[Pirateninfo] Fw: Lula entsorgt die Linke: Brasilien gibt Gensoja-Anbau frei

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Die Sep 30 15:52:27 CEST 2003


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http://www.taz.de/pt/2003/09/29/a0141.nf/text
Lula entsorgt die Linke

In Brasilien ist der Neoliberalismus Regierungsprogramm
Brasiliens Linke ist um eine Hoffnung ärmer. Mit der Freigabe des
Gensoja-Anbaus hat Präsident Lula in aller Deutlichkeit demonstriert, dass
er nicht gewillt ist, sich mit dem Agrobusiness anzulegen. Sein Umgang mit
der jahrelang schwelenden Gensoja-Kontroverse ist ein Lehrstück in Sachen
brasilianischer Machtpolitik: Durch Taktieren schafft sich Lula jene
Sachzwänge, mit denen er schließlich sein eigenes Parteiprogramm aushebeln
kann.

Mit Hilfe seines Chefstrategen José Dirceu gelang es ihm, die Debatte um
Sinn und Unsinn der Gensoja-Freigabe so lange auf Sparflamme zu halten, bis
er sich vor einer Woche auf eine Auslandsreise begab. Im öffentlichen
Diskurs hatte er sich zuletzt sogar die Rhetorik der Gentechlobby zu Eigen
gemacht: Nicht von ideologischen, sondern von wissenschaftlichen Kriterien
wolle er sich bei seiner Entscheidung leiten lassen, verkündete er.

Erst nach dem Zögern von Vizepräsident José Alencar, das umstrittene Dekret
zur Freigabe zu unterzeichnen, kamen Umwelt- und Verbraucherschützer,
Landlose, Wissenschaftler, Juristen, kritische Parteifreunde und vor allem
Umweltministerin Marina Silva aus der Defensive. Aber da war der Kampf
bereits entschieden - zugunsten von Monsanto und den Bauern aus
Südbrasilien, die für ihren jahrelangen Einsatz von geschmuggeltem Saatgut
sogar noch belohnt wurden. Mit Leitartikeln und gezielt lückenhafter
Berichterstattung setzten sämtliche großen Medien die Regierung zusätzlich
unter Druck. Erst jetzt, nachdem die Würfel gefallen sind, werden die
Argumente der Gensoja-Gegner weniger verkürzt und verzerrt wiedergegeben.

Der Abbau der sozialen Schieflage sollte ebenso wie die Umweltpolitik zu
einer Querschnittsaufgabe werden, hatte der Präsident vor seiner Wahl
versichert. Doch davon ist bislang nichts zu spüren. Vielmehr ist die
neoliberale Orthodoxie zum roten Faden seiner Regierungsführung geworden.
Anders als etwa sein argentinischer Kollege Néstor Kirchner geht Lula in
vorauseilendem Gehorsam sogar über die Vorgaben des Internationalen
Währungsfonds hinaus. Der Bedienung der Auslandsschulden opfert er die
nötigen Strukturreformen im Agrar-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich.

Nicht in ihre soziale Agenda steckt die Regierung die meiste Energie,
sondern in zweifelhafte Renten- und Steuerreformen, die sie zum Ausbau ihrer
Allianzen mit dem bürgerlichen Lager nutzt. Parallel dazu setzt Lula seine
immer noch hohe Glaubwürdigkeit ein, um die eigene Basis zu vertrösten. Das
Fazit aus dem Gensoja-Desaster lautet: Will die Linke nicht endgültig
marginalisiert werden, muss sie bald aufmucken.

GERHARD DILGER

taz Nr. 7169 vom 29.9.2003, Seite 13, 58 Zeilen (Kommentar)

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http://www.taz.de/pt/2003/09/29/a0104.nf/text

Brasilien verzichtet auf gentechnikfreie Soja
Bislang war das Land gefragter Lieferant für gentechfreie Ware an die EU.
Doch jetzt gibt man den Gensoja-Anbau frei
PORTO ALEGRE taz - Brasilien hat sich dem Druck der Sojabauern aus dem
südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul gebeugt und den Anbau von
gentechnisch verändertem Soja zunächst für ein Jahr erlaubt. Präsident Lula
ist bereits seit Wochen zur Freigabe entschlossen, überließ aber die
Unterzeichnung des Dekrets seinem Stellvertreter José Alencar. Als der sich
beeindruckt zeigte von Einwänden von Umweltschützern und einigen
Abgeordneten der Arbeiterpartei PT, wies ihn Lula schließlich telefonisch
an, das Dekret abzuzeichnen.

Vor seiner Wahl 2002 hatte Lula noch die Risiken für Umwelt und Gesundheit
schwerer eingeschätzt als der wirtschaftliche Nutzen der manipulierten
Sojabohne. 1998 hatten Greenpeace und der Verbraucherverband Idec erreicht,
dass ein Bundesgericht den Anbau der Gensoja untersagte. Doch die
Zentralregierung duldete es, dass in Südbrasilien immer mehr Landwirte
argentinisches Gensaatgut einschmuggelten. Die Bauern, darunter viele
Familienbetriebe, begründen dies mit bis zu ein Drittel geringeren
Anbaukosten.

Diese Rechnung ging jedoch nur auf, solange der Anbau offiziell nicht
erlaubt war. Jetzt aber kann der US-Multi Monsanto, der neben dem Saatgut
auch das dazu maßgeschneiderte Herbizid liefert, von den Bauern
Lizenzgebühren kassieren - nach amtlichen Schätzungen allein aus Rio Grande
do Sul bis zu 300 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Brasilien ist derzeit größter Sojaexporteur, und gut 90 Prozent der
diesjährigen Produktion von 43 Millionen Tonnen besteht aus konventionellen
Sorten. Nun drohen Absatzeinbußen, da das brasilianische Gensoja künftig mit
den subventionierten US-Bohnen konkurrieren muss. Vor allem die Europäer
waren bisher dankbare Abnehmer von Bohnen, Schrot und Öl aus konventionellem
Soja-Anbau.

Besonders bittere Kritik äußerten Lulas Genossen von der Arbeiterpartei PT:
"Nun sind die Schleusen für die Gentechnik geöffnet", sagt Elvino Bohn Gass.
Nach der "ausnahmsweisen" Genehmigung zur Vermarktung der letzten Gen-Ernte
im März habe die Regierung nichts getan, um wieder auf herkömmliche Sorten
umzustellen.

In dem Dekret ist weder eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen
vorgesehen noch eine klare Regelung der Kennzeichnungspflicht. Gescheitert
ist damit auch die Umweltministerin Marina Silva. Doch sie lässt nicht
locker: In dem Gesetzentwurf, den die Regierung demnächst zur umfassenden
Regelung der "Biosicherheit" vorlegen muss, sieht Silva die Chance zu einem
neuen Prozess: "Unsere Gesetze darf man doch nicht dem Willen einer Firma
und einer Technologie unterordnen."

GERHARD DILGER

taz Nr. 7169 vom 29.9.2003, Seite 9, 88 Zeilen (TAZ-Bericht)