ Laut Klaus Ernst könnte das Projekt „durchaus in die 
Gründung einer neuen politischen Partei münden.“ Auf ihrer 
Pressekonferenz am 19. März wurde das allerdings relativiert. Zunächst 
wollen sie auf die SPD "Druck ausüben, zuvorderst auf die 
SPD-Regierungspolitik". "Wenn sich nichts ändern lässt", so der Fürther 
IGM-Funktionär Thomas Händel, "schließen wir die Option nicht aus, zu 
gegebener Zeit Partei zu werden."
Neben dem Aufruf „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ peilt eine weitere 
Initiative ebenfalls eine „wahlpolitische Alternative“, ein mögliches 
linkes Wahlbündnis für die Bundestagswahl 2006 an. Zu diesem Kreis 
gehören Mitglieder und Ex-Mitglieder von SPD, PDS und Grünen, sowie 
Linksintellektuelle und ver.di-Funktionäre, namentlich ver.di-Sekretär 
Ralf Krämer aus der wirtschaftspolitischen Abteilung von ver.di, Jörg 
Bischoff, Redakteur der Monatszeitschrift Sozialismus, und Frieder Otto 
Wolf, früherer Europaabgeordneter für die Grünen. Am 5. März kamen gut 
30 Akteure zu einem Strategiegespräch im Berliner DGB-Haus zusammen. 
Begründet wird dieser Schritt auf der Website www.wahlalternative.de 
folgendermaßen: „Wahlergebnisse und Mitgliederentwicklung der 
Sozialdemokratie zeigen, dass viele BürgerInnen sich von der Politik der 
Agenda 2010 getäuscht fühlen. (...) Politische Resignation und 
Passivität bringen uns dem unverzichtbaren Politikwechsel im Interesse 
der Mehrheit der Bevölkerung nicht näher, sondern stärken nur 
diejenigen, die noch radikaler als Rot-Grün soziale Errungenschaften 
demontieren wollen.“ In einer "Klarstellung zu Schill" vom 11. März 
heißt es: "Wir wollen nicht Sündenböcke für soziale Probleme 
verantwortlich machen, sondern soziale Ungerechtigkeit bekämpfen." 
Angekündigt wird ein bundesweites Netzwerk  zur Diskussion einer 
Wahlalternative.
In dem Positionspapier „Für eine wahlpolitische Alternative 2006“ ist 
die Rede davon, dass „den vielen Betroffenen des neoliberalen Umbaus 
(...) ebenso eine parlamentarisch-politische Repräsentanz“ fehlt „wie 
der sich entwickelnden sozialen Bewegung und außerparlamentarischen 
Opposition oder den Gewerkschaften.“ Es wird eingeschätzt, dass das 
Potenzial für eine solche Kraft „deutlich über das bisherige links von 
SPD und Grünen hinausgeht und in erheblichen Teilen auch gar kein im 
Selbstverständnis linkes Potenzial ist.“ „Die zentralen Attribute, die 
mit dem Projekt verbunden werden müssen, sind: sozial, Gerechtigkeit, 
Frieden, Arbeit, offener Bildungszugang, Alternative, aber auch 
Fortschritt und Zukunft für alle.“

Ist eine Linkspartei nötig?

In dem Positionspapier „Für eine wahlpolitische Alternative 2006“ wird 
richtigerweise festgestellt: „Dass es zu einer erneuten grundlegenden 
Umorientierung der SPD oder Grünen im Sinne einer sozial orientierten 
Politik gegen den Neoliberalismus kommen kann, ist unrealistisch.“ Im 
Bezug auf die PDS heißt es, sie habe sich „insbesondere durch ihre 
Regierungsbeteiligung in Berlin zusätzlich desavouiert“ (bloßgestellt). 
„Sie erscheint sehr auf sich selbst und auf Mitregieren fixiert.“
Wohl wahr. Um es auf den Punkt zu bringen: Die SPD hat vollständig die 
Seiten gewechselt. Die PDS ist kein Angebot für eine kämpferische, 
antikapitalistische geschweige denn sozialistische Politik. Die 
Unternehmer haben heute mehrere Parteien; ArbeiterInnen, Jugendliche und 
sozial Benachteiligte haben derzeit keine eigene politische 
Interessenvertretung.
Höchste Zeit, eine neue politische Kraft für die arbeitende Bevölkerung 
aufzubauen. Die Sozialistische Alternative tritt seit einigen Jahren für 
die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei ein. Um diese Idee zu 
verbreiten und den Kampf gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau politisch 
weiter zu bringen, haben SAV-Mitglieder die Gründung linker 
Wahlbündnisse auf lokaler Ebene unterstützt, selbst angestoßen oder 
eigenständig mit unserem Programm und der Forderung nach einem Aufbau 
einer neuen Arbeiterpartei kandidiert. Außerdem haben wir in den 
Gewerkschaften und in Sozialbündnissen für Schritte in diese Richtung 
argumentiert.
Eine neue politische Interessenvertretung für ArbeiterInnen und 
Jugendliche würde helfen, verschiedene Kämpfe miteinander zu verbinden, 
Erfahrungen auszutauschen und den Widerstand gegen Sozialkürzungen zu 
stärken. Das könnte dem Protest einen Ausdruck verschaffen, diesen auf 
die politische Ebene tragen und im Fall von Wahlerfolgen dazu beitragen, 
dass die Protestbewegung in den Parlamenten ein Sprachrohr bekommt. Eine 
solche politische Neuformation könnte auch ein bedeutendes Forum für 
politische Debatten zu Programm und Perspektiven bieten. Darüber wäre es 
möglich, Ideen für eine grundlegende Veränderung von Wirtschaft und 
Gesellschaft in den Klassenkämpfen zu verankern. In den neunziger Jahren 
erschwerte die TINA-Propaganda Gegenwehr („There Is No Alternative“, 
Maggie Thatcher). Die Entwicklung einer gesellschaftlichen Alternative 
würde dagegen heute Kämpfe ermutigen.

SPD – Für ArbeiterInnen zurückzugewinnen?

Die Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" erklärte auf ihrer 
Pressekonferenz am 19. März, dass die SPD unter Schröder sich zur 
"Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung  von unten nach 
oben" entwickelt habe. Ein Schlüsselerlebnis sei für die langjährigen 
Parteimitgliedern gewesen, wie mit den Regionalkonferenzen im 
vergangenen Jahr im "Top-Down-Stil" die Agenda 2010 "durchgestellt" 
worden sei. Dennoch eierten sie bei der Frage, ob ein klarer Bruch der 
Gewerkschaften mit der SPD und eine neue Parteigründung nötig ist, 
herum. Im Hinblick auf die drohenden Parteiausschlüsse erklärte Thomas 
Händel, Erster Bevollmächtigtet der IG Metall Fürth: "Wir wollen es 
wissen von der Partei, ob Sozialstaatler in ihr keinen Platz mehr haben."
Ihre Haltung erinnert an die britische Kampagne "Reclaim Labour" 
(gemeint ist damit, Labour für die ArbeiterInnen und für die 
Gewerkschaftsbewegung zurückzuerobern). Obwohl dort mehrere 
Gewerkschaftsführer dahinter stehen, hält Tony Blair am Kürzungsmassaker 
und an der Kriegspolitik fest beziehungsweise gelingt es nicht, Blair 
und Co zu stürzen und einen grundlegenden Kurswechsel einzuleiten. Vor 
einem Monat wurde die Eisenbahngewerkschaft RMT aus New Labour 
ausgeschlossen, nachdem sie entschied, es regionalen Gliederungen frei 
zu stellen, die (in Großbritannien traditionell üblichen) 
Beitragszahlungen seitens der Gewerkschaft an Labour weiterhin zu bezahlen.
Eher wird wahrscheinlich ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass 
New Labour oder Schröders SPD noch einmal für die arbeitende Bevölkerung 
zurückzugewinnen sein werden. Diese Parteien haben sich in durch und 
durch kapitalistische Parteien umgewandelt. Die SPD verlor seit 1990 ein 
Drittel ihrer Mitglieder, unter Schröder forcierte sich der 
Mitgliederschwund dramatisch: Seit dem Regierungsantrtt 1998 traten 
125.000 aus, im Januar 2004 allein 12.000. Auf Wahlebene wenden sich 
ArbeiterInnen scharenweise von der SPD ab. In Umfragen dümpelt die SPD 
bei unter 30 Prozent vor sich hin. Außerdem haben sich die 
Kräfteverhältnisse fundamental gewandelt: Die Jusos sind nur noch ein 
Karrieresprungbrett, die AfA nicht mehr als einflusslose Phrasendrescher 
in Sachen "sozialer Gerechtigkeit" und die Parlamentarische "Linke" 
völlig auf Parteilinie. Auch Schröders Rücktritt vom Parteivorsitz wird 
keinen Wechsel einleiten. Müntefering und Co stehen ebenfalls 
geschlossen hinter der Agenda 2010. Schröder, Müntefering und der neue 
Generalsekretär Benneter wurden in den letzten Wochen nicht müde zu 
betonen, dass keine wirklichen Abstriche an der Agenda 2010 denkbar sind.

Rot-Grün - das kleinere Übel?

Auf dem AfA-Kongress der SPD im März hielt der Delegierte Klaus Schüller 
aus Eisenach Franz Müntefering vor: „Wir können nicht argumentieren: Ihr 
könnt die CDU nicht wählen, die amputiert euch zwei Beine. Wählt die 
SPD, die amputiert euch nur eins.“
CDU/CSU und FDP kommt die Aufgabe zu, Rot-Grün im Interesse der 
Kapitalisten von rechts unter Druck zu setzen. So preschen sie mit der 
Forderung nach Kopfpauschale in der Gesundheitspolitik oder nach 
weiteren drastischen Spitzensteuersenkungen vor. Rogowski, Chef des 
Bundesverbands der Deutschen Industrie, und andere aus dem 
Unternehmerlager sprechen sich heute für die Fortsetzung der 
Schröder-Regierung aus – solange, bis sie sich aus ihrer Sicht 
verbraucht hat. Vom Standpunkt der arbeitenden Menschen aus hilft es 
allerdings wenig, sich damit zu trösten, dass Ulla Schmidts 
Gesundheitspolitik nur ein Bein amputieren möchte (abgesehen davon, dass 
ein größerer Unterschied zu Union und FDP gar nicht mehr existiert). 
Sowohl was Umfang als auch was das Tempo des Sozialabbaus angeht, 
übertreffen Schröder und Co die Kohl-Regierung. Heute erleben wir, dass 
jede neue Regierung von etablierten Parteien nicht nur an der 
Vorgänger-Regierung anknüpft, sondern noch was drauf setzt.
Angeblich stärkt eine linke Kandidatur nur die Rechte? Darum 
argumentieren Teile des heutigen Gewerkschaftsapparates zum Beispiel 
dafür, den Schröders und Fischers als „kleineres Übel“ zähneknirschend 
weiterhin die Stimme zu geben. Sollen wir für dumm verkauft werden? Eine 
Stimme für rechte Politik stärkt rechte Politik – nichts anderes ist 
eine Stimme für Schröder oder Fischer. Eine Stimme für eine linke 
Alternative dagegen stärkt linke Politik.
Die Erfolgsaussichten eines linken Wahlbündnisses sind davon abhängig, 
in wie weit der Widerstand in den Betrieben und Stadtteilen gestärkt 
wird. Um wirkliche Veränderungen zu erreichen, muss eine mächtige 
Protestbewegung von den Lohnabhängigen und anderen vom Sozialkahlschlag 
Betroffenen aufgebaut werden. Würde eine SPD-geführte Regierung durch 
solch eine Bewegung gestürzt, hätte es jede neue Regierung schwieriger, 
die Rotstiftpolitik fortzusetzen.

Welche Schritte sind jetzt nötig?

Für Sonntag, den 6. Juni plant die Wahlpolitische Alternative 2006 eine 
Konferenz. Für sie sollte offensiv mobilisiert werden. Kämpferische 
Vertrauensleute, VertreterInnen der Gewerkschaftslinken, AktivistInnen 
sozialer Bewegungen, GlobalisierungskritikerInnen und politisch 
organisierte Kräfte auf der Linken sollten angesprochen werden. Zentral 
wäre es, eine Mobilisierungskampagne mit dem Ziel zu starten, auch ganz 
neue Schichten zu erreichen, die bislang nicht politisch aktiv waren. 
Zur Vorbereitung dieser Konferenz sollten bei einem offenen Treffen so 
schnell wie möglich mehr Kräfte einbezogen werden. Die SAV will sich 
daran aktiv beteiligen und einbringen.
  Mit den Initiatoren des zweiten bekannten Aufrufs, „Arbeit und soziale 
Gerechtigkeit“, sollte ebenfalls eine gemeinsame Vorbereitung der 
Konferenz angestrebt werden. Im Vorfeld dieser bundesweiten 
Zusammenkunft sollten lokale und regionale Vorkonferenzen angeboten 
sowie örtliche Strukturen gebildet werden. Darüber hinaus wäre es 
wichtig, Diskussionen zu einer linken Wahlalternative oder einer neuen 
Arbeiterpartei, Diskussionen zu Charakter und Programmatik, in 
gewerkschaftlichen Strukturen und Sozialbündnissen anzustoßen. Auch auf 
der für Mai angesetzten Perspektivkonferenz von Attac und ver.di sollte 
die Frage einer neuen Partei aufgeworfen werden.
Die Debatten über Kandidaturen und Parteistrukturen sollten nicht 
losgelöst von der Protestbewegung gegen die Agenda 2010 und den 
betrieblichen und lokalen Auseinandersetzungen geführt werden. Es gibt 
die Chance, zehntausende von ArbeiterInnen und Jugendlichen anzuziehen – 
aber nur dann, wenn die Verbindung zu den akuten Problemen und aktuellen 
Konflikten gezogen wird.

Warum sind SPD, PDS und Grüne gescheitert?

Wir leben in einer Klassengesellschaft. Auf der einen Seite stehen 
diejenigen, denen das große Geld, das Kapital, die Banken und die 
Fabriken gehören. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nichts 
weiter besitzen als ihre Ware Arbeitskraft, die sie auf dem Markt 
verkaufen müssen. Auch wenn die Zahl der IndustriearbeiterInnen in den 
vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist, nahm die Arbeiterklasse 
zahlenmäßig stark zu. Immer mehr Reichtum konzentriert sich in immer 
weniger Händen. Die "Mittelklasse", die Klasse der kleinen 
Selbstständigen, Handwerker und Bauern, ist enorm geschrumpft.
Jede Partei muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht. SPD, PDS 
und Grüne haben sich entschieden. Sie sind nicht bereit, sich mit einem 
Deutsche-Bank-Chef Ackermann anzulegen, der letztes Jahr elf Millionen 
Euro kassiert hat. SPD, PDS und Grüne haben den Frieden mit diesem 
System gemacht. Sie stellen Privateigentum, Konkurrenz und Profitstreben 
nicht in Frage. Solange die Gesellschaft jedoch in Klassen gespalten 
ist, solange die Kapitaleigner ihren Profit über die Aneignung des von 
der Arbeiterklasse geschaffenen Reichtums erzielen, solange werden 
Lohnabhängige ausgebeutet. In Zeiten kapitalistischer Krise verschärft 
sich diese Ausbeutung.
Die SPD hat sich seit Mitte der neunziger Jahre in eine durch und durch 
bürgerliche Partei umgewandelt. Als Arbeiterpartei gegründet, änderte 
sie spätestens zum Zeitpunkt der Unterstützung des imperialistischen 
Kriegs 1914 entscheidend den Charakter: von einer Arbeiterpartei in eine 
Partei, in der die Basis und Anhängerschaft proletarisch blieb, an deren 
Spitze sich aber eine bürgerliche Führung durchsetzte. Auf Grund dieses 
Doppelcharakters konnte die Partei jahrzehntelang von ArbeiterInnen, 
Angestellten und Beamten zumindest noch unter Druck gesetzt werden. Da 
diese traditionelle Basis der SPD heute weggebrochen ist, konnten 
Schröder, Müntefering und Co ihre arbeiterfeindliche Politik ohne 
größeren Widerstand in den eigenen Reihen forcieren. Die PDS ist eine 
(fast ausschließlich ostdeutsche) reformistische Partei, die kaum in den 
Betrieben verankert ist. Wegen der Schwäche der Parteilinken konnte die 
Parteispitze um Lothar Bisky schnell in die Fußstapfen 
rechtssozialdemokratischer (Regierungs-)Politik treten. Für die Grünen 
war die Arbeiterbewegung von Anfang an ein Buch mit sieben Siegeln.
In der Erklärung der Wahlalternative wird die Notwendigkeit betont, "ein 
breites Spektrum der Bevölkerung" anzusprechen, im Kern „die 
Arbeitnehmermilieus, die auch die Hauptbasis für Rot-Grün sind 
beziehungsweise waren." Diese Herangehensweise ist begrüßenswert. 
Allerdings wird sie am Schluss wieder ein Stück weit relativiert: „Es 
bedarf eines neuen Anlaufs der politischen Artikulation und Formierung 
eines alternativen gesellschaftlichen Blocks von Arbeit und 
Wissenschaft, Bewegungen und Kultur gegen den herrschenden Block des 
Kapitals und des Neoliberalismus.“ Das klingt danach, dass diejenigen, 
die von der Kürzungsorgie direkt betroffen sind, Fokus aber nicht 
Hauptakteure eines neuen Bündnisses sein sollen.
Als die SPD vor hundert Jahren immer mehr Parlamentsposten erobern 
konnte, geriet die Partei immer mehr unter Druck durch bürgerliche 
Kräfte und war ideologisch dem Einfluss der herrschenden Klasse 
ausgesetzt. Mangels Diäten bekamen damals diejenigen erheblich mehr 
Gewicht, die auf Grund höherer Einkommen die Parlamentsarbeit 
finanzieren konnten. Damit einhergehend bekamen die hauptamtlichen 
Funktionäre der Partei das Vierfache eines durchschnittlichen 
Arbeiterlohns. Die wachsenden Privilegien der Parteispitze führten dazu, 
dass diese sich erst materiell, dann politisch immer mehr von denen 
entfernte, die sie eigentlich zu vertreten hatten. Damit eine neue 
Arbeiterpartei nicht den Weg einer zweiten SPD einschlägt, gilt es in 
Theorie und Praxis konsequent "Partei" für die arbeitende Bevölkerung zu 
ergreifen. Außerdem muss neben anderen Maßnahmen auch über eine 
Begrenzung der Einkommen auf ein durchschnittliches Arbeitnehmergehalt 
von vornherein sichergestellt werden, dass Parteifunktionäre nicht 
abheben können.

Für eine kämpferische Politik

Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar kam das linke Wahlbündnis 
Regenbogen nur auf enttäuschende 1,1 Prozent. Das ist nicht auf einen 
angeblichen Rechtsruck zurückzuführen. Im Gegenteil. Bei der 
gleichzeitig durchgeführten Volksabstimmung über den Verkauf der 
Krankenhäuser votierten von den 800.000 Beteiligten 76 Prozent gegen 
Privatisierung. Das Regenbogen-Ergebnis zeigt bloß, dass eine linke 
Kandidatur nicht per se Zuspruch findet. Leider hat Regenbogen 
mehrheitlich einen linksintellektuellen Szene-Wahlkampf geführt. 
Regenbogen war in den meisten Stadtteilen nicht präsent. Vor allem wurde 
Regenbogen nicht als Kampfangebot gesehen. Die große Mehrheit von 
ArbeiterInnen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten ist heute bei 
einer neuen Formation sehr skeptisch. Zu oft wurden sie verraten und 
verkauft. Warum soll ein neues Bündnis oder gar eine neue Partei anders 
sein?
Vertrauen muss erarbeitet, über gemeinsame Kämpfe erworben werden. Jede 
linke Kandidatur sollte Beschäftigte, denen die Entlassung droht, oder 
ErzieherInnen und Eltern, die von der Schließung einer Kita betroffen 
sind, ansprechen, ein Kampfprogramm entwickeln und Gegenwehr 
organisieren. Wie müsste sich eine neue politische Interessenvertretung 
von den existierenden Parteien konkret unterscheiden? Nehmen wir zum 
Beispiel die drohende Schließung des Bombardier-Werkes in 
Halle-Ammendorf: Am Anfang sollte Unterstützungs- und 
Öffentlichkeitsarbeit für die 800 von Entlassung bedrohten KollegInnen 
stehen. Mit regelmäßigen Besuchen vor Arbeitsbeginn, mit Infoständen in 
der Umgebung und mit Unterschriftensammlungen und Plakatieraktionen für 
den Erhalt könnte begonnen werden. Eine reale Hilfe wäre die Gründung 
eines Solidaritätskomitees. Mit Beschäftigten, Vertrauensleuten und IG 
Metall-AktivistInnen sollte dann wirksamer Widerstand gegen die 
Schließung diskutiert werden. Anträge und Zusammenarbeit mit anderen 
kämpferischen Vertrauensleuten und Gewerkschaftsmitgliedern innerhalb 
der IG Metall würden dann anstehen. Im Fall eines Streikes oder einer 
Betriebsbesetzung müssten Streikposten und Unterstützungsaktionen wie 
Geldsammlungen für die Streikenden mit organisiert werden. Kontakt und 
Austausch mit den anderen 34 Bombardier-Werken in Europa, allen voran 
mit den ebenfalls von Schließung bedrohten sechs Betrieben, wären nötig. 
Rundreisen, öffentliche Veranstaltungen, eine koordinierte 
Streikbewegung, möglicherweise verbunden  mit einer zentralen 
Großdemonstration wären Kampfmaßnahmen, die vorgeschlagen und mit 
organisiert werden müssten. Aufgabe einer neuen politischen 
Interessenvertretung wäre es natürlich auch, gemeinsam mit den 
Beschäftigten Alternativen zur Stilllegung zu entwickeln. Da Bombardier 
zur Schienenfahrzeugindustrie gehört, würde es in diesem Fall um ein 
Programm zum Ausbau des Bahnverkehrs gehen. Hier würden sich Fragen von 
Umwelt- und Energiepolitik stellen, von der Umstellung der 
Autoproduktion auf Güter des Nah- und Fernverkehrs, von Weiterbildung 
und Ersatzarbeitssplätzen, von Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- 
und Personalausgleich sowie von Rückverstaatlichung der Bahnindustrie in 
öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung. Eine 
linke Kandidatur oder Partei wäre gefordert, dazu Positionen zu 
entwickeln und diese gemeinsam mit den MetallerInnen und allen von der 
Unternehmerwillkür Betroffenen zu diskutieren. Eine solche 
Herangehensweise wäre meilenweit entfernt von der Politik durch SPD, 
Grüne und PDS. Ausgehend von solchen Anstrengungen sollten dann am 
Besten  im Kampf aktive KollegInnen bei den nächsten Wahlen als 
KandidatInnen vorgeschlagen und aufgestellt werden.
Örtliche oder je nach Stärke auch überregionale Kampagnen sind nicht nur 
nötig, um Anerkennung  und Verankerung zu erreichen. Solche Kämpfe und 
Kampagnen sind vor allem notwendig, weil sie den einzigen Weg 
darstellen, was zu bewegen und zu verändern. Das einzige, was 
Arbeitsplätze rettet, ist und bleibt schließlich der Kampf um den Erhalt 
der Arbeitsplätze.
In dieser Gesellschaft bestimmt die Wirtschaft die Politik, nicht 
umgekehrt. In den Parlamenten wird nur dann etwas geschehen, wenn vorher 
über den Kampf in den Betrieben oder in den Stadtteilen das 
Kräfteverhältnis zu Gunsten der arbeitenden Bevölkerung verschoben 
wurde. Linke Abgeordnete werden das Parlament in erster Linie als 
Plattform nutzen können, wo sie die Anliegen von ArbeiterInnen oder 
Erwerbslosen zu Wort kommen lassen.
In der Erklärung der Wahlalternative werden die außerparlamentarischen 
Bewegungen korrekt als "primäre Bedeutung für fortschrittliche 
politische Veränderung" eingestuft. Allerdings fehlt im Papier eine 
Strategie für Arbeitskämpfe, Streiks und Massenstreiks. Gleichzeitig 
wird herausgestellt, dass die Ansprüche der außerparlamentarischen 
Bewegungen "in staatliches Handeln umgesetzt werden können". Das macht 
hellhörig.
Es stellt sich die Frage, ob die VerfasserInnen die Möglichkeiten der 
Parlamente im bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem 
überschätzen. Die eigentliche Macht ist jedenfalls in den Chefetagen der 
Banken, Konzerne und Versicherungen konzentriert. Dort werden die 
wesentlichen Entscheidungen getroffen. Die Unternehmer sind außerdem in 
der Lage, über ihre ökonomische Macht auch politische Macht auszuüben, 
und dank ihrer Finanzmittel auf die parlamentarische Ebene massiv 
einzuwirken. Es wird von den Autoren der "Wahlpolitischen Alternative 
2006" zudem versäumt, auf die Instrumente der Herrschenden zu verweisen, 
mit denen dieser Staat in ihrem Interesse genutzt wird: Ob Drohung von 
Investitionsboykott oder Betriebsverlagerung, ob die 
Unterdrückungsfunktion von Armee, Polizei und Justiz durch die 
Kapitalistenklasse oder über Bestechung und Korruption.
Die Entwicklung der Grünen kann als Warnung dienen. Bei ihrem "Gang 
durch die Institutionen" nabelten sie sich von ihrer 
außerparlamentarischen Basis ab (die Basis bestand überwiegend im 
Kleinbürgertum, also unter StudentInnen, AkademikerInnen, 
Selbstständigen, nicht in der Arbeiterklasse). Jedenfalls gingen die 
Grünen ursprünglich aus der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung hervor. 
Nachdem sie 1978 in Hamburg und Niedersachsen in Landtagswahlen weniger 
als vier Prozent erhielten, bei der Bundestagswahl 1980 auf 1,5 Prozent 
kamen, konnten sie bereits 1983 mit 5,6 Prozent in den Bundestag 
einziehen. Heute werden unter einem grünen Außenminister von deutschem 
Boden aus Kriege geführt (1999 Balkan, 2001 Afghanistan). Unter einem 
grünen Umweltminister wird die Atompolitik fortgesetzt. Während die 
außerparlamentarischen Proteste gegen die Atomlobby immerhin erreichten, 
dass von den einst achtzig geplanten Atommeilern mehr als die Hälfte 
nicht gebaut wurden, koppelten sich die parlamentarischen VertreterInnen 
von der Bewegung schnell ab. Vor zwei Jahren wurde die damalige 
Grünen-Vorsitzende Claudia Roth ausgepfiffen und vom Traktor runter 
geholt, als sie im Wendland an den Anti-Castor-Aktionen teilnehmen wollte.

Für ein anti-kapitalistisches und pro-sozialistisches Programm

Heute gibt es zwar eine Reihe verschiedener Parteien und 
Regierungskonstellationen, aber nur eine Politik: Privatisierungen, 
Stellenstreichungen, Lohnklau, Unternehmergeschenke... Eine neue Partei, 
die für die arbeitende Bevölkerung eine grundlegende Alternative bieten 
soll, muss damit brechen. Ausgangspunkt für eine neue politische 
Interessenvertretung sollte die Ablehnung unternehmerfreundlicher 
Politik sein. Außerdem sollte diese Partei den Kampf gegen Sozialraub 
mit dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus verbinden und damit der 
Spaltung der arbeitenden Menschen entgegenwirken. Ein Programm, das sich 
konsequent auf die Seite der Lohnabhängigen stellt, müsste auch gegen 
Kriege, Abbau demokratischer Rechte und Umweltzerstörung vorgehen, da 
diese Entwicklungen die Folge des Profitstrebens der Banken und Konzerne 
sind.
Der neoliberale Einheitsbrei verweist auf die leeren Kassen. Aber wer 
hat sie in welchem Interesse geplündert? Die Großunternehmen und 
Finanzhäuser, die Reichen und Superreichen genießen heute 
Steuerprivilegien, Subventionen und Vergünstigungen, während bei den 
Beschäftigten, Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen die 
Daumenschrauben angesetzt werden. In Berlin muss jeder Vierte mit 
maximal 600 Euro über die Runden kommen, gleichzeitig sind Konzerne wie 
DaimlerChrysler oder Siemens in der Bundeshauptstadt genauso wie in 
anderen Städten der Republik von Steuerzahlungen weitgehend 
freigestellt. Die neue Steuerreform spült den Einkommensmillionären in 
diesem Jahr monatlich weit mehr als 5.000 Euro zusätzlich in die Kassen.
In dem Positionspapier der Wahlalternative wird die "Schwäche der 
Binnennachfrage als Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung" 
gegeißelt. Damit orientiert es sich an klassischen keynesianistischen 
Ideen. Der bürgerliche Ökonom Keynes, der in der ersten Hälfte des 20. 
Jahrhunderts wirkte, stellte den Kapitalismus nicht grundlegend in 
Frage. Er forderte lediglich, die Nachfrage in Krisenzeiten (unter 
anderem über eine höhere Kreditaufnahme des Staates) anzukurbeln, um im 
nächsten Aufschwung antizyklisch die Staatsverschuldung wieder 
herunterzufahren und die Angebotspolitik zu stärken. Die heutigen 
Keynesianer setzen verstärkt auf staatliche Interventionen gegen die 
anarchischen Kräfte des Marktes. Als SozialistInnen kämpfen wir 
natürlich dafür, die Massenkaufkraft zu unterstützen und dem 
Profitstreben entgegen zu wirken. Wir geben uns aber weder der Illusion 
hin, dass damit strukturelle Krisen des Kapitalismus überwunden werden 
könnten noch, dass die privaten Unternehmer Einschränkungen durch den 
Staat widerstandslos hinnehmen würden.
Das kapitalistische System ist voller Widersprüche: Auf der einen Seite 
große gesellschaftliche Bedürfnisse, auf der anderen Seite 
Betriebsschließungen und Massenentlassungen. Auf der einen Seite 1,9 
Milliarden Überstunden in der BRD im Jahr, auf der anderen Seite 
offiziell 4,5 Millionen Arbeitslose. Auf der einen Seite wurde das 
jährliche Bruttosozialprodukt seit 1960 verdoppelt, auf der anderen 
Seite wird Altersarmut wieder ein Massenphänomen. Für die Autoren der 
Wahlalternative soll sich die Diskussion "nicht um 'Reform oder 
Revolution', sondern um sozialen Reformismus oder weiteren Vormarsch der 
neoliberalen Reaktion" drehen. "Es geht nicht um eine neue explizit 
linkssozialistische Partei." Es wird unumstritten sein, dass eine neue 
"Linkspartei" in jedem Fall den Kampf für Reformen aufnehmen soll. Aber 
was tun, wenn Sozialreformen in Zeiten struktureller statt 
konjunktureller Krisen, in Zeit von Massenarmut, Arbeitslosigkeit und 
kapitalistischem Niedergang begrenzt beziehungsweise vorübergehend sind? 
Die Frage stellt sich dann, ob man sich der Logik der Marktwirtschaft 
beugt, oder den Kampf gegen Konterreformen mit dem Kampf für eine 
grundlegend andere, sozialistische Gesellschaft verbindet? Dafür tritt 
die SAV ein. Unserer Meinung nach sollte eine neue Parteigründung diese 
Frage nicht von vornherein ausklammern, sondern ergebnisoffen diskutieren.
In der DDR gab es keinen Tag Sozialismus. Dort waren die 
Produktionsmitel zwar in Gemeineigentum überführt und die 
Murkswirtschaft durch eine Planwirtschaft ersetzt, doch wurde nicht 
unter Beteiligung der Arbeiterklasse auf allen Ebenen demokratisch 
geplant. Stattdessen existierte eine abgehobene privilegierte Bürokratie 
an der Spitze des Staates, die dafür sorgte, dass eine Karikatur auf die 
sozialistische Gesellschaft entstand.
Manche auf der Linken mögen denken: Natürlich sind sozialistische Ideen 
politisch richtig, kosten aber Stimmen und schrecken potenzielle 
MitstreiterInnen ab. Die SAV teilt diese Ansicht nicht. In Irland konnte 
die SAV-Schwesterpartei Socialist Party mehrere Stadtratssitze und einen 
Parlamentsposten erobern. Ausschlaggebend war die Verhinderung von 
Wassergebühren in Dublin durch eine Massenkampagne, die von Mitgliedern 
der Socialist Party angeführt wurde. Auf dieser Basis war die 
sozialistische Ausrichtung kein Hindernis. Viele ArbeiterInnen 
verstanden, dass das Programm und die Kampfvorschläge der SozialistInnen 
den Positionen aller anderen politischen Gruppen und Organisationen 
überlegen waren. Nicht wenige beteiligten sich auch aktiv am Wahlkampf. 
Generell stellten unsere irischen GenossInnen eine große Offenheit 
gegenüber sozialistischen Ideen fest. Gleiches gilt für England, wo die 
dortige Socialist Party in Coventry und London-Lewisham fünf 
Stadtratspositionen gewann.
In Österreich konnte die dortige Kommunistische Partei, die KPÖ, vor 
einigen Jahren in Graz ein im bundesweiten Vergleich herausragendes 
Wahlergebnis erzielen. Das gelang ihnen auf Grundlage einer Kampagne für 
die Rechte von MieterInnen. In diesem Fall war der Parteiname auch kein 
Hindernis, in neue Schichten vorzustoßen.

Für demokratische Strukturen

Die Initiative für eine Linkspartei oder ein linkes Wahlbündnis sollte 
von Anfang an so angelegt sein, dass sich AktivistInnen und 
Interessierte angesprochen und einbezogen fühlen. Soll ein solcher 
Vorstoß abheben, benötigt es die aktive Beteiligung von kämpferischen 
Vertrauensleuten, Gewerkschaftslinken, VertreterInnen aus der sozialen 
Bewegung, der Antikriegsbewegung, UmweltschutzaktivistInnen, 
SozialistInnen, vor allem aber auch KollegInnen und 
Arbeiterjugendlichen, die gerade beginnen sich  politisch oder 
gewerkschaftlich zu engagieren.
Die SPD und die stalinistischen Organisationen waren völlig 
undemokratisch aufgebaut. Gerade auf Basis dieser Erfahrungen besteht 
eine besondere Sensibilität bezüglich Demokratie, Transparenz und 
Offenheit. In Britannien isolierte sich Arthur Scargill mit seiner Mitte 
der neunziger Jahre gegründeten Socialist Labour Party genau aus diesem 
Grund. Trotz seines Ansehens als Vorsitzender der britischen 
Bergarbeitergewerkschaft NUM im Streik 1984/85 stieß er die meisten 
potenziellen UnterstützerInnen einer solchen Partei vor den Kopf, da 
Scargills Parteikonzept undemokratisch und sektiererisch war, in dem 
kein wirklicher Austausch politischer Differenzen zugelassen wurde.
Um so besorgter machen uns die Überlegungen in dem ersten ausführlichen 
14-seitigen Entwurf der Wahlalternative vom 5. Februar. Dort heißt es: 
"Der Ansatz (...) ist in der ersten Etappe ein Top-Down-Projekt." Die 
Ausführungen in dem Papier erwecken den Eindruck, dass zuerst ein 
ausgewählter Kreis zusammenkommen und das Projekt gestalten sowie 
politisch ausrichten soll. Erst wenn die Weichen gestellt sind, soll das 
Ganze dann für andere geöffnet werden. Ohne die unmittelbare Öffnung für 
alle diejenigen, die mit einer solchen Wahlalternative erreicht und 
repräsentiert werden sollen, läuft man jedoch Gefahr, das Potenzial der 
betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen oder der Akteure aus 
den sozialen Bewegungen nicht zu nutzen. Mehr noch, damit provoziert man 
Misstrauen und Ablehnung gegenüber dem Projekt.
Die SAV tritt dafür ein, dass eine neue Partei ein Sammelbecken ist für 
GewerkschafterInnen, GlobalisierungskritikerInnen, SozialistInnen, 
AntifaschistInnen, UmweltschützerInnen, Frauenrechtlerinnen und andere. 
Bestehenden Organisationen sollte es möglich sein, ihre Identität und 
Struktur aufrechtzuerhalten. Es sollte allen Gruppen und Organisationen 
freigestellt sein, eine Plattform zu bilden und für die eigenen 
Überzeugungen offen aufzutreten.
Damit eine solche Partei nicht bürokratisch degeneriert, gilt es unserer 
Meinung nach, bestimmte Grundprinzipien zu beherzigen; Grundprinzipien, 
wie sie beim Aufbau der Arbeiterbewegung entwickelt wurden. Dazu gehört 
die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von FunktionärInnen, eine 
allgemeine Rechenschaftspflicht von Funktionären und Leitungsgremien 
gegenüber der Mitgliedschaft und regelmäßige Konferenzen auf allen 
Ebenen. Entscheidungen sollten nach einem intensiven Diskussionsprozess 
mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Um ein Abheben von Funktionären 
im Keim zu ersticken, sollten alle in verantwortlichen Positionen nicht 
mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn erhalten. Diese Ideen 
gehen auf die Pariser Kommune 1871 zurück, wurden von SozialistInnen wie 
Luxemburg, Liebknecht, Lenin oder Trotzki aufgegriffen und in den 
revolutionären Bewegungen am Ende des Ersten Weltkriegs ebenfalls 
angewendet.
Beim Aufbau einer neuen politischen Formation wird heute auch das Recht 
auf Autonomie lokaler Gruppen wichtig sein. Auf Grund des 
Zusammenkommens verschiedener Kräfte mit verschiedenen Erfahrungen und 
Traditionen in den Protestbewegungen und auf der Linken sollten lokale 
Gruppen Spielraum für eigene Schwerpunktsetzungen bekommen. 
Voraussetzung dafür wäre, dass sie auf Grundlage einer gemeinsamen 
Plattform agieren würden. Darunter wäre mindestens die Ablehnung aller 
Lohn-, Sozial- und Bildungskürzungen, die Ablehnung von Kriegspolitik 
und Umweltzerstörung, sowie Opposition gegenüber jeglicher 
Diskriminierung (ob gegen Frauen, ImmigrantInnen oder gegen Schwule, 
Lesben und Bisexuelle) zu verstehen.

Für einen Kurswechsel der Gewerkschaften

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hält die Erwägungen einer 
Parteigründung "für einen Fehler, für eine Torheit" (FAZ vom 15. März 
2004). "Sektierertum hat noch nie zum Erfolg geführt." Die 
Gewerkschaftsführung versucht nach wie vor, die Bande zwischen SPD und 
Gewerkschaften aufrechtzuerhalten. Bei der Bundestagswahl 2002 ließ sie 
sich das noch zwei Millionen Euro Wahlkampfhilfe kosten. Da 
Gewerkschaftsmitglieder das Rückgrat einer neuen Arbeiterpartei 
darstellen sollten, muss der Kampf um einen Bruch der Gewerkschaften mit 
der SPD verstärkt werden. In gewerkschaftlichen Gliederungen sollten 
Anträge eingebracht werden, in denen diese Forderung mit der Diskussion 
über die beiden Initiativen von IG Metall- beziehungsweise 
ver.di-Mitgliedern verbunden wird. In den Bezirken sollten Debatten mit 
den ErstunterzeichnerInnen dieser Initiativen eingefordert werden.
Ein Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie reicht aber nicht. 
Die Gewerkschaften selber müssen grundlegend verändert werden. Zu Recht 
sagen sich immer mehr KollegInnen: Verzichten kann ich auch allein, 
dafür brauche ich keine Gewerkschaft. Die Kampfkraft der immerhin noch 
7,4 Millionen DGB-Mitglieder wird nicht entschlossen genutzt. Bei Hartz 
saßen VertreterInnen der DGB-Spitze mit am Tisch. Während die IG 
Metall-Führung in der jüngsten Tarifrunde betriebliche Vereinbarungen 
für Arbeitzeitverlängerungen erleichterte, lässt sich die ver.di-Spitze 
in Sachen "Neugestaltung des Tarifrechts im Öffentlichen Dienst" hinter 
den Kulissen auf Verhandlungen über die Streichung von Sonderzahlungen 
oder die Förderung von Flexibilisierung ein. Nötig ist eine 
programmatische und personelle Alternative in den Gewerkschaften. Diese 
Organisationen der Lohnabhängigen müssen endlich zu echten 
Kampforganisationen werden. Statt Co-Management ist die Mobilisierung 
der Beschäftigten branchenübergreifend bis hin zu Streiks, Vollstreiks 
und einem eintägigen Generalstreik das Gebot der Stunde. Deutliche 
Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und 
Personalausgleich, Ausbildung und Übernahme für alle Jugendlichen, 
Rückverstaatlichungen privatisierter Betriebe, Enteignung von Betrieben, 
die Firmenschließungen oder Entlassungen planen, unter demokratischer 
Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten – das sind Forderungen, die 
sich die Gewerkschaften wieder auf die Fahnen schreiben sollten. 
Außerdem ist eine Demokratisierung der Gewerkschaften erforderlich. Hier 
sind die gleichen Ansprüche wie im Bezug auf eine neue Partei zu stellen.

Welche Chancen hat eine Linkspartei?

Die Aussichten für die Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" und 
für die Wahlalternative sind völlig offen. Viel wird davon abhängen, ob 
sie den Diskussionsprozess öffnen und AktivistInnen und neue Schichten 
aus den Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ansprechen. 
Sollte im Sommer tatsächlich der Grundstein für ein neues linkes 
Wahlbündnis gelegt werden, ist auch damit noch kein Erfolg garantiert. 
An dem Vorstoß aus Bayern sind zwei IG-Metall-Vorstandsmitglieder 
beteiligt, an der Wahlalternative mehrere mittlere ver.di-Funktionäre. 
Entscheidend wird sein, ob sie bereit sind die Auseinandersetzung auch 
innerhalb der Gewerkschaften für eine klassenkämpferische Politik und 
eine innergewerkschaftliche Demokratisierung einzugehen – oder ob 
andere, die in diese Richtung gehen wollen, sich in dem Projekt 
durchsetzen können. Ohne die Einbeziehung einer größeren Zahl von 
aktiven Kräften oder die Verbindung zu realen Kämpfen und Protesten 
könnte ein solches Projekt auch im Sande verlaufen.
Ganz gleich, ob die beiden Initiativen abheben oder nicht, bestätigen 
sie eindeutig die fundamental veränderte Lage in der Bundesrepublik. Mit 
dem Klassenkampf von oben, mit der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie 
und mit der enormen Wut und Kampfbereitschaft unter ArbeiterInnen und 
Jugendlichen nehmen die Debatten innerhalb der Gewerkschaften im 
Hinblick auf einen Bruch mit der SPD und die Bildung einer neuen 
Arbeiterpartei zu. Auch für AktivistInnen von sozialen Bewegungen stellt 
sich zugespitzt die Frage nach einer politischen Alternative zum 
bürgerlichen Establishment.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass es beim Prozess der 
Herausbildung einer neuen Partei für die arbeitende Bevölkerung auch 
Rückschläge, Fehlstarts und Verzögerungen geben kann. In Deutschland ist 
in den kommenden Monaten und Jahren eine dramatische Zunahme von 
Arbeitskämpfen, Streiks bis hin zu Massenstreiks zu erwarten. Die 
politische Weiterentwicklung und die Erfahrung von AktivistInnen in 
diesen Klassenkämpfen wird entscheidend für das Entstehen und den 
substanziellen Aufbau einer neuen Partei sein.
In Köln, Aachen und anderen Städten von Nordrhein-Westfalen gibt es 
Bestrebungen, für die anstehenden Kommunalwahlen linke Wahlbündnisse zu 
gründen. Ähnliche Versuche gibt es in anderen Bundesländern. Schon vor 
den beiden Initiativen aus IG Metall und ver.di entzündeten sich in den 
Gewerkschaften Auseinandersetzungen zum Verhältnis mit der SPD, zum 
Beispiel beim letzten Gewerkschaftstag der IG Metall und der 
IGM-Bundesjugendkonferenz 2003. Die von ver.di und Attac vorbereitete 
Perspektivkonferenz im Mai wird eine Gelegenheit für weitergehende 
Debatten auf der Linken und in der Arbeiterbewegung über 
gesellschaftliche Alternativen bieten. Solche örtlichen linken 
Wahlbündnisse, Arbeiterkandidaturen und Diskussionsforen in den 
Gewerkschaften und in den sozialen Bewegungen können Schritte in 
Richtung einer neuen politischen Interessenvertretung für 
ArbeitnehmerInnen, Jugendliche und sozial Benachteiligte darstellen. 
Sollten sich die Initiativen "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" und die 
Wahlpolitische Alternative für andere AktivistInnen öffnen, neue 
Schichten ansprechen, demokratisch vorgehen und bereit sein, sich mit 
dem Kapital anzulegen, könnten daraus wichtige Kristallisationspunkte 
für eine neue Partei entstehen. Internationale Fortschritte könnten 
ebenfalls positive Impulse geben. Die SAV wird an diesen Kämpfen und 
Debatten aktiv und solidarisch teilnehmen, einen Beitrag leisten, um 
diese Prozesse zu fördern und für antikapitalistische und sozialistische 
Ideen eintreten.

Berlin, den 23. März 2004



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