[SAV-newsletter] Zur „Streik-Frage“ der Aktionskonferenz am 17. und 18. Januar

Stephan Kimmerle stephan.kimmerle at web.de
Sa Jan 24 16:57:21 CET 2004


 “Bis hin zu Streiks" - hin zu Streiks!

Durch einen Aufschrei der Aktionskonferenz wurde festgehalten: Widerstand „bis 
hin zu Streiks“ ist nötig, um den Sozialabbau zu stoppen.

Stellungnahme der SAV zur „Streik-Frage“ der Aktionskonferenz am 17. und 18. 
Januar

Am Ende gab es noch einen Eklat bei der Aktionskonferenz „Alle gemeinsam gegen 
Sozialkahlschlag“ am 17. und 18. Januar in Frankfurt am Main. Ein „Veto“ – 
aus Rücksichtnahme auf mögliche Bündnispartner in den Gewerkschaftsspitzen – 
wollten Werner Rätz und Peter Wahl als Vertreter des Attac-KoKreises, dem 
bundesweiten Leitungsgremium von Attac, einlegen. Dabei ging es um die 
Formulierung: „Wir wollen die Rücknahme der Agenda 2010, den Sozial-, 
Bildungs- und Lohnabbau stoppen und ihn nicht sozialverträglich mitgestalten, 
sondern leisten Widerstand. Für diese Ziele kämpfen wir auch bei den 
Europäischen Aktionstagen am 2. und 3. April 2004. Diese müssen durch 
vielfältige regionale und betriebliche Aktionen bis hin zu Streiks 
vorbereitet werden.“ Genauer gesagt ging es um den Teil der Formulierung „bis 
hin zu Streiks“, der Wahl und Rätz zu weit ging.

Wahl sprach später von einer „Popelsformulierung“ (jW, 20. Januar 04), doch 
für die Konferenz war dieses Thema nicht popelig: Es ging in den zwei Tagen 
darum, wie der Widerstand so gesteigert werden kann, dass er Banken, Konzerne 
und ihre Vertreter in den Regierungen und Parlamenten trifft und eine andere 
Politik erkämpft werden kann. Die SAV setzte sich dabei auf der Konferenz für 
Streiks und die Forderung nach einem eintägigen Generalstreik ein.
Die Attac-Führung, die auch schon bei der Vorbereitung des 1. November aus 
Angst vor einer „zu kleinen“ Demo gebremst hatte, als SAV-VertreterInnen für 
eine bundesweite Großdemonstration eintraten, gab darauf keine Antwort.

Die auf der Konferenz erkämpfte Formulierung muss nun in die Praxis umgesetzt 
werden. Der 2. April muss zu einem Streiktag gemacht werden. So kann auch der 
3. April am besten vorbereitet werden.
Für AktivistInnen und Vertrauensleute ist es häufig schwierig, sich gegen das 
Stillhalten und die Politik des Co-Managements der Gewerkschaftsführung in 
ihrem Betrieb bei den KollegInnen Gehör zu verschaffen und Widerstand zu 
organisieren. Frustration, Vereinzelung, Passivität auf Grund der 
Halbherzigkeit „der“ Gewerkschaften – all das muss durchbrochen werden. So 
kommt es, dass AktivistInnen oft skeptischer sind gegenüber Forderungen nach 
einem Generalstreik als breitere Kreise der KollegInnen. Gleichzeitig besteht 
aber – aktuell zum Beispiel aufgrund der Gesundheitsreform – spürbar Wut und 
Zorn.

Nötig sind Initiativen von Vertrauensleuten, Betriebs- und PersonalrätInnen 
sowie Delegierten auf allen Ebenen der Gewerkschaften, um gemeinsame Aktionen 
anzustoßen. Diese Aktionen müssen aber auch kraftvoll sein, um für alle 
KollegInnen deutlich zu machen, dass es sich lohnt daran teilzunehmen. Dazu 
reicht es nicht, immer wieder kleinere Aktionen, auch kleinere Streiks zu 
machen; damit verbunden müssen auch die Gewerkschaftsspitzen herausgefordert 
werden, Streiks im großen Stil zu organisieren. Nur so wird für die 
KollegInnen deutlich, dass es AktivistInnen ernst ist mit dem Widerstand und 
sie um eine Perspektive kämpfen, den Sozialraub zu stoppen.
Die Aufforderung an die Gewerkschaftsspitzen, endlich den Kampf ernsthaft 
aufzunehmen, ist wichtig. Gewicht bekommt sie, indem von unten damit 
weitergemacht wird. 

Schon am 29. April 2003 gab es in Schweinfurt einen Streik gegen Schröders 
Pläne: „Angeführt von dem Transparent: ‚Hartz, Rürup - was noch? Widerstand 
gegen Sozialraub‘ und vielen Fahnen der IG Metall. Vorbei an der 
Kugellagerfabrik SKF, wo sich noch einige Hundert Blaumänner einreihen. Ein 
imposanter Zug bewegt sich zum Kundgebungsplatz. Dort sind inzwischen 
dreitausend Kolleginnen und Kollegen von ZF Sachs, SKF, Bosch Star Rexrot, 
FAG Kugelfischer u.a. aus dem Schweinfurter Norden eingetroffen. Insgesamt 
stehen viertausend Metallarbeiter gegen die Pläne Schröders vor der 
Rednerbühne. Ihre Haltung haben sie unmißverständlich mit Pinsel und Farbe 
auf den Stoff gemalt: ‚Sozialabbau ist Krampf. Ihr fordert uns zum Kampf‘, 
‚Jugend kämpft mit‘ und ‚Gegenwehr. Schröder, wir kuschen nicht. 
Generalstreik‘. " (Labournet, 
http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/berichte/schweinfurt.html)

Ein Beispiel setzten auch die Kassler KollegInnen am 9. Dezember: 7.000 
Beschäftigte und Studiernde demonstrierten unter dem Motto „Stoppt die 
soziale Demontage, für den Erhalt der Tarifautonomie". „Darunter waren die 
Belegschaften aller großen Metallbetriebe Kassels und einiger aus dem Umland. 
Die Arbeiter von VW, DaimlerChrysler, Bombardier, Krauss-Maffei-Wegmann, 
Alstom, Bode und vieler kleiner und mittelständischer Betriebe hatten die 
Arbeit unterbrochen, um zusammen mit ihren Kollegen aus dem 
Regierungspräsidium, dem Klinikum, der Stadtreinigung, der Verkehrsbetriebe 
und den Hochschulbeschäftigten auf die Straße zu gehen. Mit Straßenbahnen und 
Bussen hatten die Fahrer der Kasseler Verkehrsbetriebe (KVB) zuvor ihre 
Kollegen von VW Baunatal und DaimlerChrysler im Industriegebiet der Kasseler 
Nordstadt abgeholt und zur Demonstration gebracht. [...] Sein Ende fand der 
für Kasseler Verhältnisse außerordentlich große Demonstrationszug beim 
Arbeitgeberverband. ‚Hier sitzen die Auftraggeber der Politiker‘, stellte 
Ullrich Messmer, 1. Bevollmächtigter der Kasseler IG Metall, fest. Er warnte 
Unternehmer und Regierung vor einer gesetzlichen Einschränkung der 
Tarifautonomie und des Flächentarifs. ‚Wer diese sozialen Errungenschaften 
angreift, riskiert eine Welle von Protesten‘, drohte der 
Gewerkschaftsfunktionär. [...] Noch radikaler traten die Vertreter der 
Schüler und Studierenden auf. Seit dem 1. November seien ‚über 350.000 
Menschen auf die Straße gegangen‘, rechnete Nico Weinmann vom Bündins ‚Jugend 
gegen Sozialkahlschlag‘ vor. Diese Kampfkraft müsse nun »in einem eintägigen 
Generalstreik zusammengeführt werden«, sagte er unter dem Applaus der 
Demonstranten. Und die Vertreterin der Studierenden, Miriam Fischer, 
erklärte: ‚Wenn man sich überlegt, wie viele Subventionen die Konzerne 
heutzutage einstreichen, kann man sagen, daß es im Grunde volkseigene 
Betriebe sind‘. Auch in anderen Teilnehmern kam angesichts des 
Mobilisierungserfolgs revolutionäre Stimmung auf. Seewald zitierte einen 
älteren Kollegen mit den Worten: ‚Es weht ein Hauch Paris '68 durch 
Nordhessens Gassen‘." (junge Welt, 10. Dezember 03, 
http://www.jungewelt.de/2003/12-10/001.php).

Derartige Aktionen sind auch in anderen Städten möglich! Sie können den Anstoß 
zu landes- und bundesweiten Streiks geben. Sie müssen bekannt gemacht und für 
sie muss in Betrieben und Gewerkschaften geworben werden. Anträge, Beschlüsse 
von Vertrauensleuten, Versammlungen auf allen Ebenen können sowohl die 
eigenen Handlungsmöglichkeiten zu örtlichen Streiks, als auch den Aufruf an 
die eigene Gewerkschaftsführung zu bundesweiten Aufrufen, Beschlüssen und 
Streiks beinhalten. Wie viel leichter wäre es, die eigenen KollegInnen zu 
überzeugen, dass sich Wiederstand lohnt, wenn endlich auf bundesweiter Ebene 
von den Gewerkschaften ernst gemacht werden würde und eine Perspektive 
entstehen würde, Schröder, Stoiber und Co Einhalt zu gebieten!

Die derzeitigen Angriffe auf alle sozialen Errungenschaften, auf 
gewerkschaftliche und betriebsrätliche Rechte, auf Arbeitszeit und 
-bedingungen - sie alle finden vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise 
statt. Schröders Agenda 2010, die er mithilfe einer großen Koalition 
verwirklicht, vollzieht, was die Unternehmer brauchen: Die Sanierung ihrer 
Profite auf Kosten des Lebensstandards, der Gesundheit und der demokratischen 
Rechte der Masse der Bevölkerung.

Diese Pläne sind nicht einfach „weg zu demonstrieren". Entscheidend war am 1. 
November, dass ein Anfang gemacht wurde und Hunderttausend die Blockade der 
Gewerkschaftsspitzen durchbrachen, jeden Widerstand zurück zu halten. Aber 
demonstrieren allein ist nicht genug. Nötig sind Streiks und Massenstreiks. 
Ein eintägiger Generalstreik wäre dabei ein Schritt, Streiks 
zusammenzufassen, KollegInnen zu ermutigen und deutlich zu machen, welche 
Kraft die Arbeiterklasse in dieser Gesellschaft hat. Er würde die 
Ausgangslage aller folgenden Kämpfe grundlegend verändern. Damit wäre nicht 
alles gewonnen, aber ein für den jetzigen Stand der Bewegung in Deutschland 
enorm wichtiger Schritt vollzogen, den Widerstand zu entwickeln, der die 
Konzerne und ihre Regierungen stoppt.

Auch Streiks lösen nicht alle Probleme. Politische Antworten auf den 
Einheitsbrei von Kahlschlag und Kürzungen sind notwendig. Aber mit Streiks 
werden auch diese Fragen auf einer zugespitzten Ebene aufgeworfen.

Ein Generalstreik kann in der augenblicklichen Situation nicht von einer 
Aktionskonferenz ausgerufen werden. Die Gewerkschaftsführung sitzt dazu zu 
fest im Sattel. Aber wir können dafür sorgen, dass sie dort auf heißen Kohlen 
sitzen: Wenn die Breite der gewerkschaftlichen Mobilisierung zum 1. November 
genutzt wird, um innerhalb der Gewerkschaften um eine Steigerung der Proteste 
zu kämpfen mit einer Vorstellung, wie dies aussehen kann; wenn das verbunden 
wird, mit lokalen und landesweiten Streiks; wenn damit der Druck weiter 
gesteigert wird: dann wird auch die Geschwindigkeit hin zu Massenstreiks in 
Deutschland österreichische oder französische Verhältnisse erreichen und  
übertreffen.

Sozialistische Alternative, SAV, 23. Januar 04



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