[SAV-newsletter] Auswertung des Gewerkschaftstags der IG Metall

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Mi Sep 3 14:45:30 CEST 2003


Gewerkschaftstag der IG Metall:

Vorläufiges Patt zwischen „Modernisierern“ und „Traditionalisten“ –
beide bieten keinen Ausweg aus der Krise der Gewerkschaften
von Daniel Behruzi

Die offene und öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung in der 
IG-Metall-Spitze hat ein vorläufiges Ende gefunden. Der Gewerkschaftstag 
folgte am Sonntag (31.8.03) dem zwischen Jürgen Peters und Berthold 
Huber ausgehandelten Kompromiss: der von den bürgerlichen Medien als 
„Traditionalist“ titulierte Peters wurde erster, der 
baden-württembergische Bezirksleiter und angebliche „Modernisierer“ 
Huber zweiter Vorsitzender der mit 2,6 Millionen Mitgliedern weltweit 
größten Industriegewerkschaft. Allerdings verpassten die knapp 600 
Delegierten ihren Spitzenfunktionären, die beide ohne Gegenkandidat 
antraten, einen Denkzettel: Sie erhielten mit 66 bzw. 67 Prozent äußerst 
niedrige Stimmenergebnisse. Das könnte auch ein Zeichen für die unter 
den Funktionären fortbestehende Spaltung sein.

Das Wahlergebnis ist keineswegs ein Sieg für den vermeintlich 
kämpferischeren „Traditionalisten“ um Peters. Der Kompromiss beinhaltete 
die Zusage des bisherigen Vize, das Zepter nach einer Wahlperiode von 
vier Jahren an Huber zu übergeben. Auch hatten sich die Beiden auf ein 
„Personalpaket“ geeinigt, bei dem die „Modernisierer“ eine deutliche 
Mehrheit im geschäftsführenden Hauptvorstand innehaben. Der 
keynesianistisch orientierten Peters-Flügel will im Grunde die Rolle, 
die die Gewerkschaftsbürokratie seit dem Weltkrieg innehatte, 
weiterspielen: Gegen allzu große Sauereien ab und zu die Beschäftigten 
auf die Straße holen, damit das Kapital sie weiterhin an den 
Verhandlungs- oder „Bündnis“-Tisch bittet. Die „Modernisierer“ haben aus 
der neoliberalen Offensive des Kapitals hingegen den Schluss gezogen, 
die neoliberale Agenda offen zu übernehmen und selbst zu propagieren. 
Sie sehen ihre Rolle als offene Co-Manager der Unternehmer, die sich auf 
Tarif- und Betriebspolitik konzentrieren und sich aus der „Politik“ 
heraushalten.

Fehlende demokratische Kultur

Die „Abmachungen“ zwischen den Spitzenfunktionären der beiden Flügel 
zeigen deutlich, wie es um die Demokratie in der IG Metall bestellt ist: 
Die gewählten Delegierten des Gewerkschaftstags sollen die hinter den 
Kulissen entwickelten Vorgaben möglichst nur noch abnicken.

Dagegen verstoßen hat Klaus Ernst, 1.Bevollmächtigter der IG Metall in 
Schweinfurt. Er kandidierte als Alternative zu den vom ausgehenden 
Vorstand „vorgeschlagenen“ Vorständlern. Ernst war mit einer 
kämpferischen Rede für Aktionen gegen die „Agenda 2010“ angetreten. Er 
selbst hatte im Mai in Schweinfurt die mit 4500 beteiligten Metallern 
bislang einzige größere Arbeitsniederlegung gegen die „Agenda 2010“ 
organisiert. Sein gutes Ergebnis von 245 Stimmen zeigt die 
Unzufriedenheit eines Teils der Funktionäre mit der Inaktivität der 
Gewerkschaftsspitze in Bezug auf den Sozialkahlschlag

Aktionen gegen Sozialkahlschlag gefordert

Dieser war denn auch eines der zentralen Themen auf dem 
Gewerkschaftstag. „Agenda 2010“ und die anderen „Reformen“ der Regierung 
wurden von der großen Mehrheit der anwesenden Funktionäre eindeutig und 
kategorisch abgelehnt. Die Teile des Apparats, die wie Huber 
argumentieren, es gebe wegen chronischer Haushaltsdefizite, mangelnder 
Effizienz und aufgrund der demographischen Entwicklung 
„Veränderungsnotwendigkeiten“ der Sozialsysteme, waren auf dem 
Gewerkschaftstag auffallend zurückhaltend.

Eine ganze Reihe von Delegierten forderte den Bruch der Gewerkschaften 
mit der Sozialdemokratie. Kritik an der SPD kam generell sehr gut an. 
Einige sozialdemokratische Funktionäre versuchten, in die Offensive zu 
gehen und forderten, die SPD nicht aufzugeben. Die meisten Beiträge 
liefen aber darauf hinaus, die Gewerkschaften zu außerparlamentarischem 
Protest zu bewegen. Die Idee, eine neue politische Interessenvertretung 
aufzubauen, wurde noch nicht formuliert. Leider wurde diese Idee auch 
von den anwesenden linken Delegierten nicht aufgeworfen.

Mehrere RednerInnen forderten Protestaktionen gegen den von der 
Bundesregierung betriebenen Sozialkahlschlag. Auch die Frage einer 
bundesweiten Demonstration und des politischen Streiks wurden 
angesprochen, und Peters musste dies in seinem Schlusswort aufgreifen, 
ohne jedoch Stellung zu beziehen. Allerdings wurde auch von den linken 
Delegierten versäumt, die Frage des Widerstands mit Verweis auf die 
geplante Demonstration am 1.November in Berlin zu konkretisieren. Eine 
gute Möglichkeit, hier den Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie zu 
erhöhen, wurde leider vergeben.

Ohnehin hat der Gewerkschaftstag die Schwäche und mangelnde 
Organisierung der Linken in der IG Metall verdeutlicht. Es gab kein 
koordiniertes Eingreifen und auf einem Randtreffen der 
Gewerkschaftslinken waren nur eine handvoll Delegierter. Hier stehen wir 
trotz großer Möglichkeiten noch am Anfang.

Gescheiterter Ost-Metaller-Streik kontrovers bilanziert

Zentraler Punkt der Rechenschaftsdebatte war die Bilanz der 
Streikniederlage um die Einführung der 35-Stunden-Woche in 
Ostdeutschland. Der Abbruch des Streiks durch die Streikleitung, ohne 
Diskussion in der Tarifkommission und im Vorstand, wurde heftig 
kritisiert. Der Kontrollausschuß konnte sich nicht darüber einig werden, 
ob dieses Vorgehen der Satzung entspreche und verwies auf 
widersprüchliche Formulierungen in der Gewerkschaftssatzung. Er rügte 
das Vorgehen dennoch ausdrücklich. Vor allem der zurückgetretene 
Vorsitzende Klaus Zwickel, der sich das ganze Wochenende über nicht zu 
Wort meldete, wurde dafür attackiert, dass er den Arbeitskampf nur zwei 
Stunden nach Verhandlungsabbruch als „historische Niederlage“ bezeichnet 
hatte. Das habe zumindest das Erreichen weiterer Haustarifverträge zur 
Einführung der 35-Stunden-Woche unmöglich gemacht.

Peters und Streikleiter Hasso Düvel verwiesen auf die schlechten 
Rahmenbedingungen der Tarifbewegung:
- niedrigerer Organisationsgrad und geringere Tarifbindung als im 
Westen, viele Abweichungen von den Tarifstandards
- die ökonomische Krise habe sich während der Tarifbewegung verschärft
- die Unternehmerverbände seien aus politischen Gründen hart geblieben
- Medien und Politiker hätten sich unerwartet heftig gegen den Streik 
gewendet

Auch eigene Fehler wurden eingeräumt:
- Man habe die wirtschaftliche Situation eingeplanter Kampfbetriebe 
falsch eingeschätzt
- Der Streikaufruf bei Federal Mogul, bei dem die KollegInnen unter 
großer Angst vor Standortverlagerung und Arbeitsplatzverlust litten, sei 
ein taktischer Fehler gewesen
- Die Gewerkschaft habe es nicht geschafft, der veröffentlichten Meinung 
gegen den Streik entgegenzuwirken

Ost-West-Spaltung?

Zum Teil heftige Auseinandersetzungen gab es zum Vorwurf mangelnder 
Solidarität durch einige westdeutsche Konzernbetriebsräte. Diese waren 
während des Streiks, teils öffentlich, für dessen Beendigung 
eingetreten. Offensichtlich hatte die Streikleitung die Betriebsräte der 
Autokonzerne zu Aktionen im Westen aufgerufen, die diese anscheinend 
verweigert haben. Im Osten war nur der Bezirk Berlin/Brandenburg-Sachsen 
als „Streikfähig“ eingeschätzt worden. Eine Ausweitung sei nicht möglich 
gewesen, deshalb habe der Arbeitskampf beendet werden müssen.

Offenbar haben einige der West-Funktionäre den Arbeitskampf der 
Ost-Metaller instrumentalisiert um den ihnen nicht genehmen Vorsitzenden 
Peters zu verhindern. Es ist auch deutlich geworden, welche Macht die 
Konzernbetriebsräte, die im allgemeinen Standortlogik und 
Sozialpartnerschaft noch stärker verinnerlicht haben, als Teile des 
hauptamtlichen Apparats, innerhalb der IG Metall haben.

Allerdings sollte man Peters/Düvel deswegen nicht von ihrer 
Verantwortung für den verlorenen Arbeitskampf freisprechen. Sie hatten 
offenbar keine Eskalationsstrategie und bereiteten die West- Metaller 
nicht frühzeitig auf die notwendige Solidarität vor. Große Teile der 
Gewerkschaft gingen die längste Zeit davon aus, man werde den „lokal 
eingegrenzten“ Konflikt schon im Osten allein schaukeln können. Eine 
Rolle spielte hierbei wohl die positive Arbeitskampferfahrung in 
Ostdeutschland während des letztjährigen Tarifstreiks.

Fazit

Die Stimmung unter den Delegierten war nicht so frustriert, wie man es 
nach den Auseinandersetzungen der letzten Wochen erwartet hätte. Eine 
ganze Reihe war stinksauer auf die Spitzenfunktionäre und deren 
Personalquerelen. Viele inhaltlichen Beiträge waren recht kämpferisch. 
Der in Gefolge der Streikniederlage im Osten zu befürchtende Durchmarsch 
der „Modernisierer“ hat sich so nicht materialisiert. Die Kräfte, die 
aus der IG Metall eine Versicherungsanstalt für Beschäftigte á la IGBCE 
machen wollen, sind jedoch unverkennbar vorhanden und tendenziell auf 
dem Vormarsch. Insgesamt hat der Gewerkschaftstag verdeutlicht, dass das 
Potenzial und die dringende Notwendigkeit für den Aufbau einer 
unabhängig von den beiden Flügeln des Apparats organisierten, linken 
Opposition innerhalb der IG Metall besteht.




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