[Pirateninfo] Saatgut-Vermarktungsverbote in der EU vor dem Aus?

Andreas Riekeberg a.riekeberg at jpberlin.de
Di Feb 7 12:04:28 CET 2012


Liebe Biopiraterie-Interessierte,

es war in den letzten Tagen schon in der Tagespresse zu lesen: gegen ein Monsanto-Patent auf virusresistente Melonen (EP1962578) hat die NGO-Koalition „no patents on seeds” gemeinsam mit Vandana Shiva Einspruch eingelegt. Mehr dazu hier: <http://www.no-patents-on-seeds.org/en/information/news/opposition-monsanto-s-patent-indian-melon>

Biopiraterie geschieht aber nicht nur durch Anmeldung angeblicher geistiger Eigentumsrechte, wie die Monsanto mal wieder getan hat, sondern auch durch den Ausschluss von Saatgut nichtindustrieller Sorten vom Handel. Dies sehen bislang noch u.a. die EU-Saatgutrichtlinien und die entsprechende nationale Gesetzgebung vor. Hierdurch werden industrielle Sorten, die den scharfen Homogenitäts-, Stabilitäts- und Unterscheidbarkeitansprüchen der Gesetze genügen, privilegiert (nur sie haben Marktzugang) – und in diesen Sorten finden sich oft Eigenschaften der alten Sorten, die von den Saatgutkonzernen dort hineingezüchtet worden sind.

Das ist Biopiraterie auf dem Umweg: die genetischen Ressourcen bäuerlicher Sorten werden ausgenutzt, sie selber aber vom Handel ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund ist der Schlussantrag der EU-Generalanwältin Juliane Kokott (also das zusammenfassende und das Urteil vorbereitende Rechtsgutachten) im Fall „Association Kokopelli vs. Graines Baumaux” vom 19.1.2012 sehr interessant: sie verwirft den Handelsausschluss nichtzugelassener Sorten als ungültig, da unverhältnismäßig!

Dazu habe die Saatgutkampagne, an der wir als BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie beteiligt sind, und die ÖBV* / Via Campesina Austria die untenstehende und angehängte Pressemitteilung herausgegeben.

Schöne Grüße
Andreas Riekeberg


* ÖBV = Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen-Vereinigung


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Mitteilung der Saatgutkampagne „Zukunft Säen – Vielfalt ernten“ und der ÖBV / Via Campesina Austria


Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes zum Saatgutrecht steht
bevor:

*** Saatgut-Vermarktungsverbote in der EU vor dem Aus? ***

Die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Juliane Kokott
hat gefordert, das Vermarktungsverbot aufzuheben, das gegenwärtig für
Saatgut von Pflanzensorten gilt, die nicht in offizielle Sortenkataloge
eingetragen sind. Dies ist das wesentliche Ergebnis ihres Schlussantrages
im Fall „Association Kokopelli gegen Graines Baumaux“. Darin heißt es
wörtlich: „Das … Verbot, Saatgut von Sorten zu verkaufen, die nicht
nachweislich unterscheidbar, beständig und hinreichend homogen sind … ist
wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, (…) ungültig.“

Die Saatgut-Kampagne „Zukunft säen – Vielfalt ernten“ und die ÖBV / Via
Campesina Österreich begrüßen, dass Generalanwältin Kokott die
Ungültigkeit des Vermarktungsverbotes feststellt. Wenn das Gericht diesem
Antrag folgt – was oft geschieht – werden entsprechende Regelungen in der
europäischen Saatgutverkehrsgesetzgebung hinfällig; die EU-Richtlinien für
Saatgut und die nationalstaatlichen Umsetzungen dieser Richtlinien müssten
in diesem Sinne überarbeitet werden.
Dies wäre ein sehr erfreuliches Ergebnis für alle Initiativen und
Betriebe, die sich der Erhaltung alter Pflanzensorten, ihrer
Weiterentwicklung und der Verbreitung von Saatgut dieser Sorten widmen.
Ein Sieg für viele Menschen, die sich der Ausweitung der Vielfalt im
Garten und auf dem Acker verschrieben haben!

Kokopelli, das französische Netzwerk zur Saatgut-Erhaltung mit 6.000
Mitgliedern, hatte einen Prozess gegen das Vermarktungsverbot für nicht
eingetragene Sorten beim EuGH angestrengt, nachdem es wegen des Vertriebes
solcher Sorten zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro und Unterlassung
verurteilt worden war. Gegen Kokopelli hatten auch der Rat und die
Kommission der EU sowie die Regierungen Frankreichs und Spaniens Partei
ergriffen.

In ihrem umfangreichen Schlussantrag bezieht sich Juliane Kokott positiv
auf die Erhaltung der Agrobiodiversität, benennt die Gefahr der Zerstörung
dieser Vielfalt durch die Dominanz des industriellen Saatgutes und würdigt
den Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen (ITPGR-FA)
als Rechtsquelle. Kokott zeigt auf, dass das gegenwärtig noch bestehende
Vermarktungs­verbot für bäuerliches Saatgut eine völlig überzogene
Maßnahme ist, die keinen Bestand haben kann. Folgt das Gericht diesem
Antrag, wird die EU-Kommission die entsprechenden Passagen in den
verschiedenen EU-Richtlinien zum Saatgutrecht aufheben müssen und die
Mitgliedstaaten der EU auffordern müssen, dem zu folgen.


Für Rückfragen:

in Deutschland: Saatgutkampagne „Zukunft Säen – Vielfalt ernten“
Email: <info at saatgutkampagne.org>

in Österreich: ÖBV (Österreichische Berg- und Kleinbäuer_innen-Vereinigung) / Via Campesina Austria
Heike Schiebeck, Email: <heike.schiebeck at gmx.at>

Plädoyer der Generalanwältin:
<http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=118143&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=66802>

Anlagen:
Presseerklärung von Kokopelli in deutscher Übersetzung und im
französischen Original
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