[Pirateninfo] Streit um das Erntegut der Bauern

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Don Mar 25 14:32:22 CET 2004


Hannoversche Allgemeine Zeitung
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09.03.2004
Streit um das Erntegut der Bauern

Pflanzenzüchter klagen erneut beim EuGH

VON CAROLA BÖSE-FISCHER

Wenn es um den Nachbau von Saatgut geht, kennen Pflanzenzüchter kein Pardo
n.
Landwirte dürfen von jeher einen Teil ihrer Getreide- oder Kartoffelernte
für die Wiederaussaat im nächsten Frühjahr abzweigen. So können sie Kosten

für den Kauf neuen Saatguts vermeiden. Bauern, die geschützte Pflanzensort
en
nachbauen, müssen aber eine Lizenzgebühr an den Saatgut-Hersteller zahlen 
­
als Obolus für den von ihm geleisteten züchterischen Fortschritt. So will 
es
das Gesetz, in Deutschland und in der EU.

Doch um die Gebühren einzutreiben brauchen die Züchter, die ihre Interesse
n
in der Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH (STV) gebündelt haben, Auskünfte
der Landwirte über nachgebaute Pflanzensorten ­ ohne Information kein Geld
.
Die Züchter pochten lange auf eine "pauschale Auskunftspflicht³ der
Landwirte: Über alles, was sie auf ihren Feldern nachbauen, sollten sie de
r
STV Daten liefern. Tausende von Landwirten verweigerten die
Pauschalauskunft. Über 1000 schlossen sich in der Interessengemeinschaft
gegen die Nachbaugesetze und Nachbaugebühren (IGN) zusammen.

Die STV zog für die Auskunftspflicht vor Gericht und scheiterte gleich
zweimal: Bundesgerichtshof (BGH) und Europäischer Gerichtshof (EuGH)
bescheinigten den Landwirten, dass sie nicht zur pauschalen Auskunft
verpflichtet sind. Nur wenn der Züchter einen "Anhaltspunkt³ besitzt, dass

ein Bauer sein zertifiziertes Saatgut nachgebaut hat, kann er darüber
Auskunft verlangen ­ und Gebühren. Die Beweislast liegt somit bei den
Züchtern.

Der Streit hätte damit eigentlich beendet sein können. Doch es lägen schon

wieder sieben Verfahren der STV gegen Landwirte beim BGH und eines beim
EuGH, sagt der hannoversche Anwalt Matthias Miersch, der die IGN vertritt.

Gestritten wird nach Angaben von IGN-Geschäftsführer Georg Janßen nun daru
m,
was nach dem EuGH-Urteil ein "Anhaltspunkt³ ist. Nach Ansicht der Richter
könnte dies beispielsweise der Kauf von geschütztem Saatgut sein, was vom
Züchter bewiesen werden müsste.

Janssen schildert die Sicht der Züchter so: Landwirte, denen einmal
nachgewiesen worden sei, dass sie eine geschützte Sorte nachgebaut haben,
würden nach STV-Auslegung immer nachbauen und hätten mithin den Züchtern f
ür
jedes Jahr Auskunft zu geben. Das lasse die STV derzeit beim BGH klären,
sagt Janßen ­ weil das Oberlandesgericht München dieser Auffassung nicht
folgte.

Unabhängig davon betrieben die Züchter einigen Aufwand, um die von den
EuGH-Richtern geforderten Anhaltspunkte zu beschaffen, berichtet Miersch.
Sie wollten sich die Daten nun bei den Aufbereitern holen. Bei diesen
Dienstleistungsunternehmen, auch Raiffeisengenossenschaften und privaten
Landhändlern, lassen Landwirte Saatgut zum Nachbau präparieren. Nach der
Argumentation der STV kennen diese Firmen die Anbaudaten der Bauern.

Ob Aufbereiter zur Weitergabe dieser Daten an die Züchter verpflichtet sin
d,
muss nun auch der EuGH entscheiden, weil die meisten Saatgut-Hersteller wi
e
die KWS AG in Einbeck sich ihre Pflanzensorten EU-weit schützen lassen.
Diesmal könnten die Züchter die besseren Karten haben. Der Generalanwalt,
der Spanier Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer, der im Streit um die
Auskunftspflicht der Bauern noch die Züchter in die Schranken verwies und
dem die EuGH-Richter vor einem Jahr mit ihrem Urteil folgten, sieht den Fa
ll
der Aufbereiter völlig anders.

Vom Aufbereiter könne der Züchter die Informationen über das Saatgut
durchaus verlangen, schreibt Colomer im Schlussantrag an den EuGH ­
unabhängig davon, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass es sich um geschütz
te
Sorten handelt. Nach Überzeugung von Anwalt Miersch legt der Generalanwalt

den Willen der EU-Kommission als Gesetzgeberin damit konträr aus. Würde de
r
EuGH der Empfehlung folgen, würden Aufbereiter zur pauschalen Auskunft
verdonnert und die Züchter bekämen doch noch den "gläsernen Bauern³,
fürchtet IGN-Chef Janßen.

Das Urteil wird im Herbst erwartet. Bis dahin muss sich die STV als
Gebühreneintreiberin wohl gedulden. Weder Aufbereiter noch Genossenschafte
n
und Landhandel geben derzeit laut Janßen Daten über die Landwirte an die S
TV
weiter.

Für Miersch ist die Politik am Zug, in Berlin und in Brüssel. Sie müsse fü
r
klare Regeln sorgen, wenn es ihr Ernst damit sei, dass Landwirte und
letztlich Konsumenten nicht in die Abhängigkeit multinationaler Konzerne w
ie
Monsanto oder Syngenta geraten sollen. Denn darum gehe es diesen, weniger 
um
einige Millionen Euro an Gebühren. Aber die Politik schweigt. "Wir werden
die Entscheidungen von BGH und EuGH abwarten³, heißt es im Berliner
Agrarministerium.