[Pirateninfo] taz-Artikel - geistiges Eigentum und Wissensgesellschaft

Silke Pohl sipohl@yahoo.com
Thu Nov 21 11:19:32 2002


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Die neuen Kolonien

Das Internet macht das Wissen der Menschheit auch für breite 
Bevölkerungsschichten und arme Länder verfügbar. Aber die Medien- und 
Informationsindustrie betrachtet diesen Reichtum als ihr privates 
Eigentum, 
das sie schützen und vermarkten will

von DIETMAR KAMMERER

Wissen ist nicht nur Macht - es ist vor allem klingende Münze geworden. 
Die 
Copyrightindustrie gilt heute als der größte Exporteur der USA, Patente 
auf 
Software, Medikamente und gentechnisch veränderte Lebensmittel 
bescheren 
ihren Inhabern Milliardenumsätze. Intellectual Property, Denken als 
Eigentum, 
ist zu einer zentralen Ressource geworden. Die viel beschworene 
"Wissensökonomie" verändert jedoch nicht nur unseren Begriff vom Wissen 
(Wissen wird warenförmig, wird kommodifiziert). Sie sollte vor allem zu 
einer 
neuen Vorstellung von Ökonomie selbst führen: weg von einer Lehre von 
der 
Verteilung der Knappheit, hin zum Austausch, Erwerb und der Vermehrung 
von 
Wissen. So jedenfalls das Fazit einer Konferenz der 
Heinrich-Böll-Stiftung, 
die vergangenen Freitag einen Blick auf die "Zukunft der globalen Güter 
in 
der Wissensgesellschaft" wagte.

Aus der Zukunftsperspektive könnte ein Nachruf werden: Setzt sich die 
Rechteverwertungsindustrie durch, droht der Bestand öffentlich 
zugänglicher 
Informationen ("public domain") zur Marginalie zu werden. Eine 
"umfassende 
Landnahme" finde im Übergang von der Print- zur Digitalkultur statt, 
warnte 
Andreas Poltermann, Referent für Bildung und Wissenschaft der 
Böll-Stiftung, 
in seinem einleitenden Statement. Das neue Copyrightregime, so seine 
Analyse, 
funktioniere nach den alten Prinzipien des Kolonialismus: Nicht nur 
werden 
die "Schrankenbestimmungen", Schutzrechte der Endnutzer, die sich im 
Umgang 
mit Musikwerken, Texten, Bildern auf gesetzlich garantierten fair use 
(etwa 
das Kopieren für den privaten Gebrauch) berufen konnten, durch 
technische 
Maßnahmen faktisch ausgehebelt. Auch viele Bereiche, die bislang völlig 
unreguliert waren, werden durch ein umfassendes Digital Rights 
Management 
eingezäunt. Selbstverständliche kulturelle Praktiken - das Lesen und 
Verleihen von Büchern, die Mixkassette für die Freundin - könnten somit 
bald 
der Vergangenheit angehören.

Gegen die von der Content-Industrie verbreitete Schreckensmär von 
volkswirtschaftlichen Verlusten in Milliardenhöhe durch 
Copyrightpiraterie 
drehte Poltermann den Vorwurf um: "Rigide Systeme zum Schutz des 
geistigen 
Eigentums sind eine Form von Plünderung öffentlicher Ressourcen." Was 
allen 
gehört - Kultur, Bildung, Tradition - kann nicht von wenigen besessen 
werden. 
Ökonomen wie Paul Romer oder der Nobelpreisträger Douglas North, 
Anhänger der 
New Growth Theory, fordern deshalb schon lange, nicht die privaten 
Verwertungsinteressen einiger weniger, sondern das Gesamtbild zu sehen. 
Ihr 
Argument: Wird das Innovationssystem der Wissensgesellschaft 
geschwächt, wird 
auch die Technologieentwicklung behindert. Dann drohen 
gesamtwirtschaftliche 
Verluste.

Selbstmord des Systems

Auf der Konferenz gaben sich die Experten jedoch erstaunlich 
optimistisch: "In 
spätestens 30 bis 40 Jahren", sagt Bernd Lutterbeck voraus, 
Wirtschaftsinformatiker der TU Berlin, "wird das System implodieren." 
Denn 
bis heute gebe es keinen Beweis, dass die staatlich garantierten 
Wissensmonopole - Patente und Copyright - das halten, was sie 
versprechen: 
Innovationen in der Forschung anzuregen, den Austausch von Wissen zu 
befördern, die Teilhabe aller an Kultur, Bildung und Wissenschaft zu 
ermöglichen. Und da selbst große Unternehmen - Lutterbeck führte als 
Beispiel 
die Softwarefirma SAP an - öffentlich zugeben, dass sie ihre 
Marktposition 
nicht durch die künstlichen Schutzfristen der Patente, sondern nur 
durch 
ständigen Innovationsvorsprung erreicht haben, lautete sein Fazit: "Die 
jetzigen Gefechte sind die letzten Gefechte eines sterbenden Systems."

Auch sein Kollege Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz gab als 
Parole 
Geduld und Zuversicht aus. "Eine nichtproprietäre Wissensökonomie wird 
sich 
durchsetzen", sie sei die den "elektronischen Räumen" einzig 
angemessene 
Form. Die künstliche Verknappung hingegen, die das 
Intellectual-Property-Regime einführt, eigne sich nicht für eine 
Politik des 
nachhaltigen Umgangs mit Wissen und kultureller Tradition.

So lange kann aber niemand warten. Ende Dezember will der Bundestag den 
Regierungsentwurf für das neue Urheberrechtsgesetz verabschieden. Dann, 
so 
die Initiative "Rettet die Privatkopie" (www.privatkopie .net) werden 
erstmals technische Maßnahmen über Verbraucherschutz gestellt. Zwar 
weitet 
der Gesetzentwurf das Recht, "Vervielfältigungen eines Werkes zum 
privaten 
Gebrauch" anzufertigen, auf "beliebige Träger" aus (§ 53, Abs. 1), 
stellt 
jedoch technische Kontrollen, die prinzipiell jeden denkbaren Gebrauch 
von 
Urheberrechtswerken regulieren können, unter gesetzlichen Schutz. Die 
Privatkopie wird zugleich erlaubt und verhindert. Ein so umfassendes 
Digital 
Rights Management könnte das Ende des universal nutzbaren PCs bedeuten. 
Er 
wird ein reines Medienabspielgerät, das die Streaming-Server einer Hand 
voll 
globaler Medienkonzerne übers Internet beliefern.

Legale Plünderung

Die Global Player sind Spielverderber. Dabei geht es nicht darum, ob 
sich 
Hacker mit Breitbandzugang auch zukünftig die neueste "Star 
Wars"-Episode 
gratis aus dem Netz ziehen können. Zu den Leidtragenden gehören 
Bibliotheken 
und ihre Nutzer ebenso wie Aidspatienten, die die Kosten für die 
Therapie 
nicht mehr aufbringen können, oder Landwirte in den 
Entwicklungsländern, die 
patentiertes Saatgut teuer einkaufen müssen. Dass ein umfassendes 
Patentsystem den armen Ländern wenig nützt, konnte man bisher schon 
vermuten. 
Eine von der britischen Regierung eingesetzte Expertenkommission, die 
im 
September ihren Bericht vorlegte, hat diese Befürchtungen nun 
bestätigt. Zwar 
gebe es Bereiche, in denen eine Politik des Schutzes geistigen 
Eigentums 
durchaus Fortschritt bedeute, räumt auch Kommissionsmitglied Daniel 
Alexander 
ein, der die Ergebnisse auf der Konferenz vorstellte. In den meisten 
Fällen 
jedoch sollten es sich Entwicklungsländern besser zweimal überlegen, 
wie hoch 
sie die Standards ihres Intellectual-Property-Regimes setzen. "Weniger 
Gesetze erlassen, vorsichtiger vorgehen", lautete die Empfehlung. Das 
Abkommen zum Schutz handelsrelevanter geistiger Eigentumsrechte 
(Trips), das 
Mindeststandards für den geistigen Eigentumsschutz in allen 
WTO-Mitgliedsstaaten gewährleisten soll, scheint Alexander jedenfalls 
nicht 
der geeignete Weg.

Aber ist das Urheberrecht nicht die einzige Einkommens- und 
Überlebensgarantie 
für die zahllosen freischaffenden Kreativen im Musik-, Film- oder 
Literaturbusiness? Auch von diesem Mythos wird man sich verabschieden 
müssen. 
Martin Kretschmer, Leiter des Centre for Intellectual Property Policy 
Management in Bournemourth, hat sich die Mühe gemacht, die Zahlen 
zusammenzutragen, und das Ergebnis ist bestürzend. Laut Kretschmers 
Recherchen erhalten achtzig Prozent der Mitglieder der Performing 
Rights 
Society (des britischen Pendants der Gema) für ihre Aufführungsrechte 
weniger 
als 1.000 Pfund monatlich; eine kleine Elite von 10 Prozent streicht 
dagegen 
den Löwenanteil von 90 Prozent der Gesamtausschüttungen ein. Ähnlich in 
Deutschland: Hier erhalten 5 Prozent der Gema-Mitglieder 60 Prozent der 
Zuwendungen. Das macht auf der Insel etwa 500, hier in Deutschland 
immerhin 
rund 1.500 Komponisten, die von der Verwertung ihrer Rechte leben 
können, 
schätzt der Rechtsexperte: Ein Autorenrecht ohne Autoren.

 dietmar.kammerer@berlin.de

taz Nr. 6904 vom 14.11.2002, 247 Zeilen, DIETMAR KAMMERER 



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