[Pirateninfo] Telepolis: Geistiges Eigentum ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument

Martin Sundermann Martin.Sundermann at ruhr-uni-bochum.de
Don Dez 18 17:48:19 CET 2003


.. hier schon mal ein erster Vorschlag für den Kogge-Award 2004, Martin


Geistiges Eigentum ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument

Dario Azzellini und Stefanie Kron   18.12.2003

Der Direktor des venezolanischen "Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum"
über Kämpfe mit Microsoft, freie Software, kollektive Marken und eine
Informationskampagne zum Thema traditionelles Wissen

Eduardo Saman war seit dem misslungenen Putsch gegen den venezolanischen
Präsidenten Hugo Chavez im April 2002 Vorsitzender des Autonomen Dienstes
für geistiges Eigentum ( SAPI [1] ). Von Januar bis August dieses Jahres war
der Pharmazeutiker zudem Mitglied der Verhandlungsgruppe zum Schutz des
geistigen Eigentums im Rahmen der Verhandlungen um das Panamerikanische
Freihandelsabkommen (ALCA / FTAA). Der dem Wirtschafts- und
Handelsministerium zugeordnete SAPI und Saman sind harten Angriffen der
rechten venezolanischen Opposition ausgesetzt. Aufgrund seiner konsequenten
linken Positionen geriet er mit seinem Minister in Konflikt, der im
Regierungsspektrum als moderat gilt. Kurz vor der WTO-Runde im mexikanischen
Cancun Ende August 2003 schloss der Minister Saman aus der
Verhandlungsdelegation aus. Saman begab sich auf eigene Rechnung, zusammen
mit Regierungsabgeordneten nach Cancun und beteiligte sich an den
Protestaktionen gegen die Welthandelsorganisation. Am 19. September wurde er
unter dem Vorwurf des Ungehorsams als Präsident des SAPI abgesetzt. Die
Entscheidung wurde nicht überall geteilt. Mitte Oktober schließlich trat der
Minister für Wirtschaft und Handel zurück, der neue Minister setzte Ende
Oktober Eduardo Samán wieder als Direktor des SAPI ein. Dario Azzellini und
Stefanie Kron sprachen in Caracas mit Eduardo Saman.


Der SAPI wird unter anderem von Microsoft attackiert, warum?

Saman: Software ist in Venezuela durch das Urheberrecht geschützt, in den
USA dagegen durch das Gewerberecht, also Patente. Wir versuchen, in
Venezuela den Gebrauch der freien Software zu fördern. Beim SAPI arbeiten
wir mit freier Software. Microsoft strebt dagegen an, dass unsere Regierung
sich in einen Verkäufer der Microsoft-Software verwandelt und dass wir
härter gegen Softwarepiraterie vorgehen, also gegen Personen und Betriebe,
die illegale Software verwenden. Sie sollen stattdessen die Software von
Microsoft kaufen. Wir vertreten dagegen, dass es für die User die
Möglichkeit geben muss, zu wählen, ob sie freie Software verwenden oder bei
Microsoft einkaufen. Denn wir möchten nicht wie die Regierungen anderer
Länder, beispielsweise Kolumbien, zu einer Microsoftschutzpolizei bzw. zu
einer staatlichen Microsoftverkaufsstelle werden.

Dies hat zu Konflikten mit der hiesigen Vertretung der Business Software
Aliance (BSA) geführt, einer Microsoftstiftung, die u.a. die
Softwarepiraterie bekämpft. Sogar der US-Botschafter hat uns schon im SAPI
aufgesucht und uns vorgeworfen, die Verwendung freier Software in
öffentlichen Einrichtungen sei illegal. Er hatte keine Ahnung von freier
Software und wir haben ihm das dann erklärt.

Kollektive Marken 

Wir haben eine Broschüre der SAPI gesehen, die sich an Kleinstbetriebe
richtet und mit der Gründung "kollektiver Marken" und der Entwicklung einer
alternativen Ökonomie wirbt. Was ist darunter zu verstehen?

Saman: Mit der industriellen Revolution begann auch die Privatisierung des
Wissens. Juristisch ist die Eigentumsform über das Gewerberecht geregelt.
Darunter fallen Patente, aber auch Marken und Slogans. Kollektive Marken,
die wir in Venezuela fördern möchten, sind keine Marken, auf die nur ein
Unternehmen ein Copyright hat, wie beispielsweise Nike auf seine
Sportkleidung, sondern sie werden für einen Zusammenschluss von
Kleinbetrieben vergeben, die das gleiche Produkt herstellen.

In Venezuela gibt es z.B. eine Käsesorte, für die eine kollektive Marke
vergeben wurde. Der Käse wird von einigen Kleinproduzenten per Hand
hergestellt, pro Betrieb ca. 500 kg in der Woche. Sie organisieren sich als
Genossenschaft, stellen den gleichen Käse her und dafür vergeben wir eine
einzige Marke. Denn keines dieser Kleinstbetriebe könnte alleine auf dem
Markt bestehen. Diese Praxis ist unserer Ansicht geeignet, um eine
alternative nationale Ökonomie, eine alternative Kultur und alternative
Werte zu entwickeln.

Die Marke ist ein Zeichen, das ein Gut oder einen Dienst bezeichnet und von
anderen unterscheidet. Die Industrieländer des Nordens haben diese Zeichen
in Symbole verwandelt. Damit verändern sie aber ihre Bedeutung. Denn die
Menschen beginnen, mit dem Symbol eine bestimmte Form des sozialen Handelns
und einen bestimmten sozialen Status zu assoziieren. In den armen
Stadtvierteln von Caracas bringen sich junge Männer wegen eines Paares
Nike-Schuhe um bzw. verteidigen es bis zum Tod. Das tun sie nicht wegen des
materiellen Wertes der Schuhe, denn niemand ist bereit, sein Leben für 20
Dollar zu opfern. Aber das Nike-Logo stellt eine spezifische kulturelle
Identität und bestimmte Werte dar, die sie offenbar bereit sind, bis zum
Tode zu verteidigen.

Wir möchten hier in Venezuela einen revolutionären Prozess in Gang setzen.
Deshalb müssen wir eigene Symbole schaffen, die die Symbole der Markenwelt
ersetzen und mit denen revolutionäre Werte in Verbindung gebracht werden
können, Werte der Solidarität - einer solidarischen Ökonomie. Diese neuen
Symbole müssen von Produkten, die wir selbst herstellen, begleitet werden.
Das ist die neue Ökonomie, die in unserer Verfassung als Staatsziel mit dem
Begriff der nachhaltigen, endogenen Entwicklung verankert ist. Damit ist
unsere Verfassung anti-neoliberal.

Das vorherrschende neoliberale Entwicklungsmodell sieht die Privilegierung
großer, transnationaler Konzerne vor, in denen sich das Kapital
konzentriert. So wird zwar Reichtum geschaffen, aber auch der soziale
Ausschluss der Mehrheit der Menschen produziert. Mit unserem Konzept der
endogenen, nachhaltigen Entwicklung soll die Verteilung des Reichtums
demokratisiert werden.

Alle Unternehmen, die der kollektiven Marke angehören, verpflichten sich,
auf die gleiche Art und Weise zu produzieren und einen bestimmten
Qualitätsstandard einzuhalten. Sie können dafür gemeinsam und damit billiger
ihre Rohprodukte und -stoffe kaufen. Sie können gemeinsam
Vermarktungsstrategien entwickeln und Kredite beantragen, was sie einzeln
nicht könnten, weil sie wirtschaftlich zu schwach wären. Und die kollektiven
Marken sind auch für neue Unternehmen offen, wenn sie sich an bestimmte
Bedingungen, wie die Einhaltung von Qualitätsstandards halten.

Welche Position vertritt Venezuela im so genannten Krieg um die Patente?

Saman: In Venezuela werden Patente nur auf Erfindungen vergeben, nicht auf
Entdeckungen. Als Erfindungen gelten neue Produkte, z.B. neue chemische
Verfahren oder Modifikationen von existierenden Produkten und Verfahren. Im
Gegensatz dazu werden in den USA auch Entdeckungen in der Natur und
traditionelles Wissen patentiert. Damit der venezolanische Staat ein Patent
vergibt, muss das Produkt, Modell oder Verfahren neu sein, es muss eine
Erfindung sein und gewerblich herstellbar und nutzbar. Ideen werden hier
nicht patentiert, sondern nur ihre Materialisierung.

Was von einer Patentierung ausgeschlossen ist

Es gibt in Venezuela auch Dinge, die von einer Patentierung ausgeschlossen
sind. Die neue bolivianische Verfassung von 1999 verbietet z.B. mit dem
Artikel 127 die Vergabe von Patenten für jede Form von Pflanzen und Tieren,
inklusive Mikroorganismen, auch wenn sie genetisch verändert sind. Das ist
ein großer Unterschied zu vielen anderen Ländern und auch zu den
WTO-Statuten, die die Patentierung von Lebewesen und Pflanzen in ihrer
"natürlichen Form" ausschließen, die Patentierung ihrer genetischen
Modifizierung jedoch zulassen.

Aber: die Internationale Union zum Schutz neuer Pflanzenzüchtungen (UPOV)
möchte ein System, mit Namen sui generis, etablieren, um das traditionelle
Wissen und die Artenvielfalt der jeweiligen Länder zu schützen, seien sie
"natürlich", genetisch modifiziert oder per Kreuzungen gezüchtet. Dies ist
eine Regelung, die sich nicht Patent nennt, aber ebenso funktioniert. Wir
wollen uns nicht darauf einlassen. Denn wir wollen traditionelles- oder
kollektives Wissen nicht kommerzialisieren, es zu einer Ware machen und auf
den Weltmarkt bringen.

Geistiges Eigentum erscheint als Thema in den WTO-Verhandlungen und in
vielen internationalen Abkommen wie etwa zur Bildung. In den Verhandlungen
zum Freihandelsabkommen ALCA / FTAA ist eine der neun thematischen
Verhandlungsgruppen zum geistigen Eigentum. Weshalb wird dem eine so große
Bedeutung zugemessen?

Saman: Die menschliche Partizipation in der Wertschöpfungskette ist
begleitet vom Wissen des Menschen. Die Gesetzgebung zu geistigem Eigentum
reguliert, privatisiert und kontrolliert dieses Wissen. Das geistige
Eigentum wird also zu einem wichtigen Faktor bei der Kontrolle der Schaffung
von Reichtum. Die USA und Kanada besitzen 90 Prozent aller Patente auf dem
Kontinent. Wenn sie nun versuchen, Gesetze zugunsten der Inhaber von
Patenten durchzusetzen, dann behalten sie sich exklusiv die Möglichkeit vor,
Reichtum zu schaffen. Was wird den Entwicklungsländern überlassen? Der
Verkauf von Rohstoffen, die aber an sich kaum einen Wert haben. Damit werden
unsere Ökonomien auf den Stand zur Zeit der Kolonien zurückgeworfen. Das ist
eine neokoloniale Politik.

Das geistige Eigentum privatisiert und kontrolliert das für die Schaffung
von Reichtum nötige Wissen

Dieses Wissen ist ein nicht materielles Gut und in einer modernen
Gesellschaft ersetzt es mehr und mehr die Bedeutung, die früher der
Grundbesitz oder das materielle Eigentum hatte. Früher strukturierten die
materiellen Besitzverhältnisse, vor allem der Landbesitz, die
Machtbeziehungen in der Gesellschaft. Der Grundbesitz bspw., als wichtigste
Form des Privateigentums und zentrale Stütze des Kapitalismus definierte die
ökonomische Struktur eines Landes. Heute ersetzt das geistige Eigentum mehr
und mehr das materielle Eigentum als die für den Kapitalismus zentralste
Form des Privateigentums. Der Materialwert eines Handys etwa, ist
unermesslich viel kleiner als der Wert des Wissens und der Technologie, der
in einem Handy steckt. Das Wissen ist das, was dem Produkt oder der
Dienstleistung Wert verleiht. Das ist der Grund, dass das Thema geistiges
Eigentum in allen internationalen Abkommen eine so wichtige Rolle spielt.

Sie sagen, geistiges Eigentum wird zum Instrument für die Durchsetzung einer
neokolonialen Ordnung. Welche Patentierungspraxis soll mit dem FTAA konkret
durchgesetzt werden?

Saman: In dem FTAA-Kapitel geht es letztlich darum, die gesetzlichen
Grundlagen zu schaffen, praktisch alles patentieren zu können. Das würde
auch das Ende der freien Software bedeuten. Wie bereits erwähnt, kann
Software in Venezuela nicht patentiert werden, sondern sie wird über das
Urheberrecht vor Raubkopien geschützt. Ein Beispiel: ich kaufe eine
urheberrechtlich geschützte Programmiersprache, programmiere damit meine
Software und verkaufe sie, so lief es bisher bei der Softwareentwicklung.
Wenn nun diese Sprache patentiert würde, müsste ich für jedes Programm, das
ich auf Basis dieser Sprache entwickele, zahlen. Damit würde der Zugang zu
Information und Kultur erheblich eingeschränkt.

Wie verläuft diese Aneignung? Über das Produkt!

Das FTAA-Kapitel zu geistigem Eigentum bedeutet auch für unsere Kleinbauern
ein neues System von Herrschaft und Ausbeutung. Heute gehört vielen von
ihnen das Land, das sie bearbeiten, sie sind so gesehen freie Bürger. Aber
fast der gesamte Verdienst ihrer Arbeit verschwindet in der Zahlung von
Gebühren, entweder für patentierte Samen oder für die verwendeten
Düngemittel bzw. Pestizide, oder beides. Diese Form der Herrschaft ist
weniger personifiziert. Der Feind ist ein Konzern, dessen Sitz weit entfernt
liegt, und nicht mehr der Großgrundbesitzer. Der Konzern, der das Patent auf
das jeweiligen Dünge-, Schädlingsbekämpfungsmittel oder den Samen hat,
eignet sich also einfach den Reichtum an, den die Kleinbauern schaffen. Wie
verläuft diese Aneignung? Über das Produkt! Ein Produkt, dessen Herstellung
fast nichts kostet.

Das gleiche gilt für Medikamente. Die Kosten der eigentlichen Produktion
machen nur ein Drittel aus, ein weiteres Drittel geht in die Werbung, ein
weiteres in die Verwaltung. Das bedeutet, dass wir, wenn wir dürften, ein
eigenes Medikament viel kostengünstiger herstellen könnten als das
patentierte Markenprodukt. Das bedeutet aber auch, dass die Gewinnspanne
eines patentierten Markenprodukts immens hoch ist. Der hohe Preis für das
Produkt auf dem Markt basiert auf der Monopolstellung des herstellenden
Konzerns. Dieser hohe Preis und die immense Gewinnspanne werden durch die
Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht. Es ist eine Tragödie,
wie hier eine Familie finanziell ruiniert wird, wenn ein Mitglied erkrankt.

Gegen Biopiraterie 

Die Entwicklung vieler dieser patentierten Markenmedikamente basiert jedoch
auf kollektiven, traditionellen Wissensformen und genetischen Ressourcen aus
den Entwicklungsländern. Denn die Industrieländer haben in der Vergangenheit
ihre eigene Biodiversität und ihre genetischen Ressourcen zerstört. Viele
Länder wie die USA haben auch ihre indigene Bevölkerung weitgehend
eliminiert und damit traditionelle Formen von Wissen. Nun kommen sie und
versuchen, sich das traditionelle Wissen der indigenen Bevölkerung und die
genetischen Ressourcen der Entwicklungsländer anzueignen. Denn um genetische
Ressourcen in der Medizin und Pharmaindustrie nutzen zu können, benötigt man
das lebendige Wissen der lokalen Bevölkerung.

Was unternimmt der SAPI gegen die so genannte Biopiraterie?

Saman: Die USA argumentieren, dass Biopiraterie ein verleumdender Begriff
sei. Denn in vielen Entwicklungsländern, so auch in Venezuela, seien
traditionelles Wissen und genetische Ressourcen gesetzlich nicht geschützt,
da wir beides nicht patentieren können. Es gebe also kein Gesetz, das diese
Form der Aneignung verbiete. Deshalb haben sie den Begriff der Biopiraterie
durch den Begriff der "unwürdigen Aneignung" ersetzt. Aktuell geht es darum,
das, was sie unwürdige Aneignung und wir Raub nennen, durch ein
Tauschverhältnis zu ersetzen. Sie wollen für die Aneignung von Wissen und
Ressourcen zahlen. In der Praxis bedeutet es, dass sie in den indigenen
Gemeinden den Heilern oder dem Bürgermeister einen Computer anbieten oder
den Bau einer Schule und dafür das lokale medizinische Wissen und die dazu
gehörigen Pflanzen mitnehmen, um es dann in den USA patentieren zu lassen.

Wir versuchen den indigenen Gemeinden zu erklären, was geistiges Eigentum
bedeutet und wie es als Herrschaftsinstrument verwendet wird. Wir legen
ihnen nahe, dass sie sich nicht verkaufen sollen, um ein internationales
Patentsystem zu legitimieren, das die Grundlage für ein ungerechtes System
des Handels zwischen den Ländern ist. Wir haben vom SAPI aus Geld für eine
größere Informationskampagne zum Thema geistiges Eigentum und traditionelles
Wissen aufgetrieben, die sich an die indigenen Gemeinden Venezuelas richtet.
Wir haben eine Broschüre erstellt, in der über den Artikel 124 der
Verfassung informiert wird, der die Vergabe von Patenten für traditionelles
Wissen verbietet.

Links 

[1] http://www.sapi.gov.ve/

Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/16274/1.html

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